13.07.2006 -

Arbeitnehmer haben im Krankheitsfall einen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch. Dieser entsteht aber nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit ohne Verschulden des Arbeitnehmers eingetreten ist. Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einer aktuellen Entscheidung klargestellt, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gibt, wonach die Teilnahme an einer Schlägerei in der Regel selbst verschuldet ist (Landesarbeitsgericht Köln, Urt. v. 14. 2. 2006 – 9 Sa 1303/05 -, abrufbar unter www.justiz.nrw.de, dann weiter unter Rechtsbibliothek).

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die Arbeitnehmerin war als Produktionssachbearbeiterin bei dem beklagten Arbeitgeber seit April 2000 beschäftigt. Sie war aufgrund einer Tätlichkeit ihres früheren Ehemannes vom 6. September 2004 bis zum 17. September 2004 arbeitsunfähig erkrankt. Zu der Verletzung kam es wie folgt:

Die Klägerin begab sich mit einem Bekannten zu ihrer Mutter, wo sie sich auf den Balkon der Wohnung setzte. Ihr früherer Ehemann hielt sich vor dem Haus an einem Bierwagen auf. Nachdem er die Klägerin auf dem Balkon wahrgenommen hatte, warf er ihr zunächst vor, sie habe ihn nicht beachtet, und beleidigte sie per SMS. Die Klägerin ging daraufhin zu ihm hin und forderte ihn auf, solche Mitteilungen zu unterlassen. Er beschimpfte sie und drohte mit Schlägen, falls sie nicht verschwinde. Als die Klägerin in das Haus zurückging, verfolgte er sie und drohte weiter, sie zu schlagen. Als sie ihm entgegnete, er solle sich jemand anderen suchen, wenn er sich schlagen wolle, griff er ihr an den Hals und stieß sie mit ihrem Kopf gegen den Rahmen der Haustür. Bei dem Versuch, ihn von sich weg zu drücken, kratzte sie ihn im Gesicht. Er ging etwas zurück, trat sie aber gegen die Oberschenkel und ins Gesäß, als sie sich in die Wohnung ihrer Mutter zurückziehen wollte. Als sie sich daraufhin zu ihm hin wandte, versetzte er ihr einen so starken Schlag gegen den Kopf, dass sie gegen die Flurwand prallte und auf den Boden fiel. Sie krabbelte von dort aus in die Wohnung ihrer Mutter, wo sie für kurze Zeit bewusstlos war. Danach wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert, wo eine Schädelprellung festgestellt wurde.

Der Arbeitgeber weigerte sich, ihr Entgeltfortzahlung zu leisten mit der Begründung, die Klägerin habe selbst die Arbeitsunfähigkeit verschuldet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. In der Berufung hat das LAG die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Die Entscheidung des LAG Köln:

I. Keine Entgeltfortzahlung bei Verschulden

Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) einen sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Ein Verschulden liegt grundsätzlich nur vor, wenn sich das Verhalten des Arbeitnehmers als gröblicher Verstoß in das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartenden Verhalten darstellt. Dies kann bspw. bei gefährlichen Sportarten der Fall sein, wenn ein Arbeitnehmer die notwendigen Kenntnisse für die Ausübung einer solchen Sportart nicht hat und den Sport daher nicht beherrscht. Beispiel: Drachenfliegen oder Boxen. Wurde hingegen auch eine gefährliche Sportart regelgerecht erlernt, liegt Verschulden grundsätzlich nicht vor. Die Arbeitsgerichte hatten sich in der Vergangenheit bereits an einer Vielzahl von Fällen mit solchen gefährlichen Sportarten zu befassen und in der Regel ein Selbstverschulden abgelehnt. Erschwerend kommt hinzu, dass die volle Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitgeber liegt.

II. Sonderfall Schlägerei

Ob bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, die auf eine Verletzung bei einer Schlägerei oder Tätlichkeit zurückzuführen ist, ein hinreichendes Eigenverschulden des Arbeitnehmers vorliegt oder nicht, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Es gibt grundsätzlich keinen Erfahrungssatz, dass die Teilnahme an einer Schlägerei in der Regel selbstverschuldet ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer die Schlägerei selbst begonnen oder sie provoziert hat. Ist dies der Fall, muss er sich Eigenverschulden zurechnen lassen.

Im Streitfall hat die Klägerin die Schlägerei nicht provoziert. Sie hat sich darauf beschränkt, ihren früheren Ehemann aufzufordern, weitere Beleidigungen zu unterlassen, und sich gegen die Androhung von Schlägen verwahrt. Sie musste nicht damit rechnen, dass bereits dies zu einer Gewaltanwendung führen werde. Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers ist auch die Schwere der Verletzungen kein Indiz dafür, dass die Schlägerei provoziert wurde.

Hinweis für die Praxis:

Liegt kein Eigenverschulden vor, muss der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung leisten. Allerdings kann der Arbeitgeber gegen den Schädiger (hier den früheren Ehemann der Klägerin) einen Schadensersatzanspruch wegen Verdienstausfalls geltend machen. Dies folgt aus § 6 EFZG, wonach der Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmerin auf den Arbeitnehmer übergeht, wenn dieser Entgeltfortzahlung leistet. Insoweit besteht nach § 6 Abs. 2 EFZG sogar ein Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer, die zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlichen Angaben mitzuteilen.

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen, Bonn

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