09.11.2022 -


Begünstigungen von Betriebsratsmitgliedern müssen aufgrund des Bevorteilungsverbots gut begründet werden. (credit:adobestock)

Betriebsratsmitglieder dürfen bekanntlich weder bevorteilt noch benachteiligt werden. Dies folgt aus § 78 Satz 2 BetrVG. In der Praxis kommt es allerdings immer wieder zu strittigen Fragestellungen zu dieser Thematik. Wie verhält es sich mit der freien Vertragsautonomie im Verhältnis zu der Spezialvorschrift aus dem BetrVG? Kann man nicht schlicht freiwillig etwas vereinbaren und ist dann daran gebunden? Diese Auffassung ist jedoch rechtsirrig! Eine aktuelle Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts bestätigt dies (Sächsisches Landesarbeitsgericht v. 2.8.2021, 1 Sa 321/20). Wir möchten hier auf die wichtige Rechtsprechung aufmerksam machen und die Praxis vor vorschnellen Vereinbarungen mit freigestellten Betriebsratsmitgliedern ausdrücklich warnen.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war schon als studentische Hilfskraft bei dem beklagten Arbeitgeber, einem großen Filialbetrieb, seit 1996 tätig. Im Jahre 2005 wurde er zum Filialleiter ernannt. Einen Anspruch auf einen Dienstwagen und dessen Privatnutzung hatte der Kläger als Filialleiter nicht. Einen solchen Anspruch hatten auch die anderen ca. 420 bis 450 Filialleiter nicht.

Im Jahre 2011 wurde der Kläger nach vorheriger Wahl in den Betriebsrat für die Betriebsratstätigkeit vollständig von der Arbeitsleistung freigestellt.

Im Jahre 2011 vereinbarten die Vertragsparteien eine sogenannte „Springervereinbarung“ im Rahmen einer Vertragsänderung. In dieser Vereinbarung wurde dem Kläger u.a. ein Dienstwagen zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt. In der Folge kam es dann zu einer Vielzahl von weiteren Zusatzvereinbarungen. Durchgehend blieb es aber bei der Vereinbarung, einen Dienstwagen auch privat nutzen zu dürfen.

Im Jahre 2019 teilte der Arbeitgeber hingegen dem Arbeitnehmer mit, sein Dienstwagen sei bis spätestens 30. April 2019 zurückzugeben. In dem Schreiben heißt es auszugsweise:

„Vor Deiner vollständigen Freistellung zur Betriebsratsarbeit warst Du als Filialleiter tätig. Erst im Rahmen Deiner Betriebsratstätigkeit und für deren Dauer als freigestelltes Betriebsratsmitglied erfolgte eine Eingruppierung als Springer. Teil der damit verbundenen Konditionen war die Gewährung eines Dienstwagens mit privater
Nutzungsmöglichkeit, die Tätigkeit im Mobile Office sowie eine höhere Vergütung. Dies steht im Widerspruch zum Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 Alternative 2 BetrVG (so z.B. BAG v. 29.08.2018 – 7 AZR 206/17 – zur Vergütung), welches jegliche Besserstellung wegen der Betriebsratstätigkeit untersagt. Die gegen das Begünstigungsverbot verstoßenden vertraglichen Vereinbarungen sind rechtlich nichtig.“

Der Kläger gab daraufhin den Dienstwagen zurück. Er hat allerdings Klage erhoben. Er sei als freigestelltes Betriebsratsmitglied in allen Filialen des Flächenfilialbetriebes tätig geworden und musste dort auch hinreisen. Ihm sei vertraglich dauerhaft, vorbehaltlos und ohne zulässiges Widerrufsrecht ein Dienstwagen zur Verfügung gestellt worden. Wegen der vertraglichen Regelungen sei der Entzug des Dienstwagens zur Privatnutzung nur über eine Änderungskündigung möglich.

Das Arbeitsgericht hat die Klage, die u.a. auf Schadensersatz und die Gewährung eines neuen Dienstwagens gerichtet war, abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts in vollem Umfange bestätigt.

