Anderweitige Verdienste des Arbeitnehmers dürfen bei Karenzentschädigungen nur in Höhe des § 74c HGB angerechnet werden. (credit:adobestock)
Für nachvertragliche Wettbewerbsverbote enthalten bekanntlich die §§ 74 ff. HGB spezielle Regelungen. Diese Regelungen enthalten ein grundsätzlich geschlossenes gesetzliches System, das die Bedingungen und Voraussetzungen für nachvertragliche Wettbewerbsverbote regelt und Vorgaben für entsprechende Vereinbarungen macht. Allerdings kommt es in der Praxis immer wieder zu, oftmals auch ungewollten, Abweichungen von diesem gesetzlichen System. Die Gerichte müssen sich dann mit der Frage befassen, ob diese Abweichung zur Nichtigkeit des nachvertraglichen Verbotes führt oder aber nur zu einer sogenannten Anpassung, wobei das Verbot insgesamt weiterhin erhalten bleibt. Das Bundesarbeitsgericht hat nun eine dieser Fragen für die Praxis klar entschieden (BAG v. 16.12.2021 – 8 AZR 498/20). Die praxisrelevante und zutreffende Entscheidung möchten wir hier vorstellen.
Der Fall (verkürzt):
Die Klage der Arbeitnehmerin war bei der beklagten Zahnarztpraxis vom 1. März 2014 bis zum 15. April 2018 als Zahnärztin angestellt. Sie erhielt zuletzt einen Bruttomonatslohn in Höhe von 5.446,86 €.
In dem Arbeitsvertrag für Assistenzzahnärzte war auszugsweise Folgendes geregelt:
„§ 15 Konkurrenzschutz
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses innerhalb von zwei Jahren in einem Umkreis von 3 km von der Praxis des Arbeitgebers keine zahnärztliche Tätigkeit in eigener Praxis aufzunehmen. Im Fall der Zuwiderhandlung wird eine Vertragsstrafe in Höhe von € …. fällig. Der Arbeitgeber verpflichtet sich für die Dauer des Verbotes jährlich eine Entschädigung zu zahlen, in Höhe der Hälfte der vom Arbeitnehmer zuletzt bezogenen Vergütung. Wobei darauf angerechnet wird, was der Arbeitnehmer durch Verwertung seiner Arbeitskraft erwirkt oder zu erwerben böswillig unterlässt.“
Im Januar 2018 schlossen die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung, die auszugsweise den folgenden Inhalt hatte:
„Die Parteien heben dieses Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit Wirkung zum Ablauf des 15. April 2018 auf.
Der Arbeitgeber wird das laufende Gehalt für die Zeit bis zum 15. April 2018 ordnungsgemäß abrechnen und auszahlen.
Als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zahlt der Arbeitgeber an die Arbeitnehmerin zusammen mit der Abrechnung für den Monat April einen Betrag in Höhe von 10.338,50 € brutto.
….“
Schon am Tag nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab dem 16. April 2018 nahm die Arbeitnehmerin eine Tätigkeit als angestellte Zahnärztin in einer Zahnarztpraxis auf, die weiter als 3 km von der Praxis des beklagten Arbeitgebers entfernt lag.
Mit ihrer Zahlungsklage hat sie die Zahlung der Karenzentschädigung in bezifferter Höhe nebst Zinsen für die Zeit vom 16. April 2018 bis zum 15. April 2020 geltend gemacht. Dabei hat sie die Beachtung der sich aus dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot ergebenden und vereinbarten Karenzentschädigung in Höhe von 2.723,43 € brutto eingefordert, also 50 % des zuletzt bezogenen Bruttomonatsentgeltes, hälftig für den April 2018 und den April 2020. Insgesamt hat sie daher einen Zahlungsbetrag nebst Zinsen in Höhe von 26.589,27 € brutto eingeklagt.
Der Arbeitgeber hat hingegen vorgetragen, durch den Aufhebungsvertrag sei auch das nachvertragliche Wettbewerbsverbot einvernehmlich aufgehoben worden. Auch sei das Wettbewerbsverbot insgesamt unverbindlich. Zudem habe sich die Zahnärztin für die Einhaltung des Wettbewerbsverbotes entschieden. Sie könne daher die Karenzentschädigung lediglich in Höhe der vertraglichen Vereinbarung verlangen, also insbesondere unter Berücksichtigung der dortigen Anrechnungsregelung, die eine volle Anrechnung des anderweitig erzielten Verdienstes vorsehe. Diese Regelung sei wirksam.
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen der Klage stattgegeben.
Die Entscheidung:
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts in vollem Umfange bestätigt. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch zu.
I. Wirksame Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes
Zunächst hat das Bundesarbeitsgericht die Wirksamkeit des vereinbarten nachträglichen Wettbewerbsverbotes geprüft und diese Wirksamkeit bejaht. In der Rechtsprechung wird dazu zwischen einem verbindlichen und einem nichtigen Wettbewerbsverbot differenziert. Ein Wettbewerbsverbot ist immer dann wirksam und verbindlich, wenn es dem Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Arbeitgebers dient und der Arbeitgeber sich verpflichtet, eine Karenzentschädigung zu zahlen, die mindestens die Hälfte der vom Arbeitnehmer zuletzt bezogenen Vertragsleistungen erreicht. Hingegen ist ein Wettbewerbsverbot immer dann nichtig, wenn die strengen Vorgaben der §§ 74 ff. HGB nicht beachtet werden. Dies ist in der Regel vor allem dann der Fall, wenn keine Karenzentschädigungszahlung vorgesehen ist.
