18.10.2005

In einer grundlegenden Entscheidung vom 18.10.2005 – KZR 36/04 hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass Stromversorgungsunternehmen, welche das Netz eines anderen Versorgers zur Durchleitung elektrischer Energie nutzen, eine zivilgerichtliche Überprüfung der Höhe des vertraglich vereinbarten Netznutzungsentgelts am Maßstab „guter fachlicher Praxis“ (§ 6 Abs. 1 EnWG) verlangen können, wenn sich dieses Entgelt nach der vertraglichen Vereinbarung nach den jeweils aktuellen Preisen des Netzbetreibers richten soll.

Der Fall:

In dem entschiedenen Fall hatte das klagende Stromversorgungsunternehmen, das bundesweit Strom anbietet, aber über kein eigenes Netz verfügt, mit dem Betreiber des Stromnetzes in der Stadt Mannheim einen Rahmenvertrag über die Nutzung dieses Stromnetzes geschlossen. Darin war vorgesehen, dass sich das Durchleitungsentgelt nach dem jeweils geltenden Preisblatt des Netzbetreibers bestimmt. Das Stromversorgungsunternehmen hatte sich bei Vertragsschluss vorbehalten,

„die … in Rechnung gestellten Entgelte im ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen energie- und kartellrechtlich überprüfen zu lassen“.

Das Landgericht Mannheim hat die mit dem Ziel einer solchen Überprüfung erhobene Klage abgewiesen. Die Berufung zum Oberlandesgericht Karlsruhe hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Voraussetzungen für eine Überprüfung der Höhe der Netznutzungsentgelte am Maßstab „billigen Ermessens“ (§ 315 Abs. 3 BGB) oder auf der Grundlage der einschlägigen energiewirtschafts- und kartellrechtlichen Normen (§ 6 Abs. 1 EnWG a.F.; § 19 Abs. 4, § 20 Abs. 1 GWB) lägen nicht vor.

Die Entscheidung des BGH:

Der BGH sieht in der vertraglich vorgesehenen dynamischen Verweisung auf die jeweils geltenden Preisblätter des Netzbetreibers ein einseitiges Preisbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB. Seine Ausübung ist gemäß §315 Abs. 3 BGB daraufhin zu überprüfen, ob sie billigem Ermessen entspricht. Der Anwendung des § 315 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, dass §6 Abs. 1 EnWG (i.d.F. vom 26.8.1998 bzw. vom 20.5.2003) die Bedingungen der Netzüberlassung gesetzlich festlegt. Durch den vom Energiewirtschaftsgesetz vorgesehenen Maßstab „guter fachlicher Praxis“ wird der allgemeine Maßstab des „billigen Ermessens“ vielmehr konkretisiert. Eine gute fachliche Praxis soll dabei auch der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs dienen (§ 6 Abs. 1 Satz 4 EnWG a.F.) und muss sich an diesem Ziel messen lassen.

Dem BGH zufolge obliegt dem Netzbetreiber die Darlegungslast für die Billigkeit seiner Preisbestimmung. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Tarife des beklagten Netzbetreibers von der für die Preisgenehmigung nach §12 BTOElt zuständigen Behörde nicht beanstandet worden sind. Die öffentlich-rechtliche Wirkung der Genehmigung beschränkt sich auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger und ist für die privatrechtliche Überprüfung eines einseitig festgesetzten Entgelts am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB nicht vorgreiflich.

Um dem beklagten Netzbetreiber Gelegenheit zu geben, zur Angemessenheit seiner Tarife vorzutragen, hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof tritt dabei der Auffassung entgegen, bei Beachtung der Preisfindungsprinzipien der Anlage 3 zur Verbändevereinbarung Strom II plus könne auch für die Zeit nach dem 31. Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet werden. Eine solche Vermutung sieht § 6 Abs. 1 Satz 5 EnWG a. F. nur für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2003 vor. Die Erwägung, der Gesetzgeber habe für eine Übergangszeit Rechtssicherheit schaffen wollen, verbietet es, die Vermutungswirkung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes über das Jahr 2003 hinaus auszudehnen.

Der Bundesgerichtshof bestätigt ferner seine Rechtsprechung, dass die Vermutung der Einhaltung guter fachlicher Praxis auch für ihren zeitlichen Geltungsbereich den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB oder eine Diskriminierung gemäß § 20 Abs. 1 GWB nicht ausschließt. Die kartellrechtliche Prüfung ist vielmehr von der energiewirtschaftsrechtlichen grundsätzlich unabhängig.

Konsequenz für die Praxis:

Versorger können nun die von Netzbetreibern verlangten Durchleitungsentgelte gerichtlich überprüfen lassen, wenn das Netznutzungsentgelt sich nach den jeweils aktuellen Preisen des Netzbetreibers richten soll, diesem also ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 BGB zusteht.

Zur Vermeidung damit verbundener Unsicherheiten ist Netzbetreibern und Versorgern zu empfehlen, in Verträgen keine einseitige Festlegung der Tarife durch den Netzbetreiber zu vereinbaren, sondern die Preisermittlung anhand einer feststehenden Berechnungsformel, deren Komponenten sich aber je nach Marktlage ändern können (Preisgleitklauseln) vorzunehmen. In diesen Fällen kommt eine Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB nicht in Betracht.

Verfasser: RA Alexander Knauss, Bonn
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 144/2005 vom 18.10.2005

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