03.03.2022 -


Ein Arbeitgeber in Annahmeverzug ist verpflichtet, die Vergütung weiterzuzahlen (credit:adobestock)

Befindet sich der Arbeitgeber in Annahmeverzug, muss er die Vergütung weiterzahlen. Eine Ausnahme hierzu beinhaltet die Vorschrift des § 615 S. 2 BGB. Danach muss sich ein Arbeitnehmer böswilliges Unterlassen von Zwischenverdienst anrechnen lassen. Streit entsteht dann natürlich über die Frage, ob die Voraussetzungen einer solchen Böswilligkeit vorliegen. Mit diesen Fragen hat sich das Bundesarbeitsgericht jüngst befasst (BAG v. 23.2.2021, 5 AZR 213/20). Die Entscheidung differenziert sehr genau zwischen der Arbeitspflicht und der Obliegenheit zur Rücksichtnahme. Die genaue Lektüre wird daher empfohlen.

Der Fall:

Der klagende Mitarbeiter war bereits seit 1998 bei dem beklagten Chemieunternehmen als Betriebsleiter mit einem monatlichen Grundentgelt in Höhe von 12.815,28 € brutto beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der Manteltarifvertrag für akademisch gebildete Angestellte in der chemischen Industrie. Eine Ausschlussfristenregelung enthielt dieser Manteltarifvertrag nicht.

Im Manteltarifvertrag für die übrigen Arbeitnehmer war hingegen eine Ausschlussfristenregelung enthalten. Geschäftsführung und Betriebsrat haben zusätzlich eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet, die ebenfalls eine Ausschlussfristenregelung wie folgt enthielt:

„Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssten innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen.“

Der Kläger wurde wegen mangelnder Führungs- und Sozialkompetenz von der Betriebsleitung entbunden. Die hiergegen gerichtete Klage war in beiden Tatsacheninstanzen erfolgreich.

Der Kläger verlangte daraufhin seine Weiterbeschäftigung als Betriebsleiter. Der Arbeitgeber versetzte ihn im Anschluss auf eine andere Stelle. Auch gegen diese erneute Versetzung erhob er Klage und obsiegte wiederum rechtskräftig in beiden Tatsacheninstanzen. Er bot im Anschluss ausschließlich seine Arbeitsleistung als Betriebsleiter vor Ort an. Dieses Angebot wurde abgewiesen.

Die Beklagte stellte die Lohnzahlungen ein. Daraufhin erhob der Kläger Zahlungsklage auf Vergütung wegen Annahmeverzug. Er hat die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber habe sich aufgrund der gerichtlich festgestellten unwirksamen Versetzung in Annahmeverzug befunden. Es sei ihm auch nicht zuzumuten gewesen, die zugewiesene geringerwertige Tätigkeit auszuüben. Ein Arbeitnehmer, der einer unwirksamen und damit unverbindlichen Weisung des Arbeitgebers nicht folge, handele nicht böswillig.

Der Arbeitgeber hat hingegen vorgetragen, der Kläger habe böswillig anderweitigen Verdienst unterlassen. Es sei ihm zumutbar gewesen, die durch die Versetzung angebotene Tätigkeit auszuüben.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage über 205.879,81 € brutto abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht hingegen der Zahlungsklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des LAG aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

I. Keine Ausschlussfristen

Zunächst hat das Gericht die Anwendung von den Ausschlussfristen geprüft. Würden diese Anwendung finden, wären die Zahlungsansprüche schon aus diesem Grund weitestgehend untergegangen. Allerdings war die Betriebsvereinbarung wegen Verstoß gegen den Tarifvorbehalt nach § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Zwar war in dem Akademiker-Manteltarifvertrag Chemie keine Ausschlussfristenregelung enthalten, so dass die Sperrwirkung nach § 77 Abs. 3 BetrVG nicht ausgelöst würde. Jedoch enthielt der Manteltarifvertrag Chemie für die übrigen Arbeitnehmer eine Ausschlussfristenregelung. Die Betriebsvereinbarung ist daher wegen Verstoß gegen den Manteltarifvertrag Chemie nach § 77 Abs. 3 unwirksam. Dieser Verstoß führt zu deren Gesamtunwirksamkeit.

Hinweis für die Praxis:

Im Geltungsbereich von Tarifverträgen muss die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG zwingend beachtet werden. Verstöße führen stets zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarungen!

II. Böswilliges Unterlassen?

Nach § 615 Satz 2 BGB muss sich der Arbeitnehmer den Wert desjenigen anrechnen lassen, was zu erwerben er böswillig unterlässt. Die Anrechnung hindert bereits die Entstehung des Annahmeverzugsanspruchs.

Besonders wichtig ist die genaue Differenzierung des Bundesarbeitsgerichts. Eine Anrechnung kommt nach der Rechtsprechung auch dann in Betracht, wenn die Beschäftigungsmöglichkeit bei dem Arbeitgeber besteht, der sich mit der Annahme der geschuldeten Dienste des Arbeitnehmers gleichzeitig in Verzug befindet.

Mit anderen Worten: Ein Arbeitgeber, der eine unwirksame Weisung ausspricht, kann sich dennoch auf das böswillige Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes berufen, wenn bei ihm die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung besteht!

Hinweis für die Praxis:

Eine gesetzliche Definition der „Böswilligkeit“ existiert nicht. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. So kann sich die Unzumutbarkeit einer anderweitigen Arbeit aus der Person des Arbeitgebers ergeben, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen.

III. Zustimmung des Betriebsrats nichts erforderlich!

Der Arbeitnehmer hatte sich weiter darauf berufen, die mit der Zuweisung der anderen Tätigkeit verbundene Versetzung habe nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterlegen. Es fehle an der notwendigen Zustimmung. Dies reicht aber nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts für eine Unzumutbarkeit noch nicht aus. Auch eine anderweitige Beschäftigung kann zumutbar sein, wenn im Einzelfall die Zustimmung des Betriebsrats gefehlt hat.

IV. Unwirksame Versetzung als Hinderungsgrund?

Die rechtskräftig festgestellte Unwirksamkeit der Versetzung und die mit einer unbilligen Weisung einhergehende Unverbindlichkeit schließen nicht zwangsläufig Böswilligkeit im Sinne des § 615 S. 2 BGB aus. Denn Arbeitspflicht und Obliegenheit zur Rücksichtnahme betreffen unterschiedliche Kategorien. Dass also ein Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung vertragsrechtlich nicht folgen muss, besagt noch nichts darüber, ob ihn im Annahmeverzug nach § 615 S. 2 BGB dennoch die Obliegenheit trifft, aus Rücksichtnahme (vgl. § 241 Abs. 2 BGB) vorübergehend eine nicht vertragsgerechte Arbeit zu verrichten und dadurch einen zumutbaren anderweitigen Verdienst zu erzielen.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht konnte wegen noch aufzuklärender Fragen zum Sachverhalt nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit wurde daher nochmals an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dabei wird das Landesarbeitsgericht insbesondere prüfen müssen, ob die zugewiesene Tätigkeit tatsächlich unzumutbar war und ob bei einer umfassenden Gesamtabwägung aller Umstände böswilliges Unterlassen bejaht werden kann.

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