31.01.2007 -

Viele Arbeitsverträge beinhalten Versetzungsvorbehalte. Die Umstände, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, eine andere Arbeitsleistung und/oder einen anderen Arbeitsort anzuweisen, werden in diesen Versetzungsvorbehalten regelmäßig nicht weiter konkretisiert. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun mit der besonders bedeutenden Frage zu befassen, ob die üblichen arbeitsvertraglichen Versetzungsvorbehalte der AGB-Kontrolle unterliegen und einer Inhaltskontrolle Stand halten (BAG, Urt. v. 11.04.2006 – 9 AZR 557/05 -, NZA 2006, 1149).

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Zeitungsverlag bereits seit 1971 als Redakteurin beschäftigt. In dem von dem Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag heißt es unter anderen:

„§ 4 Frau D. wird als Redakteur (verantwortlich für Wort und Bild) in der Hauptredaktion, Ressort Sonderaufgaben beschäftigt. Der Verlag behält sich unter Wahrung der Interessen des Redakteurs die Zuweisung eines anderen Arbeitsgebietes vor.“

Zusätzlich fanden auf das Anstellungsverhältnis die gehalts- und manteltariflichen Regelungen für Redakteure und Redakteurinnen an Tageszeitungen Anwendung.

Der Arbeitgeber beabsichtigte, die Redakteurin von der Tageszeitung N. Regierungsbezirk N. zur Lokalredaktion der M-Zeitung nach W. zu versetzen. Die Redakteurin, die ihre Tätigkeit bisher allein in den Räumen der Zeitungsredaktion in N. ausgeübt hat, widersprach dieser Versetzung. Der Arbeitgeber hörte daraufhin den Betriebsrat zu der beabsichtigten Versetzung an. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Dennoch versetzte der Arbeitgeber die Redakteurin mit Wirkung ab 1. September 2004 in die Lokalredaktion nach W.

Die Redakteurin hat die Auffassung vertreten, ihre geschuldete Arbeitsleistung habe sich aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit auf die Redaktion in N. konkretisiert. Der Zuweisungsvorbehalt in § 4 des Arbeitsvertrages rechtfertige keine Versetzung. Die Klausel verstoße zudem gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Im Laufe des Prozesses hat sie ferner vorgebracht, die Versetzung entspreche nicht billigem Ermessen, da andere geeignete Arbeitnehmer vorhanden gewesen seien, die von der Tätigkeitsveränderung weniger schwer betroffenen gewesen wären. Ihre Interessen bei der Versetzung seien nicht gewahrt worden, da ihre in N. wohnhaften Eltern pflegebedürftig seien und sie nunmehr bei Problemen nicht mehr vor Ort sei. Schließlich betrage die Fahrzeit nunmehr nicht wie bisher 10 Minuten, sondern ca. 58 Minuten.

Mit ihrer Klage hat sie Weiterbeschäftigung in N. verlangt und Feststellung der Unwirksamkeit der Versetzungsmaßnahme. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Im Revisionsverfahren hat auch das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bekräftigt und die Revision zurückgewiesen.

I. Direktionsrecht

Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst geprüft, ob die entsprechende Maßnahme überhaupt vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt war. Erst wenn dies bejaht wird, kann in einem zweiten Schritt die Vereinbarkeit der arbeitsvertraglichen Klausel mit der AGB-Kontrolle festgestellt werden.

Das Direktionsrecht des Arbeitgebers zur Änderung des Arbeitsortes folgt aus § 106 Satz 1 Gewerbeordnung. Danach kann der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgesetzt sind.

Im vorliegenden Fall haben die Vertragsparteien § 4 Satz 1 des Arbeitsvertrages lediglich den fachlichen Aufgabenbereich der Klägerin als Redakteurin in der Hauptredaktion festgelegt, nicht aber den Arbeitsort. Der Begriff des Arbeitsgebietes in § 4 des Arbeitsvertrages bezieht sich allein auf die Tätigkeit in fachlicher Hinsicht. Der Zeitungsverlag hat sich zudem in § 4 Satz 2 des Arbeitsvertrages rechtswirksam die Zuweisung eines anderen Arbeitsgebietes vorbehalten. Auch aus dem in Bezug genommenen Manteltarifvertrag ergaben sich keine anderen Einschränkungen.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht hat damit zunächst klargestellt, dass der allgemeine Versetzungsvorbehalt, wie er im vorliegenden Fall verwandt wurde, zulässig und auch ausreichend ist. Der Arbeitgeber war auf Basis dieses Versetzungsvorbehalts sowohl hinsichtlich des Arbeitsortes als auch des Arbeitsgebietes berechtigt, sein Direktionsrecht auszuüben.

II. AGB-Kontrolle

Der Versetzungsvorbehalt in § 4 Satz 2 des Arbeitsvertrages hielt auch einer Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB Stand.

1. Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle

Die §§ 305 ff. BGB sind seit dem 1. Januar 2003 auf alle Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Die Übergangsvorschriften sind abgelaufen. Auch auf Altverträge, wie im vorliegenden Fall, ist damit die AGB-Kontrolle anzuwenden und vorformulierte Klauseln müssen sich am Maßstab der §§ 305 ff. BGB überprüfen lassen.

