09.03.2006

 

Mit dem am 15. Februar 2006 veröffentlichten Beschluss des X. Senats des BFH vom 1. Februar 2006 (Aktenzeichen X B 166/05) hat der BFH die Hoffnung vieler Steuerpflichtiger – einstweilen – zerschlagen, Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen (und beispielsweise den berufsständischen Versorgungswerken) als Werbungskosten abziehen zu können und nicht nur als beschränkt abziehbare Sonderausgaben. Das Niedersächsische Finanzgericht als Vorinstanz hatte dies in seiner eigenen Entscheidung vom 21. September 2005 noch anders beurteilt. Zwar handelt es sich bei dem Beschluss vom 1. Februar 2006 nur um eine vorläufige Entscheidung in einem Aussetzungsverfahren; da der Beschluss aber ausführlich begründet ist, steht zu befürchten, dass der X. Senat des BFH auch im Hauptsacheverfahren so entscheiden wird. Die Entscheidung ist allerdings nicht zweifelsfrei und setzt sich mit einigen maßgeblichen Kritikpunkten an der Regelung des Alterseinkünftegesetzes nicht auseinander, so dass an der grundsätzlichen Empfehlung, alle Steuerbescheide offenzuhalten, festgehalten werden sollte (vgl. hierzu auch den Beitrag des Verfassers auf dieser Homepage vom 6. Mai 2005 – Rechtssystematische und verfassungsrechtliche Überlegungen zur steuerlichen Behandlung der „Vorsorgeaufwendungen“ nach dem Alterseinkünftegesetz).

Problemaufriss:

Vor Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes mit seinen Änderungen der §§ 10 und 22 EStG mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 galten Beiträge zu gesetzlichen Rentenversicherung (und zu den berufsständigen Versorgungswerken) weder als Betriebsausgaben noch als Werbungskosten, sondern als beschränkt abziehbare Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG (a.F.)). Solche Vorsorgeaufwendungen konnten nur im Rahmen der Höchstbeträge des § 10 Abs. 3 abgezogen werden, jedoch nur insoweit, als ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte vorhanden war (§ 2 Abs. 4 Satz 1 EStG).

Im Gegenzug erfolgte die Besteuerung der Einkünfte aus den Renten nur in Höhe des Ertragsanteils, der sich aus der Tabelle des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG (a.F.) ermittelte. Der übrige Teil der Rentenzahlungen war die gedachte Rückzahlung des Rentenstamms, also der eingezahlten Versicherungsbeiträge.

§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a, aa, EStG in der Fassung des Alterseinkünftegesetzes sieht den Übergang zur nachgelagerten Besteuerung vor. Ab 2005 sind zunächst 50 % des Jahresbetrags der Rente steuerfrei, 50 % sind steuerpflichtige Einkünfte. Dieser steuerpflichtige Prozentsatz steigt bis ins Jahr 2040 in Stufen auf 100 % der Rente. Rentenleistungen sind dann voll steuerpflichtige Einkünfte.

Daraus folgerte ein großer Teil der Rechtsliteratur und Teile der Finanzrechtsprechung, dass die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung auch in der Übergangszeit bis 2040 Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG darstellen müssten. Denn sie werden aufgewendet, um in Zukunft dem Grunde nach steuerpflichtige Einkünfte zu erzielen. Damit sei ein ausreichender Veranlassungszusammenhang zwischen den getätigten Aufwendungen und den später steuerpflichtigen Einkünften hergestellt. Rentenleistungen müssten deshalb entgegen der Anordnung des Gesetzgebers im Alterseinkünftegesetz in derselben Quote als vorweggenommene Werbungskosten abgezogen werden können, in der später eine Besteuerung der Renteneinkünfte erfolgt. Die Einordnung als lediglich beschränkt abziehbare Sonderaufwendungen ließe sich nicht mehr rechtfertigen.

