Darf ein Arbeitgeber die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung in einem Zeugnis in Tabellenform erteilen? (credit:adobestock)
Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein qualifiziertes Schlusszeugnis. Dieser Anspruch folgt aus § 109 Gewerbeordnung (GewO). Immer wieder kommt es aber zu Streit über die inhaltlichen Anforderungen an ein wirksames qualifiziertes Schlusszeugnis. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun in einem aktuellen Urteil mit der Frage zu befassen, ob ein Arbeitgeber die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung in einem Zeugnis in Tabellenform, ähnlich einem Schulzeugnis, erteilen darf (BAG v. 27.4.2021, 9 AZR 262/20). Die Entscheidung gibt wertvolle Hinweise für die Zeugniserteilung und soll daher hier besprochen werden.
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber seit 1. September 2008 als Elektriker beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung mit Ablauf des 30. Juni 2018.
Der Arbeitgeber erteilte sodann ein Schlusszeugnis. Dieses hatte folgenden Inhalt:
„Herr D, geb. in B, war gemäß der Ausbildung zum Energieelektroniker Betriebstechnik in unserem Unternehmen als Elektriker von 2008-09-01 bis 2018-06-30 eingestellt.
Die G GmbH & Co. KG, V, ist ein seit Jahrzehnten erfolgreicher Hersteller von Großserien für Wasch-, Pflege- und Reinigungsprodukte in der Kosmetik und den Haushalten, jeweils speziell für Endverbraucher in diversen EU-Märkten. Zudem produziert sie Spezialprodukte für die Industrie.
Aufgabenstellung: Nach jeweiliger Vorgabe, seinem Ausbildungs- und Fähigkeitsprofil entsprechend, dem Betriebsbereich der Abfüllung zugeordnet zur Reparatur, Wartung, Prüfung, Montage, Einrichtung vorhandener und Mitaufbau elektrisch/pneumatisch betriebener Geräte im Betriebs- und Produktionsbedarf bzgl. der Versorgung von Kleinstspannungen bis Drehstrom, der Signalleitung von Sensoren, der Programmiersteuerung, der Verdrahtung und Vernetzung der Anlagen in Schaltschränken und der sonstigen, handwerklichen Bearbeitung diverser Materialien.
Fachkenntnisse allg.: befriedigend
Entwicklung: befriedigend
Sensoren-Techniken: befriedigend
Verdrahtung/Vernetzung: befriedigend
Programmierbare Steuerungen: gut
Sonstige Handwerkstätigkeiten: befriedigend
Arbeits-
-Qualität: befriedigend
– Tempo: gut
– Ökonomie: befriedigend
– Bereitschaft: gut
– Schutzvorgaben: befriedigend
– Hygienevorgaben: befriedigend
Erfüllung arbeitsrechtlicher Nebenpflichten: befriedigend
Pünktlichkeit befriedigend
Sauberkeit im Arbeitsfeld: befriedigend
Dokumentationen befriedigend
Leistungsbeurteilung insgesamt: befriedigend
Verhaltensbeurteilung
teambereit und gruppenorientiert, befriedigend
– zu Gleichgestellten: befriedigend
– zu Einzuweisenden befriedigend
– zu Vorgesetzten: höflich und zuvorkommend,
sehr gut
Das Arbeitsverhältnis endet fristgerecht auf eigenen Wunsch von Herrn D.
G GmbH & Co. KG
V, 2018-06-30“
Zu diesem erteilten Arbeitszeugnis hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber habe seinen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses nicht ordnungsgemäß erfüllt. Die mit „Aufgabenstellung“ überschriebene Tätigkeitsbeschreibung sei aus sich heraus nicht verständlich. Die tabellarische Darstellung der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung nach stichwortartigen, mit „Schulnoten“ versehenen Bewertungskriterien sei unüblich und könne deshalb einen negativen Eindruck hervorrufen. Zudem seien die Beurteilungen unzutreffend. Er habe stets gute Leistungen erbracht und sich gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Kunden stets einwandfrei verhalten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und ein Zeugnis im Fließtext formuliert. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und den zuvor dargestellten Inhalt in tabellarischer Form als zulässig angesehen.
Die Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung aufgehoben und den Fall zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
I. Zeugnisgrundsätze
Jeder Arbeitnehmer hat bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses Anspruch nach § 109 Abs. 1 S. 1 GewO auf ein schriftliches Zeugnis, das nach § 109 Abs. 1 S. 2 GewO Angaben zu Art und Dauer der Tätigkeit (einfaches Zeugnis) enthalten muss. Der Arbeitnehmer kann nach § 109 Abs. 1 S. 3 GewO zudem verlangen, dass sich die Angaben darüber hinaus auf Leistung und Verhalten im Arbeitszeugnis erstrecken. Dies ist der Regelfall. Man spricht hier von einem qualifizierten Zeugnis.
