13.09.2005

Mit seinem Urteil vom 27. Juni 2005 (Kommentierung vom 09.09.2005 auf dieser Homepage) hatte der II. Senat des BGH bereits Gelegenheit, die bislang etwas konturlose Rechtsfigur des „faktischen Geschäftsführers“ zu schärfen. In dieser Entscheidung hatte der BGH die Grenzen aufgezeigt, die überschritten werden müssen, um einen nicht satzungsmäßigen Geschäftsführer in die Rechtsstellung eines faktischen Geschäftsführers zu heben. Er hatte in dem entschiedenen Fall diese Grenzen mangels eines ausreichenden Handelns mit Auswirkung als noch nicht überschritten gesehen. Es scheint so, als hätte derselbe Senat nur auf einen weiteren Fall gewartet, um die andere Seite der Grenze aufzuzeigen. Hierzu hatte der II. Senat in seinem Urteil vom 11. Juli 2005 (Aktenzeichen II ZR 235/03) Gelegenheit – zugegebener Maßen ein recht krasser Fall.

In dem am 11. Juli 2005 entschiedenen Sachverhalt wurde wiederum ein nicht satzungsmäßig zur Geschäftsführung berufener Dritter wegen Insolvenzverschleppung mit der Begründung in die Haftung genommen, er sei faktischer Geschäftsführer gewesen, so dass ihn auch die Insolvenzantragspflicht des § 64 GmbHG getroffen habe. Dies bestätigte der II. Senat in seiner jüngsten Entscheidung.

Zunächst umreißt der Senat wiederum die Voraussetzungen der Rechtsfigur der „faktischen Geschäftsführung“:

„Nach der ständigen Senatsrechtsprechung kommt es für die Beurteilung der Frage, ob jemand faktisch wie ein Organmitglied gehandelt und als Konsequenz seines Verhaltens sich wie ein nach dem Gesetz bestelltes Organmitglied zu verantworten hat, auf das Gesamterscheinungsbild seines Auftretens an. Danach ist es allerdings nicht erforderlich, dass der Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdrängt. Entscheidend ist vielmehr, dass der Betreffende die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis, dass die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand genommen hat.“

Diese Voraussetzung sah der BGH bei der zu beurteilenden Sachverhaltsgestaltung als gegeben an.

Der Beklagte hatte sich vom Alleingesellschafter der GmbH eine umfassende Vollmacht einräumen lassen, diesen bei Gesellschafterversammlungen zu vertreten, ebenso bei allen anderen Tätigkeiten und Aufgaben und bei der Überwachung der Geschäftsführung. Zu dem war der Beklagte gegen eine monatliche Vergütung von 5.000,00 DM über den gesamten finanziellen Bereich der später in Insolvenz gefallenen GmbH allein zuständig und hatte auch allein Bank- und Zeichnungsvollmacht über das einzige Geschäftskonto dieser GmbH. Er nahm Überweisung sämtlicher Zahlungen für den laufenden Geschäftsbetrieb der GmbH vor und ließ sich u.a. die Kontoauszüge an seine eigene persönliche Geschäftsadresse schicken. Eine weitere, eigene GmbH des Beklagten übernahm gegen ein monatliches Honorar von 7.600,00 DM die Buchhaltung der Gemeinschuldnerin. Demgegenüber verfügte der satzungsmäßige Geschäftsführer lediglich über eine Bargeldkasse bis zu maximal 5.000,00 DM, von der er kleinere anfallende Kosten begleichen durfte. Die Auffüllung dieser Barkasse hing allerdings wieder von der Bewilligung und Überweisung durch den Beklagten ab.

In einer solchen Fallkonstellation sieht der II. Senat des BGH die Grenzen einer lediglich internen Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung überschritten. Insbesondere das in Verhandlungen dokumentierte Auftreten nach außen und vor allem die eigenständige und alleinige Abwicklung des wesentlichen Zahlungsverkehrs der Gesellschaft mit ausschließlicher Kontovollmacht für das einzige Geschäftskonto der Gesellschaft (unter Verdrängung des satzungsmäßigen Geschäftsführers) genüge für das notwendige Handeln mit Außenwirkung.

Hat also ein Dritter derartige Einflussnahme auf die Geschäftsführung auch mit Außenwirkung übernommen, kann er der Haftungsinanspruchnahme gegen Insolvenzverschleppung in seiner Eigenschaft als faktischer Geschäftsführer nicht mehr entgehen. Da mag es für den faktischen Geschäftsführer ein schwacher Trost sein, dass ihm – wie der BGH klarstellt –

„im Urteil ein Vorbehalt hinsichtlich seines Verfolgungsrechts gegen den Insolvenzverwalter bezüglich seiner Gegenansprüche nach Erstattung an die Masse von Amts wegen aufzunehmen ist“.

Ohne einen solchen Vorbehalt wäre die Masse bereichert. Der faktische Geschäftsführer hat nach einer Zahlung aufgrund der Haftungsinanspruchnahme einen Gegenanspruch gegen die Masse, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte. Eben dieser Gegenanspruch ist dem Geschäftsführer im Urteilsspruch vorzubehalten.

Nachdem der II. Senat nunmehr hinsichtlich der Figur des faktischen Geschäftsführers einen Fall pro und einen Fall contra entschieden hat, lässt sich für Dritte, die aus verschiedensten Gründen Einflussnahme auf die Geschäftsführung einer krisenbedrohten Gesellschaft nehmen, eine recht genaue Grenzziehung und damit eine recht genaue Bestimmung der Risikoschwelle für den Dritten vornehmen. Ein wesentliches Kriterium, bei dem der BGH die Grenze zum Handeln mit Außenwirkung überschritten sieht, ist die Kontrolle des Zahlungsverkehrs und die persönliche Vornahme von Überweisungen. Gerade hierauf wird in allen Grenzfällen ein besonderes Augenmerk zu richten sein.

Verfasser: RA & StB Andreas Jahn

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