2. Versetzungsvorbehalt kein einseitiges Bestimmungsrecht !

Das BAG hat zunächst einen Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB geprüft. Danach sind einseitige Bestimmungsrechte unwirksam, wenn nicht die Vereinbarung der Änderung oder Abweichung für den anderen Vertragsteil zumutbar ist. Die Vorschrift erfasst jedoch nur einseitige Bestimmungsrechte hinsichtlich der Leistung des Verwenders (Arbeitgebers). Damit kann aber die Vorschrift des § 308 Nr. 4 BGB nicht auf einen Versetzungsvorbehalt Anwendung finden. Versetzungsklauseln in Arbeitsverträgen betreffen nämlich die Arbeitsleistung als die dem Verwender geschuldete Arbeitsleistung, also nicht eine Leistung des Verwenders, sondern eine Leistung des Arbeitnehmers. Eine Überprüfung anhand des strengen Kontrollmaßstabes der Vorschrift des § 308 Nr. 4 BGB schied damit aus.

3. Inhaltskontrolle nach § 307 BGB

Der zuständige 9. Senat des BAG hat weiter die Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB vorgenommen. Nach Satz 1 sind Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche unangemessene Benachteiligung war jedoch nicht zu erkennen.

Versetzungsklauseln tragen dem im Arbeitsrecht bestehenden spezifischen Anpassungs- und Flexibilisierungsbedürfnis Rechnung. Der Arbeitsvertrag bedarf als Dauerschuldverhältnis einer ständigen, bei Vertragsschluss gedanklich nicht vorwegnehmbaren Anpassung. Die Einflussfaktoren sind im Arbeitsrecht so zahlreich und vielgestaltig, dass gesicherte Prognosen kaum möglich sind. Es ist deshalb grundsätzlich nicht von einer unangemessenen Benachteiligung auszugehen.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitnehmer erhält zudem für die von ihm abverlangte Flexibilität eine entsprechende stärkere Sicherung seines Arbeitsverhältnisses im Fall betriebsbedingter Kündigung. Durch eine weite Versetzungsklausel erweitert sich der Kreis der Sozialauswahl, da die Arbeitnehmer auf allen in Frage kommenden Arbeitsplätzen einzubeziehen sind. Im Umfang der Versetzungsmöglichkeiten hat der Arbeitgeber zudem zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Diese Kompensation beruht damit auf den Besonderheiten des Kündigungsschutzrechts und ist daher eine Besonderheit des Arbeitsrechts, die einer weitergehenden AGB-Kontrolle entgegensteht.

4. Ausübungskontrolle

Der Zeitungsverlag hatte sein Leistungsbestimmungsrecht zur Änderung des Arbeitsgebietes auch nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung wirksam ausgeübt. Die Versetzung muss nicht nur der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB Stand halten, sondern die Ausübung des Direktionsrechts muss auch nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (früher § 315 BGB) billigem Ermessen entsprechen. Anhaltspunkte für ein fehlerhaft ausgeübtes Ermessen lagen vorliegend nicht vor. Im Gegenteil: Der Zeitungsverlag berief sich für die Versetzung auf die langjährige Berufserfahrung der Klägerin als Redakteurin und ihre Persönlichkeit als ausschlaggebend bei der Besetzung der Stelle der für sie wichtigen Lokalredaktion in W. Die unbekannten persönlichen Umstände in der Lebensführung, auf die sich die Arbeitnehmerin später berief, musste der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Ausübung des Direktionsrechts nicht beachten. Durch die langjährige Tätigkeit in N. ist auch keine Konkretisierung des Arbeitsortes eingetreten. Der bloße Zeitablauf ist für eine solche Konkretisierung nicht ausreichend.

III. Beteiligung des Betriebsrats

Der Betriebsrat hatte der Versetzung im vorliegenden Fall nicht zugestimmt. Auf die Zustimmung kam es jedoch nicht an. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats war nach § 118 Abs. 1 BetrVG eingeschränkt. Danach finden die Vorschriften des BetrVG auf Zeitungsverlage, die der Berichterstattung und Meinungsäußerung dienen, als Tendenzbetriebe keine Anwendung. Redakteure wie die Klägerin sind auch so genannte Tendenzträger, weil sie unmittelbar für die Berichterstattung und/oder Meinungsäußerung der Zeitung tätig sind und damit inhaltlich auf die Tendenzverwirklichung Einfluss nehmen. Die tendenzbezogene Maßnahme konnte damit ohne Beteiligung des Betriebsrats umgesetzt werden.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht hat mit deutlichen Worten die üblichen arbeitsvertraglichen Versetzungsvorbehalte für zulässig und wirksam erachtet. Besonders wichtig für die Praxis ist der Hinweis, dass § 308 Nr. 4 BGB nicht auf arbeitsvertragliche Versetzungsvorbehalte anzuwenden ist. Im Übrigen muss selbstverständlich die Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB und auch die Ausübungskontrolle nach § 106 Gewerbeordnung beachtet werden.

Leitsätze (BAG 11.04.2006 – 9 AZR 557/05 -):

1. § 308 Nr. 4 BGB ist nicht auf arbeitsvertragliche Versetzungsvorbehalte anzuwenden; denn die Vorschrift erfasst nur einseitige Bestimmungsrechte hinsichtlich der Leistung des Verwenders. Versetzungsklauseln in Arbeitsverträgen betreffen demgegenüber die Arbeitsleistung als die dem Verwender geschuldete Gegenleistung.

2. Eine formularmäßige Versetzungsklausel, die materiell der Regelung in § 106 Satz 1 Gewerbeordnung nachgebildet ist, stellt weder eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar noch verstößt sie allein deshalb gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil keine konkrete Versetzungsgründe genannt sind.

Verfasser: Dr. Nicolai Besgen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bonn

 

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