Dieser rechtssystematisch sicher zutreffenden Betrachtung ist der Bundesfinanzhof mit seinem Beschluss vom 1. Februar 2006 entgegengetreten.

Die Entscheidung des BFH:

Nach Ansicht des X. Senats des BFH sind Vorsorgeaufwendungen im zeitlichen Anwendungsbereich des Alterseinkünftegesetzes keine unbeschränkt abziehbaren vorweggenommenen Werbungskosten, sondern nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 EStG nur beschränkt abziehbare Sonderausgaben. Dies folge aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a, Abs. 3 und Abs. 4 a EStG, dem systematischen Zusammenhang dieser Vorschriften mit § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a, aa, Satz 3 EStG sowie dem hinreichend erkennbar gewordenen Willen des Gesetzgebers, der seinen Niederschlag im Gesetz gefunden habe.

Denn der Gesetzgeber habe bewusst Vorschläge nicht umgesetzt, die auf eine Behandlung von Rentenversicherungsbeiträgen als Werbungskosten abzielten. Stattdessen habe er in § 10 Abs. 3 Satz 5 EStG eine spezielle Zuweisung zu den Sonderausgaben angeordnet. Dies entfalte eine Sperrwirkung gegenüber der Anwendung der generellen Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Eine Beurteilung der Rentenversicherungsbeiträge als Werbungskosten komme danach nicht in Betracht.

Der Senat sieht sich aufgrund des Wortlauts der gesetzlichen Neuregelung gehindert, eine andere Auslegung zuzulassen. Denn dann würde die Neuregelung über den Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgeaufwendungen entgegen der erkennbaren Intention des Gesetzgebers leerlaufen – für diese Regelung bliebe dann kein eigener Anwendungsbereich mehr. Dies würde

„das gesamte auf Erlass des Alterseinkünftegesetzes gerichtete Gesetzgebungsverfahren desavouieren“.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzliche Zuweisung der Beiträge zur Rentenversicherung zu den Sonderausgaben bestehen nach Auffassung des Senats nicht. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 6. März 2002 (Aktenzeichen 2 BvL 17/99) angeordnet, bei einer Neuregelung des Rechts der Rentenbesteuerung die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird; das Gericht habe aber gleichzeitig einen weiten Gestaltungsspielraum zugestanden. Diesen Gestaltungsspielraum habe der Gesetzgeber bei Erlass des Alterseinkünftegesetzes gewahrt.

Damit aber verschiebt der BFH das Problem in die Zukunft und wirft neue Fragen auf. Denn der Senat ist der Auffassung, die Versagung des vollen Abzugs der Vorsorgeaufwendungen in den Jahren 2005 bis 2024 sei nicht isoliert zu betrachten, sondern nur in der Gesamtschau mit der späteren Rentenbesteuerung. Er führt hierzu aus:

„Insoweit wird später der Umfang der Rentenbesteuerung auf dem Prüfstand stehen, denn erst durch diesen wird ggf. eine verfassungsrechtlich unzulässige Überbesteuerung bewirkt werden. Aus diesem Grund hat der erkennende Senat im vorliegenden Verfahren auch noch nicht über die verfassungsrechtlichen Schranken der Besteuerung der zufliesenden Renteneinnahmen zu entscheiden.“

Erst dann, wenn die späteren Rentenleistungen tatsächlich einer Besteuerung durch die Finanzverwaltung unterworfen werden, solle überprüft werden, ob der Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts richtig umgesetzt hat. Erst dann soll auch entschieden werden, ob das zwingende Gebot des Bundesverfassungsgerichts beachtet wurde, Rentenzahlungen, die teilweise aus versteuertem Einkommen erbracht wurden, nicht erneut der Besteuerung zu unterwerfen. Die Klärung der verfassungsrechtlichen Problematik verschiebt der BFH beispielsweise auch mit folgender Bemerkung:

