08.02.2006 -

Im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber bekanntlich auch die Grundsätze der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG beachten. Der zuständige 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte sich nun mit der Frage zu befassen, ob Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz, der voraussichtlich alsbald auslaufen wird, in die Sozialauswahl einzubeziehen sind 2). Erfreulicherweise hat das Bundesarbeitsgericht hier eine klare Position eingenommen. (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 21.04.2005 – 2 AZR 241/04 -, BB 2005, 2471 = DB 2005, 2527 = NZA 2005, 1307 = NJW 2006, 108)

Der Sachverhalt der Entscheidung:

In einem Warenhaus in Berlin waren drei Schauwerbegestalter beschäftigt. Die 1962 geborene Klägerin, verheiratet, zwei Kindern unterhaltsverpflichtet und seit 1980 beschäftigt. Herr K, 1956 geboren, seit 1981 beschäftigt und für ein Kind unterhaltsverpflichtet sowie Herr A, 1948 geboren, erst seit 1994 beschäftigt, keine unterhaltsberechtigten Kinder, allerdings bis Mai 2002 Mitglied des Betriebsrats.

Die deutschlandweit betriebenen Warenhäuser sollten künftig durch so genannte zentralgebildete „Visual-Merchandising-Teams“ einheitlich gestaltet werden. Zu diesem Zweck wurde mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen. Aufgrund dieser Entscheidung ist in dem Warenhaus in Berlin der Beschäftigungsbedarf für einen der drei Schauwerbegestalter weggefallen. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin der Arbeitnehmerin.

Gegen diese betriebsbedingte Kündigung hat die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage eingereicht und die Auffassung vertreten, dringende betriebliche Erfordernisse stünden ihrer Weiterbeschäftigung nicht entgegen. Die Sozialauswahl sei fehlerhaft durchgeführt worden. Insbesondere der Sonderkündigungsschutz des Mitarbeiters A sei demnächst ausgelaufen, so dass ihm unter Berücksichtigung der für ihn geltenden kürzeren Kündigungsfrist mindestens zum selben Zeitpunkt wie ihr habe gekündigt werden können.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Das Bundesarbeitsgericht hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Maßgeblicher Zeitpunkt des Kündigungszugangs

Für die Beurteilung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung kommt es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs an.

Hinweis für die Praxis:

Allerdings schließt dies nicht aus, zum Kündigungszeitpunkt schon hinreichend sicher voraussehbare künftige Entwicklungen zu berücksichtigen. So muss der Arbeitgeber bei der Frage, ob der zu kündigende Arbeitnehmer zu gleichen oder geänderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt werden kann, auch solche Arbeitsplätze als „frei“ ansehen, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zwar besetzt sind, deren Freiwerden bis zum Ablauf der Kündigungsfrist aber bei Ausspruch der Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhersehbar ist.

II. Auswahl relevanter Personenkreis bei Sozialauswahl

In die soziale Auswahl sind diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die von demselben dringenden betrieblichen Erfordernis betroffen sind. Allerdings scheiden aus dem auswahlrelevanten Personenkreis solche Arbeitnehmer aus, bei denen eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung aufgrund des Gesetzes ausgeschlossen ist. Gesetzliche Kündigungsverbote gehen dem allgemeinen Kündigungsschutz als spezialgesetzliche Regelungen vor. Hiervon ausgehend wäre der Arbeitnehmer A nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Die Kündigungsentscheidung erfolgte im März 2003. Herr A war jedoch bis Mai 2002 Mitglied des Betriebsrats, so dass der nachwirkende Kündigungsschutz aufgrund dieser Mitgliedschaft noch bis Mai 2003 wirkte. Die Kündigung des Herrn A hätte deshalb frühestens im Juni 2003 ausgesprochen werden können.

III. Keine andere Beurteilung bei alsbald auslaufendem Sonderkündigungsschutz

Das Arbeitsgericht hat in der Berufungsinstanz noch entschieden, der Arbeitgeber hätte mit der Kündigung bis Ende Mai 2003 warten müssen. Dann hätte das mit Herrn A bestehende Arbeitsverhältnis ebenfalls zum 31. Oktober 2003, wie auch das gekündigte Arbeitsverhältnis der Klägerin, wegen deren längerer Kündigungsfrist geendet.

Dem ist das Bundesarbeitsgericht entschieden entgegengetreten: Zunächst einmal reagierte der Arbeitgeber mit der Kündigung auf einen bereits eingetretenen Wegfall des Beschäftigungsbedarfs. Es ging also nicht um einen erst zukünftig eintretenden Kündigungsgrund. Im Unterschied zu den Fällen, in denen noch absehbare zukünftige Ereignisse bereits bei der Kündigung zu berücksichtigen sind, hätte der Arbeitgeber im vorliegenden Fall den Ausspruch der Kündigung verschieben müssen. Dies wurde aber bislang von der Rechtsprechung nicht verlangt. Für eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers findet sich auch im Kündigungsschutzgesetz keine Stütze.

Zudem würde eine solche Verpflichtung voraussetzen, dass die spätere Kündigung in jedem Fall wirksam wäre. Dies kann jedoch nicht sicher beurteilt werden. Unwägbar ist bspw., wie zu dieser Zeit der vergleichbare Personenkreis zu bestimmen wäre oder ob andere vergleichbare Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt unter ein gesetzliches Kündigungsverbot fallen.

Auch aus praktikablen Gesichtspunkten ist eine solche Verpflichtung abzulehnen. Der Arbeitgeber müsste in einem zweiten Schritt prüfen, ob zu dem späteren Zeitpunkt unter Berücksichtigung der individuellen Kündigungsfristen der einzelnen Arbeitnehmer möglicherweise weitere Arbeitnehmer ausscheiden könnten, die nun wegen Wegfalls des Sonderkündigungsschutzes in die Sozialauswahl wiederum einzubeziehen wären. Dann müsste eine neue Sozialauswahl stattfinden. Insbesondere bei einer Vielzahl von vergleichbaren Arbeitnehmern würde dies zu nicht mehr hinnehmbarer Rechtsunsicherheit führen.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht hat zutreffend auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung abgestellt. In die Sozialauswahl sind zu diesem Zeitpunkt solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, die Sonderkündigungsschutz genießen. Dies gilt auch dann, wenn im Zeitpunk der beabsichtigten Kündigung der Sonderkündigungsschutz voraussichtlich alsbald auslaufen wird.

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

 

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