11.05.2022 -

Das Urlaubsrecht sorgt stets für neuen Gesprächsstoff. So hat beispielsweise im Jahr 2018 der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass Arbeitgeberinnen ihre Angestellten darüber informieren müssen, wie viel Resturlaub ihnen zum Ablauf des Jahres noch zusteht bzw. ob und wann dieser möglicherweise bei Nichtinanspruchnahme verfällt (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Az. C-684/16). Dies müsse sein, da der Jahresurlaub, so der EuGH, besonders bedeutsam im sozialrechtlichen Sinne sei. § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BurlG), der vorsieht, dass der Urlaub am Ende des Kalenderjahrs bzw. des Übertragungszeitraums erlischt, ist deshalb „richtlinienkonform“ dahingehend auszulegen, dass dies nur gilt, wenn die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerinnen vorher entsprechend informiert hat.


Resturlaub verjährt nur nach vorherigem Hinweis – Droht eine Prozessflut? (Copyright: Maksym Yemelyanov/adobe.stock)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und allgemein die deutsche Rechtsprechung war in der Folge an die Urlaubsrechtsprechung des EuGH gebunden. Jedoch ergibt sich aus dem vorgenannten Urteil des EuGH die Folgefrage: Wann verjährt eigentlich Urlaub? Das BAG hat hierzu mit Vorlagebeschluss vom 29.09.2020 den EuGH dahingehend befragt, wann denn nun Resturlaubsansprüche verjähren würden. Hierbei teilte das BAG seine Auffassung mit, wonach Resturlaubsansprüche innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfristen gemäß §§ 194 Abs. 1, 195 BGB nach Ablauf von drei Jahren verjähren würden (BAG, Vorlagebeschluss v. 29.09.2020, Az. 9 AZR 266/20, vorgehend LAG Düsseldorf).

Allgemein ist es so, dass Urlaubsansprüche den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht nur aufgrund von Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag zustehen, sondern sich vielmehr auch aus dem Bundesurlaubsgesetz (BurlG) und der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) ergeben. In den hier weiter beschriebenen Entscheidungen geht es ausdrücklich um jene Urlaubsansprüche, die sich aus gesetzlichen Regelungen ergeben.

Das Bundesarbeitsgericht ist sich also nicht sicher, ob Urlaub aufgrund der europäischen Vorgaben (Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG) überhaupt verjährt, wenn Arbeitgeberinnen nicht auf den Verfall von Resturlaub hingewiesen haben.

Nunmehr liegt der sogenannte Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH vom 05.05.2022 betreffend das Vorabentscheidungsersuchen des BAG vor (EuGH, Rechtssache C-120/21). Wichtig für Nichtjuristen ist hierbei zu wissen, dass der EuGH in vielen Fällen eben diesen Schlussanträgen des Generalsanwalts folgt, sprich, die Entscheidung sich hieran maßgeblich orientiert.

In seinem Schlussantrag stellt der Generalanwalt beim EuGH im Ergebnis fest, dass nationale Verjährungsregelungen, nach welchen Jahresurlaub oder auch die damit korrelierende finanzielle Vergütung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verjähren, nicht mit europäischem Recht vereinbar sind, wenn dies auch für den Fall gelte, dass die Arbeitgeberin den Aufforderung- und Hinweisobliegenheiten, wie im Urteil des EuGH aus 2018 dargestellt (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Az. C-684/16), nicht nachgekommen sei.

Hinweis für die Praxis

Sollten also die Richter des EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen, so müsste das BAG feststellen, dass der Urlaub einer regelmäßigen Verjährung von drei Jahren nicht unterliegt. Dies muss jedenfalls in den Fällen gelten, in denen die Arbeitgeberin bislang keine ausreichenden (dokumentierten) Hinweise auf den Wegfall von Urlaub erteilt hätte. Hier besteht für die Zukunft deutliches Konfliktpotenzial. Es droht sogar eine wahre Flut von Prozessen.

Arbeitgeberinnen wird daher dringend geraten, noch mehr als bisher, nach dem oben dargestellten Urteil des EuGH aus dem Jahre 2018 darauf zu achten, einerseits ihren Arbeitnehmerinnen entsprechende umfassende Hinweise auf bestehenden Resturlaub und dessen drohendem Verfall zu erteilen sowie die Arbeitnehmerinnen aufzufordern, diesen rechtzeitig zu nehmen. Andererseits sind eine entsprechende Aufforderung sowie die entsprechenden Hinweise nachvollziehbar zu dokumentieren.

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