07.09.2005

Mit seinem Urteil vom 24. Mai 2005 (Aktenzeichen IX Z R 123/04) hat der BGH eine Reihe von Unklarheiten beseitigt, denen Geschäftsführer einer GmbH bei auftretenden Zahlungsstockungen ausgesetzt waren.

Die Situation ist recht häufig. Mittelständige Unternehmen, oft mit geringer Eigenkapitalausstattung, etwa Handwerksbetriebe, sind oft darauf angewiesen, dass Kundenzahlungen vollständig und zeitnah erfolgen. Wird ein größerer Auftrag nicht bezahlt, kann dies eine Liquiditätskrise auslösen. Kann das Unternehmen dann seinen eigenen fälligen Verbindlichkeiten nicht nachkommen, erscheint aber eine Besserung der Liquiditätslage greifbar, muss sich der Geschäftsführer entscheiden. Entweder vertraut er auf die Besserung der Liquiditätslage und geht damit das Risiko ein, eine strafbare Insolvenzverschleppung zu begehen und zusätzlich persönlich für den Ausfallschaden der Gesellschaftsgläubiger zu haften; auf der anderen Seite könnte er zur Vermeidung dieser nachtteiligen Folgen einen Insolvenzantrag stellen, was allerdings dazu führen kann, dass ein nur vorübergehend liquiditätsgeschwächtes aber dennoch überlebensfähiges Unternehmen in volkswirtschaftlich unsinniger Weise zerschlagen wird. Unter anderem kann ein unberechtigter Insolvenzantrag auch die Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft und den Gesellschaftern nach sich ziehen.

Dieses Spannungsfeld löst der BGH wie folgt:

1.Abgrenzung von Zahlungsstockung und Zahlungsunfähigkeit

Zunächst stellt der BGH klar, dass der Begriff der Zahlungsunfähigkeit in § 64 GmbHG nicht anders verstanden werden kann als in § 17 InsO. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Nach Auffassung des Senats löst eine Zahlungsunfähigkeit, die sich voraussichtlich innerhalb kurzer Zeit beheben lässt, als reine Zahlungsstockung keinen Insolvenzeröffnungsgrund aus. Dieser relativ kurze Zeitraum beträgt nach Auffassung des BGH analog § 64 GmbHG drei  Wochen. Der BGH führt aus:

„Die Frage, ob noch von einer vorübergehenden Zahlungsstockung oder schon von einer endgültigen Zahlungsfähigkeit auszugehen ist, muss allein aufgrund der objektiven Umstände beantwortet werden. Soweit die Haftung des Geschäftsführers für von ihm nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vorgenommene Zahlungen zu beurteilen ist, muss allerdings auf der subjektiven Seite das Verschulden hinzukommen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG). Entscheidend ist hier, ob im Zeitpunkt der Zahlung bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes die Insolvenzreife der Gesellschaft für den Geschäftsführer nicht erkennbar ist, wobei diesem allerdings die volle Darlegungs- und Beweislast trifft.

Wenn dieser erkennt, dass die GmbH zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, jedoch aufgrund eines sorgfältigen und gewissenhaften Prüfung der Meinung sein kann, die GmbH werde vor Erreichen des Zeitpunkts, bei dem eine Zahlungsstockung in die Zahlungsunfähigkeit umschlägt – also binnen drei Wochen -, sämtliche Gläubiger voll befriedigen können, darf er innerhalb dieses Zeitraums, solange sich seine Prognose nicht vorzeitig als unhaltbar erweist, Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind, an Gläubiger leisten, ohne die Haftung befürchten zu müssen.

Müsste er anstehende Zahlungen zurückhalten, bis die Zahlungsunfähigkeit insgesamt wieder hergestellt ist, würde er dadurch die Geschäftsbeziehungen zu den betreffenden Gläubigern, auf deren Fortführung der Betrieb der Schuldnerin mehr den je angewiesen ist, gefährden. Auch läge eine Zahlungseinstellung vor, mit welcher der Geschäftsführer möglicherweise Eröffnungsanträge der Gläubiger (§ 14 InsO) herausfordern würde.

