17.03.2022 -


Besondere Urlaubsregelungen für Menschen mit schwerer Behinderung (credit:adobestock) 

Das Urlaubsrecht hat sich bekanntlich ganz erheblich gewandelt. Entgegen den gesetzlichen Regelungen verfällt der Jahresurlaub nur noch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im laufenden Urlaubsjahr auf seine bestehenden Urlaubsansprüche hingewiesen hat. Wir haben über die geänderte Rechtsprechung und ihre Folgen bereits intensiv und mehrfach berichtet. Dennoch kommt es immer wieder zu neuen und ungeklärten Fragestellungen. So hat nunmehr ein Arbeitnehmer die Ansicht vertreten, dass ihm rückwirkend für die vergangenen drei Jahre der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen auch dann zusteht, wenn er den Arbeitgeber von seiner bestehenden Schwerbehinderung gar nicht in Kenntnis gesetzt hat. Diese Fallkonstellation hatte nun das Landarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zu entscheiden (LAG Rheinland-Pfalz v. 14.1.2021, 5 Sa 267/19). Wir möchten die wichtige Rechtsprechung hier darstellen

Der Fall (verkürzt)

Der klagende Arbeitnehmer war von 2016 bis zum Jahre 2019 bei dem beklagten Arbeitgeber als Sicherheitskraft beschäftigt. Dem Arbeitnehmer stand der gesetzliche Mindesturlaub zu. Durch Eigenkündigung endete das Arbeitsverhältnis zum 15. Februar 2019.

Der Arbeitnehmer ist bereits seit 2014 als schwerbehinderter Mensch mit einem GdB von 50 anerkannt. Den Arbeitgeber hat er über seine Schwerbehinderung aktiv zu keinem Zeitpunkt informiert. Der Arbeitgeber hat daher auch behauptet, keine Kenntnis von der Schwerbehinderung während des bestehenden Arbeitsverhältnisses gehabt zu haben.

Nach Ausspruch der Kündigung verlangte der Kläger die Gewährung bzw. Abgeltung von 12 Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen (für 2016 anteilig zwei Tage, für 2017 und 2018 jeweils fünf Tage).

Das Arbeitsgericht hat in der I. Instanz den Arbeitgeber verurteilt, an den Kläger 1.113,65 € brutto Urlaubsabgeltung für 12 Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen zu zahlen. Das Arbeitsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Zusatzurlaub könne nicht verfallen. Es könne dahinstehen, ob dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung bekannt gewesen sei. Auch bei Unkenntnis der Schwerbehinderung sei es dem Arbeitgeber zumutbar, dem Arbeitnehmer mitzuteilen, dass ihm im Falle einer Schwerbehinderung fünf zusätzliche Urlaubstage zustehen und diese ebenfalls genommen werden müssen, um den Verfall zu verhindern.

Die Entscheidung

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.

I. Hinweispflichten Arbeitgeber zum Urlaub

Der Arbeitgeber hat bekanntlich nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des EuGH die Pflicht, jeden Arbeitnehmer jährlich ausdrücklich und nachweisbar darauf hinzuweisen, dass er seine bestehenden Urlaubsansprüche im Kalenderjahr nehmen muss, um den Verfall am Jahresende zu verhindern. Fehlt es an einem solchen Hinweis, verfällt der nicht genommene Urlaub nicht, sondern bleibt unbegrenzt fortbestehen.

Hinweis für die Praxis:

Wir können den dringenden Appell an alle Arbeitgeber hier nur nochmals wiederholen, diesem Hinweis nachweisbar nachzukommen, z.B. durch Ausdruck auf der Lohnbescheinigung.

II. Zusatzurlaub für Schwerbehinderte

Der in § 208 SGB IX geregelte Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr teilt das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs. Beide Urlaubsansprüche werden daher gleich behandelt. Beim schwerbehinderten Menschen kann daher der Zusatzurlaub ebenfalls nicht verfallen, wenn der Arbeitgeber den Schwerbehinderten über seinen Urlaubsanspruch nicht ordnungsgemäß im Sinne der zuvor genannten neuen Rechtsprechung belehrt hat.

III. Unkenntnis relevant?

Im vorliegenden Fall war nun die Frage von Bedeutung, ob die Unkenntnis des Arbeitgebers von der bestehenden Schwerbehinderung Einfluss auf den Urlaubsanspruch hatte? Das Arbeitsgericht hat dies noch verneint. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen klargestellt, dass ein Arbeitgeber nur dann verpflichtet sein kann, auf einen Zusatzurlaub hinzuweisen, wenn ihm die Schwerbehinderung bekannt ist. Erst ist jedoch nicht verpflichtet, jeden Arbeitnehmer – anlasslos und gleichsam prophylaktisch – auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen.

Hinweis für die Praxis:

Die Hinweispflicht zum Zusatzurlaub trifft daher nur solche Arbeitgeber, die Kenntnis von der Schwerbehinderung haben. Arbeitgeber müssen nicht, gleichsam ins Blaue hinein, alle Arbeitnehmer über einen etwaigen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen belehren, auch wenn keine Kenntnis über die Schwerbehinderung besteht.

Fazit

Die Hinweispflichten bei Urlaub sind klar und eindeutig von der Rechtsprechung vorgegeben. Mitarbeiter sind über die Höhe ihrer Urlaubsansprüche zu belehren. Belehren kann man aber nur über das, wovon man auch Kenntnis hat. Möchte ein Mitarbeiter Zusatzurlaub in Anspruch nehmen, muss er seine Schwerbehinderung preisgeben. Das ist Grundlage des gesetzlichen Systems. Wer seine Rechte nicht in Anspruch nehmen möchte, ist frei darin, seine Schwerbehinderung zu verschweigen. Er kann dann aber eben gerade nicht die Vorteile im Nachhinein geltend machen und über Jahre hinweg Urlaubsansprüche nachfordern. Das Verfahren ist in der Revision beim Bundesarbeitsgericht anhängig (Az. 9 AZR 143/21). Wir werden über die Entwicklung des Verfahrens weiter berichten.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

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    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

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