17.06.2022

Wahrscheinlich werden nur noch die Älteren etwas mit dem Begriff Arcandor und Thomas Middelhoff verbinden. Arcandor war die Konzernspitze von Karstadt, Quelle, Neckermann sowie Thomas Cook – alles wohlklingende Namen der „alten“ Bundesrepublik. Thomas Middelhoff war mehrere Jahre Vorstandsvorsitzender von Arcandor; er trat in 2009 als Vorsitzender zurück. Arcandor meldete kurz nach dem Rücktritt Middelhoffs Insolvenz an. Wie bei „Großinsolvenzen“ üblich, werden in den folgenden Jahren Gerichtsverfahren geführt, die ihrerseits juristische Berühmtheit erlangen. Möglicherweise wird dies auch in diesem Fall so sein. Der Insolvenzverwalter von Arcandor nimmt (ehemalige) Vorstandsmitglieder sowie Aufsichtsratsmitglieder von Arcandor auf Schadensersatz in Anspruch, in zwei Fällen in zweistelliger Millionenhöhe. Das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) hat hierüber mit Urteil vom 6. April 2022 – 8 U 73/12 entschieden.


Arcandor – Middelhoff – Schadensersatz (Copyright: nmann77/adobe.stock).

1. Die Entscheidung 

Der Volltext der Entscheidung umfasst 84 Seiten. Das Oberlandesgericht Hamm hat den Sach-verhalt gründlich aufbereitet. Gegenstand dieser Besprechung ist ein Ausschnitt der Entschei-dung: die Haftung der Aufsichtsräte. Hierbei konnte das OLG Hamm auf eine berühmte Entscheidung des BGH zurückgreifen: das Urteil vom 21. April 1997 – II ZR 175/95 – ARAG/Garmenbeck. In dieser Entscheidung „ARAG/Garmenbeck“ hat der BGH die Grundsätze der Haftung von Aufsichtsräten für die Nichtinanspruchnahme von Vorständen festgelegt.

Danach sind Aufsichtsräte verpflichtet, mögliche Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber den Vorständen sorgfältig und sachgerecht zu prüfen und abzuschätzen, ob Schadensersatzansprüche gegen die Vorstände rechtlich und wirtschaftlich durchsetzbar sind. Sollten sie dies feststellen, darf der Aufsichtsrat nur ausnahmsweise von einer Inanspruchnahme der Vorstände absehen. Der BGH verlangte hierfür in „ARAG/Garmenbeck“ Gründe von vergleichbarem wirtschaftlichem Gewicht wie der Schadensersatzanspruch selbst. Das (soziale) Ansehen oder der Verdienst der Vorstände für die Gesellschaft spielen grundsätzlich keine Rolle.

Auf dieser Grundlage hat das OLG Hamm nunmehr Schadensersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder von Arcandor festgestellt. Sie hatten ihrerseits Schadensersatzansprüche von Arcandor gegenüber den Vorstandsmitgliedern verjähren lassen, obwohl ihnen bekannt war, dass Schadensersatzansprüche bestehen könnten und diese jedenfalls in Teilen auch wirtschaftlich durchsetzbar waren.

Das OLG Hamm hat in zwei Komplexen Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegenüber ihren Vorstandsmitgliedern jedenfalls als so plausibel angesehen, dass die Aufsichtsräte diese Schadensersatzansprüche hätten weiterverfolgen müssen.

Der Vorstand von Arcandor hat ab 2000 ein Sale-and-Lease Back-Modell für Warenhäuser beschlossen und umgesetzt. Danach wurden verschiedene Immobilien mit den darauf befindlichen Warenhäusern an Fondsgesellschaften veräußert. Die Fondsgesellschaften sanierten die Gebäude und vermieteten diese wieder an Arcandor. Das OLG Hamm hat festgestellt, dass bei dem Verkauf einzelner Immobilien insgesamt ein Schaden in Höhe von 15,38 Mio. € für Arcandor entstanden ist. Der Schaden ergab sich aus einem zu geringen Kaufpreis im Vergleich zu dem tatsächlichen Verkehrswert der Immobilien. In Einzelfällen wurden Immobilien nur für die Hälfte des tatsächlichen Verkehrswertes an die einzelnen Fondsgesellschaften veräußert.

Der zweite Schadensersatzkomplex betraf die Mietverträge. Das OLG Hamm hat festgestellt, dass einzelne Mietverträge – letztlich drastisch – überteuert waren. Bei insgesamt drei Objekten hat das OLG Hamm Nachteile für Arcandor über die gesamte Laufzeit der Mietverträge in Höhe von 34.303.706,00 €, 58.168.400,00 €, 17.160.000,00 € sowie 34.880.000,00 € ermittelt.

Der Aufsichtsrat war zu einem Zeitpunkt, in dem die Schadensersatzansprüche noch nicht verjährt waren, zu der Erkenntnis gelangt, dass Schadensersatzansprüche gegen frühere Vorstandsmitglieder wegen der Verträge in Betracht kommen. Der Aufsichtsrat hat dies im Anschluss auch noch einmal rechtlich durch einen (externen) Rechtsanwalt prüfen lassen. Zu den Einzelheiten der Gutachten führt das OLG Hamm nicht aus. Wirtschaftlich war eine Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen aufgrund einer bestehenden Directors & Officers-Versicherung (D&O-Versicherung) in einem zweistelligen Millionenbereich möglich. Trotz dieser Umstände haben die Aufsichtsratsmitglieder von einer Inanspruchnahme der Vorstände abgesehen und Verjährung eintreten lassen. Dafür haften die Aufsichtsratsmitglieder nunmehr selbst.

2. Empfehlung

Der Aufsichtsrat muss mögliche Schadensersatzansprüche gegenüber den (ehemaligen) Vorständen sorgfältig ermitteln, sowohl unter tatsächlichen als auch rechtlichen Gesichtspunkten. Hierbei darf der Aufsichtsrat nur das Interesse der Gesellschaft im Blick haben; persönliche Rücksichtnahmen – auch wenn diese im Einzelfall verständlich sind – sind fehl am Platz. Sie fallen auf die Aufsichtsratsmitglieder zurück.

Sollten ausreichende Gründe für einen Schadensersatzanspruch bestehen, muss auf einer weiteren Stufe geprüft werden, ob diese wirtschaftlich durchsetzbar sind. Dies wird in nahezu allen Fällen wegen der D&O-Versicherungen der Fall sein. Wenn eine D&O-Versicherung vorliegt und diese grundsätzlich den möglichen Schaden abdeckt, können Schadensersatzansprüche auch wirtschaftlich verfolgt werden. Wenn dann doch davon abgesehen wird, müssen Interessen der Gesellschaft dagegensprechen, die ein vergleichbares wirtschaftliches Gewicht haben wie der Schadensersatzanspruch selbst.

Das letzte Wort ist bei „Arcandor“ wohl noch nicht gesprochen. Das OLG Hamm hat die Revision nicht zugelassen – trotz der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache. Die in Anspruch genommenen Aufsichtsratsmitglieder können aber gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde beim BGH einlegen. In Anbetracht des ausgeurteilten Schadensersatzanspruches in zweistelliger Millionenhöhe werden dies die betroffenen Aufsichtsratsmitglieder erwägen. Ob der BGH die Revision zulässt und wie er dann in einem möglichen Revisionsverfahren entscheidet, wird die Zukunft zeigen.

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