Ein Zeugnis muss klar und verständlich formuliert sein und darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen.
Zur Beurteilung von Inhalt und äußerer Form des Zeugnisses ist auf die Sicht eines objektiven und damit unbefangenen Arbeitgebers mit Berufs- und Branchenkenntnissen abzustellen. Entscheidend ist daher, wie ein solcher objektiver Zeugnisleser das Zeugnis auffassen muss.
Hinweis für die Praxis:
Der Arbeitgeber erfüllt den Zeugnisanspruch eines Arbeitnehmers nach § 109 GewO durch Erteilung eines Zeugnisses, das nach Form und Inhalt den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Ihm obliegt es grundsätzlich, das Zeugnis im Einzelnen zu verfassen. Formulierungen und Ausdrucksweise stehen in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Maßstab ist stets der wohlwollende und verständige Arbeitgeber. Der Arbeitgeber hat daher einen Beurteilungsspielraum bei der Abfassung eines Zeugnisses.
II. Individuelle Beurteilung erforderlich
Das qualifizierte Arbeitszeugnis ist ein individuell auf den einzelnen Arbeitnehmer zugeschnittenes Arbeitspapier, das dessen persönliche Leistung und sein Verhalten im Arbeitsverhältnis dokumentieren soll. Es stellt mithin eine individuell an den einzelnen Arbeitnehmer angepasste Beurteilung dar. Diesen Anforderungen wird daher regelmäßig nur ein individuell abgefasster Text gerecht.
Daher ist der Arbeitgeber in seiner Entscheidung frei, welche Leistungen und Eigenschaften seines Arbeitnehmers er mehr hervorheben oder zurücktreten lassen möchte. Das Zeugnis muss wahr sein und darf dort keine Auslassung enthalten, wo der Leser eine positive Hervorhebung erwartet.
Ein Zeugnis, das eine Vielzahl einzelner Bewertungskriterien gleichrangig nebeneinander aufführt und mit „Schulnoten“ bewertet, verfügt nicht über den erforderlichen Informationswert. Die prägenden Merkmale verlieren im Kontext der übrigen Bewertungskriterien ihre Bedeutung. Besondere Eigenschaften, Kenntnisse oder Fähigkeiten, die den Arbeitnehmer für neue Arbeitgeber interessant machen könnten, lassen sich daraus nicht ableiten. Das Zeugnis entfaltet dann nur geringe Aussagekraft. Es bleibt der Interpretation des Zeugnislesers überlassen, welche Aspekte im Arbeitsverhältnis einen besonderen Stellenwert gehabt haben.
Hinweis für die Praxis:
Daher hat ein in Tabellenform formuliertes Zeugnis keine Aussagekraft. Ein formal an ein Schulzeugnis angelehntes Zeugnis in tabellarischer Darstellungsform erweckt den unzutreffenden Eindruck einer präzisen und objektiven Beurteilung. Es fehlt die gebotene Individualisierung der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung. Individuelle Hervorhebungen und Differenzierungen lassen sich regelmäßig nur durch ein im Fließtext formuliertes Arbeitszeugnis angemessen herausstellen. Nur dann sind sie geeignet, die besonderen Nuancen des beendeten Arbeitsverhältnisses darzustellen und damit den Zeugniszweck als aussagekräftige Bewerbungsunterlage in Bezug auf die konkrete Person zu erfüllen.
Fazit
Das Bundesarbeitsgericht hat ein Zeugnis in tabellarischer Form zutreffend als unzulässig angesehen. In der Sache konnte das BAG aber noch nicht entscheiden. Es fehlten konkrete Feststellungen zu der Arbeitsleistung in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Die Entscheidung wurde daher zurückverwiesen.
Den Anspruch auf ein „gutes“ oder „sehr gutes“ Schlusszeugnis muss zudem der Arbeitnehmer umfassend beweisen. Aus dem Zeugnisanspruch gem. § 109 GewO folgt kein Anspruch auf ein überdurchschnittliches Zeugnis. Erst wenn der Arbeitnehmer seine überdurchschnittlichen Leistungen dargelegt hat, muss der Arbeitgeber dem qualifiziert entgegentreten. All dies wird das Landesarbeitsgericht nach der Zurückweisung weiter aufzuklären haben.
Auszeichnungen
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TOP-Wirtschaftskanzlei für Arbeitsrecht(FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)
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TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht(WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)
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TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen(WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)
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TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen(WirtschaftsWoche 2023, 2020)
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