Was gilt bei Unterhalt, wenn sich der Ehegatte lediglich jeweils befristet in verschiedenen Ländern aufhält? (credit:adobestock)
Der BGH hat sich mit Beschluss vom 11. Mai 2022 (Az. XII ZB 543/20) zu der Frage geäußert, unter welchen Voraussetzungen eine engere Verbindung einer Ehe zu dem Recht eines anderen Staates im Sinne des Art. 5 Haager Unterhaltsprotokoll (HUP) angenommen werden kann, wenn sich ein Ehegatte beruflich lediglich jeweils befristet in verschiedenen Ländern aufhält (sog. „Expatriate“).
Der Fall in Kürze:
Die Antragstellerin begehrte von ihrem geschiedenen Ehegatten nachehelichen Unterhalt nach deutschem Recht. Beide Beteiligte haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie haben eine gemeinsame Tochter und lebten seit dem Jahr 1994 in Schottland.
Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass der Ehemann im Jahre 1999 in ein Arbeitsverhältnis eintrat, welches darauf angelegt war, dass er als sog. Expatriate jeweils für einen befristeten Zeitraum (in der Regel für vier Jahre) an einem anderen internationalen Standort des Arbeitgebers tätig sein sollte. Daraufhin lebte die Familie zunächst von 1999 bis 2008 in den Niederlanden. Dort heirateten die Beteiligten im Jahre 2008. Aufgrund der befristeten Tätigkeit des Ehegatten lebte die Familie von 2008 bis 2012 im Sultanat Brunei. Seit Juni 2012 lebte die Familie im US-Bundesstaat Texas.
Im Jahr 2015 erfolgte die Trennung der Beteiligten und die Ehe wurde Ende 2017 rechtskräftig von einem texanischen Gericht geschieden. Nach der Ehescheidung lebte der Ehemann weiterhin in Texas, die Ehefrau hingegen zog zu ihren Eltern nach Deutschland. In Deutschland beantragte die Ehefrau 2018 die Zahlung von nachehelichem Unterhalt. Dabei stützte sich die Ehefrau darauf, dass auf den nachehelichen Unterhalt deutsches Recht anwendbar sei. Der Ehemann hingegen berief sich auf die Einwendung des Art. 5 HUP, da seiner Ansicht nach aufgrund einer engeren Verbindung texanisches Recht anzuwenden sei.
Die Entscheidung:
Das Oberlandesgericht hatte zutreffend die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte angenommen, da die Ehefrau ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte (Art. 1 Abs. 1, Art. 3 lit. b EU-Unterhaltsverordnung). Der BGH rügt jedoch, das Oberlandesgericht habe die Vorschrift des Art. 5 Haager Unterhaltsprotokoll (HUP) nicht richtig angewandt: Auf den nachehelichen Unterhalt sei nicht texanisches Unterhaltsrecht anzuwenden, sondern deutsches Recht.
Grundsätzlich richtet sich das anwendbare Unterhaltsrecht nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der unterhaltsberechtigten Person (Art. 3 Abs. 1 HUP). Art. 5 HUP enthält hierzu eine Ausnahmeregelung: Danach ist Recht eines anderen Staates anzuwenden, wenn dieses eine engere Verbindung zu der betreffenden Ehe aufweist und sich ein Beteiligter hierauf beruft. Eine engere Verbindung zu dem Recht eines anderen Staates kann insbesondere zu dem Staat des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes der Eheleute vorliegen.
Dass die Eheleute bezogen auf die gesamte Ehedauer am längsten in Texas gelebt hatten und dort ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war, gab aus Sicht des Oberlandesgerichts den Ausschlag für die Anwendung von texanischem Unterhaltsrecht. Der BGH hingegen hält diese Gewichtung für rechtsfehlerhaft. Es sei in den Vorinstanzen nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass dieser letzte gemeinsame Aufenthalt in Texas aufgrund des Arbeitsverhältnisses des Ehemannes von vorneherein nicht auf Dauer angelegt war. Das Arbeitsverhältnis als sog. Expatriate erforderte, dass die Familie in regelmäßigen Abständen ihren Aufenthaltsort in ein anderes Land verlegte. Die häufigen Ortswechsel seien dabei vor allem aus betrieblichen Gründen seitens des Arbeitgebers erfolgt und nicht wegen einer besonderen Bindung der Eheleute zu dem jeweiligen Land. In diesem Fall komme dem Kriterium des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Der BGH sah auch keine anderweitigen Umstände, die eine engere Verbindung der Ehe zum texanischen Recht hätte begründen können.
Fazit:
Der BGH betont, dass die Anwendung des Art. 5 HUP eine wertende Gesamtbetrachtung verlange unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. Trotz der im Wortlaut der Vorschrift besonders hervorgehobenen Stellung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten darf bei der Prüfung einer engeren Verbindung der Ehe zum Recht eines anderen Staates nicht ausschließlich auf den letzten gemeinsamen Aufenthalt abgestellt werden. Weitere zu berücksichtigende Abwägungskriterien sind etwa die Staatsangehörigkeit, der Ort der Eheschließung oder der Ort der Trennung bzw. Scheidung. Die Entscheidung des BGH stellt nunmehr klar, dass auch der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Eheleute auf besondere Einzelfallumstände zu untersuchen ist, etwa ob und ggf. aus welchen Gründen er von vorneherein auf Dauer angelegt ist oder eben nicht.
Insbesondere bei Beteiligung sog. Expatriates kann sich eine Rechtswahl anbieten. Die verbindliche Wahl des anzuwendenden Rechts kann Unsicherheiten, welches Recht auf den konkreten Sachverhalt anzuwenden ist, vorbeugen oder beseitigen, nicht nur bezogen auf den Ehegattenunterhalt. Da die Rechtswahl die Zustimmung beider Beteiligten erfordert, kann sie zudem ein Mittel zur gütlichen Einigung über Trennungs- und Scheidungsfolgen sein.
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