16.11.2006 -

Suchterkrankungen, insbesondere Alkoholabhängigkeit, können einen Kündigungsgrund darstellen. Grundsätzlich bedarf es jedoch vor Ausspruch einer Kündigung zunächst einer Therapie. Erst wenn der Arbeitnehmer sich generell weigert, sich therapieren zu lassen oder aber einen Rückfall erleidet, kommt eine Kündigung in Betracht. In einem aktuellen Urteil hatte sich das Landesarbeitsgericht München mit der Frage zu befassen, ob ein erstmaliger Rückfall in die Alkoholkrankheit eine fristlose Kündigung rechtfertigt (LAG München, Urt. v. 13.12.2005 – 8 Sa 739/05 -, NZA-RR 2006, 350). Das praxisrelevante Urteil fassen wir nachfolgend zusammen.

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Der Arbeitgeber betreibt ein Unternehmen der Elektroindustrie. Der Arbeitnehmer war bei ihm seit 1990 als Elektromonteur im Außendienst beschäftigt.

Bereits im Oktober 2002 wurde das Arbeitsverhältnis fristlos wegen Alkoholabhängigkeit gekündigt. Im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess einigten sich die Parteien auf die Rücknahme der Kündigung, die Umdeutung in eine Abmahnung und vereinbarten, dass sich der Arbeitnehmer wegen seiner Alkoholkrankheit einer Therapie unterziehe. Diese wurde auch nach mehreren Monaten im Februar 2003 abgeschlossen und als erfolgreich gewertet.

Ab März wurde der Arbeitnehmer wieder erneut auf Montage geschickt. Unstreitig erlitt er in der Pfingstwoche einen Rückfall in seine Alkoholkrankheit und war auch an mehreren Tagen nicht mehr auf der Montagebaustelle.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis, nach vorheriger ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats, fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts:

Das Arbeitsgericht hat beide Kündigungen in der 1. Instanz für unwirksam erklärt. Das LAG München hat in der 2. Instanz lediglich die fristlose Kündigung für unwirksam erklärt, die ordentliche Kündigung jedoch zugelassen.

I. Fristlose Kündigung ultima ratio

Außerordentliche Kündigungen müssen die ultima ratio sein, d.h. sie sind nur zulässig, wenn die Kündigungsgründe das Arbeitsverhältnis so unzumutbar belasten, dass keine milderen Mittel, wie z.B. ordentliche Kündigung, Änderungskündigung, Versetzung oder Abmahnung, in Betracht kommen. Dabei ist in zwei Stufen zu prüfen, ob ein derartiger wichtiger Grund vorliegt, nämlich in der ersten, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen und in der zweiten Stufe, ob bei der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und einer Interessenabwägung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind.

Diese strengen Voraussetzungen waren nach Auffassung des LAG München im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Alkoholismus ist eine Suchterkrankung. Die Besonderheit dieser Erkrankung besteht gerade darin, dass sie nicht allein über eine Entgiftungs- und Entwöhnungskur quasi geheilt werden kann. In der Regel bedarf es nach Abschluss auch stationärer Behandlungen weiterer Therapien. Ein erstmaliger Rückfall ist deshalb nicht ohne weiteres geeignet, an sich einen wichtigen Grund zu bilden.

II. Rückfall rechtfertigt regelmäßig ordentliche Kündigung

Das LAG hat jedoch die ordentliche Kündigung für wirksam erklärt. Dem Arbeitnehmer waren die Gefahren seiner Suchterkrankung durchaus bekannt. Bei einem Rückfall nach einer stationären Entwöhnungskur und nach anschließender längerer Zeit der Abstinenz spricht vieles dafür, dass der Arbeitnehmer die erteilten dringenden Ratschläge missachtet und sich wieder dem Alkohol zugewandt hat. Einem Arbeitgeber ist es in einer solchen Konstellation regelmäßig nicht zuzumuten, erneut ein derartiges Risiko auf sich zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als im vorliegenden Fall der Arbeitnehmer als Elektromonteur beschäftigt wurde. Diese Tätigkeit ist durchaus auch mit Risiken für Leib und Leben verbunden. Dies war für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ausreichend.

Hinweis für die Praxis:

Bei Kündigungen wegen Alkoholismus handelt es sich grundsätzlich um krankheitsbedingte (personenbedingte) Kündigungen. Das BAG hat jedoch anerkannt, dass auch eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Pflichtverletzungen, die auf Alkoholabhängigkeit beruhen, nicht ausgeschlossen ist. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein und insbesondere bei der Betriebsratsanhörung dürfen hier keine Fehler gemacht werden.

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen, Bonn

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