„Es ist davon auszugehen, dass die Problematik der zutreffenden Besteuerung der dem Alterseinkünftegesetz unterfallenden Renteneinkünfte in Fällen von ab dem Jahr 2005 zufliesenden Renteneinnahmen im Sinne von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a, aa EStG die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit in überschaubarer Zeit erreichen und sodann einer verfassungsrechtlichen Klärung zugeführt werden wird.“

Mit der systematischen Zuordnung der Rentenversicherungsbeiträge setzt sich der Senat im Übrigen nicht weiter auseinander. Vielmehr hält er die Einordnung als Sonderausgaben einerseits oder als Werbungskosten andererseits für verfassungsrechtlich irrelevant. Er führt hierzu aus:

„Insoweit ist es dann unerheblich, dass diese Minderung nicht im Rahmen des Werbungskostenabzugs, sondern durch den Sonderausgabenabzug bewirkt worden ist. In verfassungsrechtlicher Hinsicht ist nicht die zutreffende systematische Zuordnung dieser Aufwendungen entscheidend, sondern der Gesichtspunkt der am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes (Artikel 3 Abs. 1 GG) zu beurteilenden Ergebnisrichtigkeit.“

Kritik:

Der Entscheidung des X. Senats des BFH vom 1. Februar 2006 kann aus verschiedenen Gründen nicht beigetreten werden. Zwar scheint die grundsätzliche Überlegung vordergründig zutreffend, dass sich eine Doppelbesteuerung tatsächlich erst dann zeigen wird, wenn die späteren Renteneinkünfte durch die Finanzverwaltung einer Besteuerung unterworfen werden. Das ist aber zu kurz gesprungen. Denn für heute aktiv Erwerbstätige steht bereits jetzt fest, dass sie ihre Rentenbezüge in überwiegender oder später sogar voller Höhe versteuern müssen. Es besteht deshalb bereits jetzt die sichere Gewissheit einer zukünftigen Doppelbesteuerung, so dass Rechtsschutz bereits jetzt zu gewähren ist.

Es ist m.E. unzumutbar, die heute Erwerbstätigen sehenden Auges in die Doppelbesteuerung hineinlaufen zu lassen und dann in späteren Rechtsstreiten einen jeden Steuerpflichtigen individuell beweisen zu lassen, dass es in seinem speziellen Fall zu einer Doppelbesteuerung gekommen ist. Denn dann müsste jeder Steuerpflichtige im Zweifel auf dreißig und mehr Jahre zurückrechnen, inwieweit seine bisherigen Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen aufgebracht worden, um diese Zahl ins Verhältnis zu setzen mit dem Grad der prozentualen Steuerbefreiung. Dem Steuerpflichtigen wird dieser Nachweis aller Voraussicht nach nicht mehr möglich sein.

Der BFH erkennt auch nicht das Problem einer zwangsläufigen und nach den Regeln des Alterseinkünftegesetzes nicht zu vermeidenden Doppelbesteuerung im Fall eines negativen Gesamtbetrages der Einkünfte eines Steuerpflichtigen. Denn gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 EStG sind Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben erst nach einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte zu berücksichtigen. Weil § 10 d EStG aber nicht auf das so ermittelte Einkommen, sondern den Gesamtbetrag der Einkünfte abstellt, ist ein durch Vorsorgeaufwendungen über einen Gesamtbetrag der Einkünfte hinausgehendes negatives Einkommen nicht rück- und vortragsfähig. Die an sich vorgesehene Steuerbefreiung kann deshalb in Verlustjahren nicht greifen und sie kann auch weder zurückgetragen noch in den Folgejahren wieder aufgeholt werden. Beiträge beispielsweise zu berufständigen Versorgungswerken in den Verlustjahren mit negativem Gesamtbetrag der Einkünfte sind deshalb zwingend aus versteuertem Einkommen erbracht. Da diese Umstände bei einer Besteuerung der Rentenzahlungen im Wege der nach der nachgelagerten Besteuerung keine Berücksichtigung finden, führt dies zwingend zu einer Doppelbesteuerung.

