Immer wieder werden in Testamenten Regelungen aufgenommen, welche die Nachkommen zu einem bestimmten Verhalten anhalten sollen, indem sie bei „Verstößen“ gegen diese Verhaltensregeln von der Erbfolge ausgeschlossen werden sollen.
Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in einem Beschluss vom 22.03.2004 – 1 BvR 2248/01, mit dem eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgehoben wurde, wie folgt Stellung genommen:
„Eine auf den Hausgesetzen der Hohenzollern fußende Erbunwürdigkeitsklausel in einem Erbvertrag, die den Nachgeborenen von der Erbfolge ausschließt, wenn er eine nicht ebenbürtige protestantische Frau heiratet, ist von den Instanzgerichten darauf zu prüfen, ob sie möglicherweise unzumutbaren Druck bei der Partnerwahl auf den Nachgeborenen ausübt oder nicht. Dies gilt im besonderen nach Abschaffung der Monarchie und damit Verlust der staatspolitischen Bedeutung der Hausgesetze des preußischen Königshauses. „
Bei der Prüfung, ob eine erbrechtliche Regelung sittenwidrig ist, ist auf den Zeitpunkt der richterlichen Beurteilung abzustellen, nicht auf den Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung.
Zum Hintergrund:
Der Bundesgerichtshof hatte eine sog. Erbunfähigkeitsklausel in einem Erbvertrag zwischen dem verstorbenen ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen und seinem zweitältesten Sohn, dem zwischenzeitlich ebenfalls verstorbenen Prinzen Louis Ferdinand aus dem Jahre 1938 als wirksam angesehen.
Der Erbvertrag sah vor, dass Prinz Louis Ferdinand nach dem Tode des Kronprinzen Wilhelm Vorerbe wurde; seine männlichen Abkömmlinge sollten nach den Grundsätzen der Erstgeburtsfolge Nacherben werden, allerdings nur unter der Bedingung, dass der jeweilige Abkömmling in einer der alten Brandenburg-Preußischen Hausverfassung entsprechenden Ehe lebt und aus einer solchen Ehe stammt (sog. Ebenbürtigkeitsklausel).
Der älteste Sohn des Prinzen Louis Ferdinand, der jetzige Beschwerdeführer, der nicht in einer solchen standesgemäßen Ehe lebte, war der Ansicht, dass er trotz dieser Klausel nach dem Tode seines Vaters alleiniger Erbe geworden sei; ein Enkel des Prinzen beanspruchte ebenfalls die Erbenstellung.
In der gerichtlichen Auseinandersetzung hielt das Landgericht Hechingen die Erbunfähigkeitsklausel wegen Verstoßes gegen die guten Sitten für nichtig, ebenso das Oberlandesgericht Stuttgart.
Der Bundesgerichtshof sah die erbrechtliche Regelung hingegen als wirksam an: Die Sittenwidrigkeit einer Verfügung von Todes wegen komme nur in besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen in Betracht, ein solcher läge hier nicht vor. Auch sei kaum bestimmbar, ob und inwieweit die Klausel die Entscheidung der Abkömmlinge bezüglich ihrer Eheschließung tatsächlich beeinflusst habe; der Erblasserwille sei nicht auf die Beeinträchtigung der Eheschließungsfreiheit seiner Abkömmlinge gerichtet gewesen, sondern habe andere, mit dem Nachlass sachlich zusammenhängende Ziele verfolgt.
Die Entscheidung des BVerfG:
Diese Entscheidung hielt einer verfassungsrechtlichen Überprüfung des Bundesverfassungsgerichts nicht stand: Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, dass der Bundesgerichtshof im Rahmen der Abwägung zwischen der durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Testierfreiheit des Erblassers auf der einen Seite und der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Eheschließungsfreiheit der Abkömmlinge auf der andere Seite nicht alle in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles gewürdigt habe. Zum einen habe er nicht hinreichend geprüft, ob die Ebenbürtigkeitsklausel geeignet war, auf den Abkömmling einen unzumutbaren Druck bei der Eingehung der Ehe zu erzeugen; zum anderen sei nicht berücksichtigt worden, dass der Wert des Nachlasses geeignet sein könne, unter Berücksichtigung der Lebensführung und der sonstigen Vermögensverhältnisse die Entschließungsfreiheit des Abkömmlings bei Eingehung der Ehe nachhaltig zu beeinflussen. Zudem sei entscheidend, ob es überhaupt eine hinreichend realistische Möglichkeit gab, durch Eingehung einer ebenbürtigen Ehe die Erbenstellung zu erhalten, angesichts der außerordentlich geringen Anzahl von ebenbürtigen Damen protestantischen Glaubens. Schließlich wäre zu prüfen gewesen, ob der Ebenbürtigkeitsbegriff im Sinne des Hausgesetzes auch nach der Abschaffung der Monarchie noch geeignet war, wesentliche Rechtfertigungsgrundlage für eine solche bedingte Erbeinsetzung zu sein, nachdem die Regelung der Thronfolge im Deutschen Kaiserreich als Rechtfertigung weggefallen sei. Auch sei zu prüfen gewesen, ob dem Abkömmling im Fall seiner Enterbung andere erbrechtliche Ansprüche zustehen, die seiner Versorgung dienen, um den von der Ebenbürtigkeitsklausel ausgehenden wirtschaftlichen Druck bemessen zu können.
Obwohl die Entscheidung zunächst sehr speziell erscheint, ist sie von grundsätzlicher Relevanz: Sie beschäftigt sich mit der in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Frage, ob bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Testaments auf den Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung von Todes wegen oder der richterlichen Beurteilung abzustellen ist.
Das Bundesverfassungsgericht stellt auf den Zeitpunkt der richterlichen Beurteilung ab. Es verwirft allerdings nicht grundsätzlich Klauseln, die eine Verfügung von Todes wegen von der Entschließung des Bedachten zur Eingehung oder Aufrecherhaltung einer Ehe abhängig machen. Vielmehr stellt es klar, dass ein sittenwidriger Verstoß erst dann in Betracht kommt, wenn die Klausel geeignet ist, einen unzumutbaren Druck auf den Bedachten zu erzeugen, der sich sowohl bei der Eingehung der Ehe als auch bei deren Aufrechterhaltung zeigen kann.
Konsequenz für die Praxis:
Bei erbrechtlichen Klauseln, die eine Zuwendung unter die Bedingung der Ausübung eines verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsrechts stellen, muss grundsätzlich geprüft werden, ob sie den Bedachten unter unzumutbaren Druck setzen können. Entscheidende Bedeutung kann unter anderem die Größe des Nachlasses haben: Der Bedachte muss nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auf eine Beteiligung am Nachlass angewiesen sein.
Verfasserin: Rechtsanwältin Dr. Annette Wittmütz
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