Das Bundesarbeitsgericht hat diese gesetzlichen Vorgaben hier bejaht. Abgesehen von der Frage, ob die volle Anrechnung des anderweitigen Verdienstes zulässig ist, dazu sogleich, waren alle strengen Vorgaben für ein wirksam vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot hier gegeben.
Hinweis für die Praxis:
Schon bei der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes ist große Sorgfalt auf den Vertragstext zu verwenden. So sind Vereinbarungen nur dann wirksam, wenn sie in einer entsprechenden Urkunde niedergelegt und die Schriftform eingehalten wird. Diese Urkunde kann der Arbeitsvertrag sein, wie hier geschehen. Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot kann auch gesondert vereinbart werden. Wichtig ist nur, dass die Schriftform, also die Unterzeichnung von beiden Parteien gewahrt wird.
II. Aufhebung durch Aufhebungsvertrag?
Der Arbeitgeber hat hier eine Unverbindlichkeit schon deshalb angenommen, weil im Rahmen der Aufhebungsvereinbarung das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehoben worden ist. Dem hat das Bundesarbeitsgericht widersprochen. Zwar können die Arbeitsvertragsparteien wegen der bestehenden Vertragsfreiheit ein Wettbewerbsverbot grundsätzlich jederzeit einvernehmlich, auch konkludent, wieder aufheben. Es bedarf dann aber entsprechender Anhaltspunkte in einer Aufhebungsvereinbarung. Daran fehlte es hier. Aus der einvernehmlichen Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses kann nicht per se auf die Aufhebung eines zuvor arbeitsvertraglich vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes geschlossen werden. Dazu bedarf es weiterer Anhaltspunkte, die hier eben nicht gegeben waren.
III. Volle Anrechnung des anderweitigen Verdienstes?
Die Vorschrift des § 74c Abs. 1 S. 1 HGB sieht vor, dass sich der Arbeitnehmer auf die Karrenzentschädigung das anrechnen lassen muss, was er während des Zeitraumes, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirkt. Dabei sieht die Vorschrift aber genau vor, wie hoch die Anrechnung sein muss. Der anderweitige Verdienst ist nur insoweit anzurechnen, als die Summe aus anzurechnenden Erwerb und Entschädigung mehr als 110 v.H. der bisherigen vertragsmäßigen Leistungen beträgt. Dies wären hier im konkreten Fall also 5.991,55 € brutto gewesen (zuletzt bezogenes Gehalt 5.446,86 €, zzgl. von diesem Betrag 10 % = 110 v.H.).
Der Arbeitgeber hatte nun die volle Anrechnung des anderweitigen Verdienstes und nicht die Begrenzung auf das vorgenannte gesetzliche System geltend gemacht. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht jetzt klargestellt, dass diese vertraglich überschießende Regelung nicht zur Nichtigkeit des gesamten Verbotes führt. Vielmehr führt diese Vereinbarung nur dazu, dass die vertragliche Anrechnungsvereinbarung insoweit für den Arbeitnehmer unverbindlich ist, als sie über die Vorgaben des § 74c Abs. 1. S. 1 HGB hinausgeht. Mit anderen Worten: Die Regelung wird auf das zulässige Maß zurückgeführt. Die Arbeitnehmerin ist an das Wettbewerbsverbot gebunden und hält sich auch daran gebunden für die maßgeblichen zwei Jahre. Im Gegenzug ist dann der Arbeitgeber zur Zahlung der Karenzentschädigung verpflichtet und darf nur in Höhe der gesetzlichen Anrechnungsregel des § 74c HGB anderweitige Vergütung anrechnen.
Fazit:
Die gesetzlichen Bestimmungen der §§ 74 ff. HGB enthalten ein geschlossenes gesetzliches System. Dieses System regelt die Bedingungen und Voraussetzungen für nachvertragliche Wettbewerbsverbote. Daran müssen sich die Arbeitsvertragsparteien orientieren. Kommt es zu Abweichungen, muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob dies zur Nichtigkeit des gesamten Verbotes führt. Kommt eine Nichtigkeit nicht in Betracht, bleibt das Verbot verbindlich und wird an das zulässige Maß angepasst. Wichtig sind vor allem genaue und präzises Regelungen, so dass beide Vertragsparteien aus der Vereinbarung selbst heraus erkennen können, was für sie gelten soll und welche Ansprüche sie haben. Abschließend ist noch zu erwähnen, dass die Frage einer AGB-Kontrolle, die hier vom Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offengelassen wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat die rechtliche Beurteilung auf Basis der §§ 74 ff. HGB vorgenommen und sich nicht zusätzlich mit den Anforderungen einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB befasst.
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