16.02.2022 -


Sozialpläne erhalten immer öfter einen Ausschluss von Sozialplanabfindungen für Rentner bzw. rentennahe Jahrgänge
 (credit:adobestock)

In vielen Interessenausgleichen und Sozialplänen wird der Ausschluss von Sozialplanabfindungen für Rentner bzw. rentennahe Jahrgänge vereinbart. In diesen Fällen kann der grundsätzliche Anspruch einer hohen Abfindung nach dem üblichen Faktor (Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt x Faktor) dazu führen, dass der Sozialplananspruch erheblich minimiert oder sogar gänzlich ausgeschlossen wird. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hatte nun zu entscheiden, ob damit eine unzulässige Altersdiskriminierung verbunden ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 8.12.2020, 2 AZR 152/20). Die Entscheidung enthält wichtige Leitlinien für die Wirksamkeit von Sozialplänen und soll daher hier vorgestellt werden.

Der Fall:

Der bereits seit 1979 bei dem beklagten Arbeitgeber als Kommissionierer beschäftigte Arbeitnehmer verdiente monatlich 3.381,82 € brutto. Der Arbeitgeber betreibt ein Logistikunternehmen.

Mit dem Betriebsrat wurde ein Interessenausgleich und Sozialplan wegen der Schließung eines Depots zum 31. März 2020 vereinbart. Der Interessenausgleich sah einen Abbau von 24 Stellen vor.

In dem Rahmensozialplan war u.a. in § 3 Abs. 4 Folgendes vereinbart:

„4. Abfindung für rentennahe Mitarbeiter

Für Mitarbeiter, die (gegebenenfalls nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit) innerhalb einer Frist von höchstens 24 Monaten, die sich an die fristgerechte Beendigung des Arbeitsverhältnisses anschließt, Altersrente jedweder Art (gilt nicht für Erwerbsunfähigkeitsrente) – auch mit Abschlägen – beziehen können, gilt Ziff. 1 nicht. Sie erhalten eine modifizierte Abfindung, die sich wie folgt berechnet:

a) Ausgleich für Monate der Arbeitslosigkeit 900,00 € pro Monat höchstens für 24 Monate
b) pro 0,3 % Rentenabschlag: 700,00 €

Bei der Berechnung wird der frühestmögliche Zeitpunkt zugrunde gelegt, zu dem der Mitarbeiter Altersrente jedweder Art (gilt nicht für Erwerbsunfähigkeitsrente) – auch mit Abschlägen – beziehen kann.“

Zusätzlich wurde in Abs. 5 dieser Regelung zum Sozialplan Folgendes ergänzend vereinbart:

„Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt des Ausscheidens eine unbefristete oder ungekürzte Rentenleistung durch die gesetzliche Rentenversicherung erhalten bzw. erhalten könnten und keinen Antrag auf eine solche Altersrente stellen, obwohl die Voraussetzungen erfüllt sind, erhalten keine Abfindung.“

Das Arbeitsverhältnis wurde im Anschluss fristgerecht zum 30. April 2020 gekündigt.

Der Kläger bezieht seit dem 1. Mai 2020 nach einer Wartezeit von 45 Jahren eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Rentenabschläge, welche sich am 1. Mai 2020 auf 1.313,00 € brutto belief.

Bei Bezug der Regelaltersrente erst zum 1. Juli 2022 würde sich der Rentenanspruch auf 1.385,41 € belaufen.

Der Kläger macht geltend, die Regelung in § 3 Abs. 4 und 5 des Sozialplans benachteilige ihn unangemessen wegen seines Alters. Er beansprucht daher die Basisabfindung in Höhe von 77.760,00 € brutto nebst Zinsen.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts vollumfänglich bestätigt.

I. Kein Anspruch aus Sozialplan

Der Wortlaut des Sozialplans sieht für den Kläger weder eine Basisabfindung noch eine Abfindung für rentennahe Mitarbeiter vor. Insoweit haben die Betriebsparteien sich festgelegt. Mitarbeiter, die ohne Rentenabschläge eine Altersrente beziehen können, sollen keine Abfindung erhalten.

Dem Wortlaut nach haben damit die Betriebsparteien im Rahmen des Sozialplans keinerlei Abfindungsleistung vorgesehen.

II. Anspruch wegen Altersdiskriminierung?

Der Kläger hat wegen der eindeutigen Regelung im Sozialplan seinen Anspruch daher auf die Unwirksamkeit dieser Regelung gestützt. Er hat eine Altersdiskriminierung und damit die Unwirksamkeit der Regelung wegen Verstoßes gegen das AGG geltend gemacht.

Bei der Aufstellung eines Sozialplans verfügen die Betriebsparteien über einen sehr weiten Spielraum. Sie können festlegen, in welchem Ausmaß die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer ausgeglichen werden sollen. Sie sind dabei nicht gehalten, alle denkbaren Nachteile zu entschädigen. Sie müssen aber Recht und Billigkeit beachten. Dies wiederum beinhaltet die Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Dennoch haben die Betriebsparteien bei der Einschätzung der zu erwartenden Nachteile einen erheblichen Beurteilungsspielraum. Dieser betrifft die tatsächliche Einschätzung der mit der Betriebsänderung für die betroffenen Arbeitnehmer verbundenen wirtschaftlichen Folgen, die sich regelmäßig nicht in allen Einzelheiten sicher vorhersehen lassen, sondern nur Gegenstand einer Prognose sein können. Eine pauschalierende und typisierende Bewertung der wirtschaftlichen Nachteile ist daher zumeist unumgänglich.

Hier war die mit der Regelung im Sozialplan bewirkte Benachteiligung rentennaher Jahrgänge wegen des Alters nach § 10 Satz 3 Nr. 6 i.V.m. § 10 Satz 2 AGG gerechtfertigt. Der Ausschluss der abschlagsfrei rentenberechtigten Arbeitnehmer ist nach diesen Vorschriften zulässig. Eine Altersdiskriminierung ist daher mit den Regelungen im Sozialplan gerade nicht verbunden.

Hinweis für die Praxis:

Die Berechnung des Klägers, bei Einzahlung weiterer Rentenversicherungsbeiträge durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hätte sich sein Rentenanspruch ab dem 1. Juli 2022 um 72,41 € erhöht, ist dabei irrelevant. Die Betriebsparteien müssen nicht jede wirtschaftliche Einbuße berücksichtigen. Zudem hätte der Kläger ggf. die Möglichkeit gehabt, Arbeitslosengeld zu beziehen um eine weitere rentenwirksame sozialversicherungspflichtige Beschäftigungszeit ansammeln zu können. Für eine derartige Möglichkeit hatte sich der Kläger aber nicht entschieden.

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