I. Begünstigungsverbot für Betriebsratsmitglieder

Nach § 78 Satz 2 BetrVG darf ein Mitglied des Betriebsrats wegen seiner Tätigkeit u.a. nicht begünstigt werden. Dies zielt darauf ab, die innere und äußere Unabhängigkeit von Betriebsratsmitgliedern zu wahren. Eine nach § 78 Satz 2 BetrVG untersagte Begünstigung ist jede Besserstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht.

So lag der Fall hier. Dem Kläger stand unstreitig als Filialleiter kein Anspruch auf Nutzung eines Dienstwagens zu privaten Zwecken zu. Die Vertragsänderung wurde ihrem Wortlaut nach also gerade wegen der Freistellung für die Betriebsratstätigkeit vereinbart. Dies war hier sogar sehr eindeutig, da die Vertragsänderung nach dem klaren Wortlaut in zeitlicher Hinsicht an die Dauer der Freistellung, die Amtszeit und die Stellung des Klägers als Betriebsrat gebunden war. Für das Gericht stand es daher fest, dass der Arbeitnehmer die Vergünstigung einer privaten Nutzung des Dienstwagens im Gegensatz zu anderen Filialleitern mithin gerade wegen der Betriebsratstätigkeit erhalten hatte.

Hinweis für die Praxis:

Ein Verstoß gegen das gesetzliche Begünstigungsverbot nach § 78 Satz 2 BetrVG führt unweigerlich nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der Vereinbarung. Der Arbeitsvertrag mit der betroffenen Vertragsänderung wird ab sofort damit vollständig nichtig und unwirksam. Damit stand dem Kläger kein Dienstwagen zur privaten Nutzung zu und er hatte auch keinen Schadensersatzanspruch.

II. Ausweg Laufbahnnachzeichnung?

Ein Ausweg könnte sich aus der sogenannten Laufbahnnachzeichnung gem. § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ergeben. Nach dieser Vorschrift darf das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden, als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass Mitglieder des Betriebsrats weder in wirtschaftlicher, noch in beruflicher Hinsicht gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung Nachteile erleiden. Es kommt also darauf an, ob die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der Dauer seiner Amtszeit in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückgeblieben ist.

Für diese Laufbahnnachzeichnung hätte jetzt der Arbeitnehmer darlegen und beweisen müssen, dass er in den Jahren auf die nächsthöhere Stufe befördert worden wäre und ihm dort ein Anspruch auf Gewährung eines Dienstwagens zugestanden hätte. Mit dem Kläger vergleichbar waren aber die ca. 420 bis 450 anderen Filialleiter. Diesen stand ein Anspruch auf Privatnutzung eines Dienstwagens nicht zu. Der Arbeitnehmer hätte hier also nachweisen müssen, dass er sich betriebsüblich in eine Position entwickelt hätte, die mit einem Anspruch auf Privatnutzung eines Dienstwagens verbunden gewesen wäre. Dies ist ihm nicht gelungen und in dieser Form hat er dies in diesem Rechtsstreit auch nicht behauptet.

Hinweis für die Praxis:

Die betriebsübliche Entwicklung und die damit verbundene Laufbahnnachzeichnung im Sinne des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist ebenfalls für Arbeitgeber zwingend anzuwenden. Das Zusammenspiel der Vorschriften des § 78 Satz 2 BetrVG und des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG macht aber deutlich, wie schwer die rechtswirksame Gewährung von Vorteilen zu prüfen ist. Einerseits müssen berechtigte Ansprüche gewährt werden, andererseits dürfen keine unberechtigten Vorteile zugestanden werden. Nur eine genaue Prüfung führt daher zu einer rechtssicheren Beurteilung. Dabei sollten sich die Vertragsparteien an objektiven Kriterien und vergleichbaren Mitarbeitern orientieren und nicht an den persönlichen Interessen oder dem Ziel einer besonders guten Zusammenarbeit.

Fazit:

Die Entscheidung liegt auf der Linie der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Diese Linie wird streng gehandhabt und in Zweifelsfällen sind Sondervereinbarungen mit Betriebsratsmitgliedern, die Begünstigungen enthalten, unwirksam. Der Praxis kann daher nur empfohlen werden, etwaige Vertragsänderungen und darin enthaltene Begünstigungen sorgfältig zu begründen und sachliche Gründe für die Gewährung anzuführen. Das Betriebsratsamt als solches darf nicht als Begründung herangeführt werden.

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