Ist die Zahlungsunfähigkeit nach Ablauf der First noch nicht wieder hergestellt, darf er – weil nunmehr die endgültige Zahlungsunfähigkeit feststeht – nur noch solche Zahlungen leisten, welche die Insolvenzmasse nicht schmälern oder erforderlich sind, um das Unternehmen für die Zwecke des Insolvenzverfahrens zu erhalten.“

Der Geschäftsführer muss also eine Zukunftsprognose anstellen, sobald er eine Unterdeckung feststellt. Die vom BGH geforderte sorgfältige und gewissenhafte Prüfung verlangt, die zu erwartenden Zahlungen von Schuldnern der Gesellschaft exakt zu bewerten, insbesondere deren Außenstände, die Bonität der Drittschuldner und die Kreditwürdigkeit der Schuldner unter Berücksichtigung von Branche und Art der fälligen Schulden zu berücksichtigen.

2. Keine Zahlungsunfähigkeit bei nur geringfügiger Unterdeckung

Führt diese sorgfältige Prognose des Geschäftsführers zu dem Ergebnis, dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten bis auf einen geringfügigen Rest bedienen kann, soll sie immer noch nicht als zahlungsunfähig im Sinn der Insolvenzordnung und des §64 GmbHG angesehen werden. Denn es verbiete sich, einen Insolvenzgrund auch bei sehr kleinen Liquiditätslücken anzunehmen. Sofern die Auftragslage gut ist und zukünftig mit anderen Zahlungseingängen gerechnet werden kann, wäre es unangemessen, wenn der Geschäftsführer wegen einer vorübergehenden Unterdeckung von wenigen Prozent, die nicht binnen drei Wochen beseitigt werden kann, Insolvenz anmelden müsste. Der BGH hält einen mit einer ansonsten bestehenden Insolvenzantragspflicht verbundenen Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen (Art. 12, 14 GG) unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit für bedenklich.

Um keine starre, absolute oder prozentuale Größe zu nennen, hält es der Senat für angemessen, den Schwellenwert bei 10 % Unterdeckung anzusetzen. Diese Grenze hält er durch die Einführung einer widerlegbaren Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit variabel.

Das heißt in der Praxis folgendes:

  • Liegt eine Unterdeckung von weniger als 10 % vor, genügt sie allein nicht zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Wenn diese gleichwohl angenommen werden soll, müssten besondere Umstände vorliegen, die eine Zahlungsunfähigkeit stützen (beispielsweise eine negative Zukunftsprognose).
  • Beträgt die Unterdeckung 10 % oder mehr, muss umgekehrt der Geschäftsführer der Gesellschaft – falls er meint, es sei noch von einer Zahlungsfähigkeit auszugehen – entsprechende Indizien vortragen und beweisen. Dazu ist in der Regel die Benennung konkreter Umstände erforderlich, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass die Liquiditätslücke zwar nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen – dann läge nur eine Zahlungsstockung vor -, jedoch immerhin in überschaubarer Zeit beseitigt werden wird.
  • Je näher also die konkret festgestellt Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräft werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerwiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung vom dem Schwellenwert ist.

Der Geschäftsführer einer GmbH mit Liquiditätsproblemen hat anhand dieser Kriterien ein recht überschaubares Instrumentarium an die Hand bekommen, um seine Insolvenzantragspflicht abschätzen zu können. Er kann jetzt selbst bei einer prognostizierten geringfügigen Unterdeckung von einer Insolvenzantragspflicht absehen, wenn er dies mit positiven wirtschaftlichen Aussichten unterlegen und diese Umstände auch beweisen kann. Gelangt der Geschäftsführer jedoch zu dem Ergebnis, dass er solche Umstände nicht wird beweisen können, kann er nunmehr gegenüber der Gesellschaft, den Geschäftsführern und den Gläubigern der Gesellschaft die Stellung eines Insolvenzantrages begründen und kann so seiner persönlichen Haftungsinanspruchnahme entgehen.

In jedem Fall empfiehlt es sich, in Krisenzeiten möglichst exakte kurz- und mittelfristige Zahlungspläne zu erstellen und alle Umstände sorgfältig zu dokumentieren, die für eine künftige Verbesserung der Liquiditätslage sprechen. Dies sollte sinnvoller Weise in enger Abstimmung mit dem rechtlichen und steuerlichen Berater des Unternehmens erfolgen.

Verfasser: RA & StB Andreas Jahn

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