Es ist deshalb keineswegs überzeugend, wenn der BFH die „zutreffende systematische Zuordnung“ der Beiträge zur Altersversorgung für verfassungsrechtlich irrelevant hält.

Vielmehr ist die zutreffende systematische Einordnung der Beiträge von entscheidender Wichtigkeit. Diese Beiträge zur Zukunftssicherung sind rechtssystematisch Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Denn sie werden aufgewendet, um in Zukunft dem Grunde nach steuerpflichtige Einkünfte zu erzielen. Unter Berücksichtigung des so genannten objektiven Nettobetriebs sind Rentenversicherungsbeiträge wiederum rechtssystematisch zutreffend bereits im Jahr der Beitragszahlung in Höhe der Quote abzugsfähig, mit der ein späterer Rentenbezug voraussichtlich nach § 22 Nr. 1 EStG steuerpflichtig sein wird.

Die hiergegen vorgebrachte Begründung des BFH überzeugt nicht, vor allem nicht in dem gewählten Wortlaut. Denn es kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber eine andere Intention verfolgt hat und diese erkennbar ins Gesetz eingeflossen ist, und es ist auch unbeachtlich, wie und mit welchen Mehrheiten ein Gesetz zustande gekommen ist, solange es den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 6. März 2002 widerspricht. Völlig deplaziert ist deshalb die Wortwahl des BFH, eine in § 10 Abs. 3 Satz 5 EStG aushöhlende Auslegung würde „das gesamte auf Erlass des Alterseinkünftegesetz gerichtete Gesetzgebungsverfahren desavouieren“. Die begründete verfassungsrechtliche Kritik am Alterseinkünftegesetz verfolgt keinesfalls den Zweck, den Gesetzgeber bloßzustellen; sie zeigt lediglich zutreffend die fehlerhafte Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts durch den Gesetzgeber auf.

Lediglich als abschließende Anmerkung sei zu dem erwähnt, dass die vom Gesetzgeber vorgenommene unzutreffende rechtssystematische Zuweisung der Beiträge zur Rentenversicherung als Sonderausgaben noch weitere nachteilige Folgen für Steuerpflichtige außerhalb des reinen Steuerrechts nach sich zieht. So stellt beispielsweise § 6 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz für die Ermittlung der Bezugsberechtigung für Erziehungsgeld auf die Summe der Einkünfte ab. Bei Berücksichtigung der Beiträge zur Rentenversicherung ergäbe sich in vielen Fällen ein (höherer) Anspruch auf Erziehungsgeld als bei Erfassung erst im Rahmen des Sonderausgabenabzugs. Denn dort verpuffen diese Aufwendung ungenutzt und können den Erziehungsgeldanspruch nicht mehr beeinflussen. Auch deshalb erscheint es verfassungsrechtlich angezeigt, eine systemgerechte Zuweisung der Rentenversicherungsbeiträge im Einkommensteuersystem vorzunehmen.

Fazit:

Die Entscheidung des BFH vom 1. Februar 2006 überzeugt aus verschiedenen Gründen nicht. Da die Entscheidung nur im vorläufigen Rechtschutz gefallen ist, besteht noch keine Veranlassung, den Kopf in den Sand zu stecken. Keinesfalls sollte vorschnell darauf verzichtet werden, Einsprüche gegen Einkommensteuerbescheide einzulegen, eingelegte Einsprüche sollten vorsorglich nicht zurückgenommen werden. Eine endgültige Klärung wird der BFH erst im Hauptsacheverfahren zu treffen haben. Es bleibt zu hoffen, dass der X. Senat des BFH bis dahin bessere Einsichten gewinnt.

Verfasser: Rechtsanwalt & Steuerberater Andreas Jahn, MEYER-KÖRING v.DANWITZ PRIVAT – Bonn

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