08.02.2007 -

Zwischen den Arbeitsvertragsparteien kommt es bei einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers immer wieder zu Streit über die notwendigen Verhaltenspflichten. Kein Arbeitnehmer ist verpflichtet, während einer Arbeitsunfähigkeit im Bett zu liegen. Auf der anderen Seite muss ein Arbeitnehmer sich natürlich so verhalten, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitspatz zurückkehren kann. Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einem aktuellen Urteil entschieden, dass ein Ski-Urlaub während einer Arbeitsunfähigkeit die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt (BAG 02.03.2006 – 2 AZR 53/05 -, NZA-RR 2006, 636). Welche Grundsätze gelten, soll im Folgenden dargestellt werden.

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

Der Arbeitnehmer war seit Juli 1992 bei dem beklagten Arbeitgeber, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, als beratender Arzt für Krankenkassen und als ärztlicher Gutachter für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beschäftigt. In der Zeit vom 8. September 2003 bis 16. Januar 2004 war er wegen einer Gehirnhautentzündung arbeitsunfähig krank geschrieben. Anfang Dezember 2003 bat die Vorgesetzte den Arbeitnehmer, an einer Weiterbildung am 8. Januar 2004 teilzunehmen. Der Arbeitnehmer lehnte dies unter Hinweis auf krankheitsbedingte Konzentrationsschwierigkeiten ab.

Unstreitig befand sich der Arbeitnehmer vom 27. Dezember 2003 bis 3. Januar 2004 in einem Ski-Urlaub in Zermatt (Schweiz). Er hatte hiervon seine Krankenkasse unterrichtet und ihr auch eine so genannte Unbedenklichkeitsbescheinigung seines behandelnden Arztes zugeleitet.

Während eines Ski-Kurses brach er sich das Schien- und Wadenbein. Dies führte zu einer Verlängerung seiner Arbeitsunfähigkeit bis zum 15. März 2004.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis wegen dieses Vorfalles fristlos.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen die Klage im Berufungsverfahren abgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Revision die Entscheidung des LAG bestätigt.

I. Schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht

Eine schwere Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund rechtfertigen. Auch die erhebliche Verletzung der so genannten vertraglichen Rücksichtnahmepflicht kann einen solchen wichtigen Grund darstellen. Insbesondere bei Arbeitnehmern in einer leitenden Position im Betrieb oder Arbeitnehmern, die mit ihrer Tätigkeit spezifische Vertragspflichten übernommen haben, hat deren Stellung unmittelbaren Einfluss auf die vertragliche Pflichtenstruktur.

Der Kläger war aufgrund seines beruflichen Aufgabenfeldes in besonderem Maße dazu verpflichtet, das Vertrauen Außenstehender in die von ihm geleistete Arbeit und die korrekte Aufgabenerledigung seines Arbeitgebers nicht zu erschüttern. Als Gutachter für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen muss er alles unterlassen, was seiner Genesung während seiner eigenen Arbeitsunfähigkeit abträglich sein könnte. Im vorliegenden Fall hat er genau dies nicht getan. Vielmehr hat er zu erkennen gegeben, dass er die Maßstäbe seiner täglichen Arbeit bei der Begutachtung von Arbeitnehmern, an deren bescheinigter Arbeitsunfähigkeit Zweifel bestehen, offensichtlich für sich selbst nicht zur Anwendung bringen will. Dies kann sogar zu einer erheblichen Rufschädigung des Arbeitgebers führen.

II. Heilungswidriges Verhalten

Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer muss sich so verhalten, dass er bald wieder gesund wird und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Er hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Der erkrankte Arbeitnehmer hat insoweit auf die schützenswerten Interessen des Arbeitgebers, die sich u.a. aus der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung ergeben, Rücksicht zu nehmen. Eine schwerwiegende Verletzung dieser Rücksichtnahmepflicht kann nach der Rechtsprechung des BAG eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen.

Deshalb kann ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Damit verstößt er nicht nur gegen eine Leistungspflicht, sondern zerstört insbesondere auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit. Dies ist nicht nur der Fall, wenn der Arbeitnehmer während der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind.

So lag der Fall hier: Der als Arzt ausgebildete Arbeitnehmer muss in besonderem Maße dafür sensibilisiert sein, dass sein Kurzaufenthalt in der Schweiz verbunden mit einem Ski-Kurs nicht mit seiner auf einer Hirnhautentzündung beruhenden Arbeitsunfähigkeit in Einklang zu bringen war, sondern vielmehr ein erhebliches Fehlverhalten beinhaltete. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn ein Ski-Urlaub ausdrücklich ärztlicherseits angeraten war. Dies war vorliegend aber unstreitig nicht der Fall. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes reichte keinesfalls aus.

Hinweise für die Praxis:

Arbeitnehmer sind gut beraten, sich bei einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht heilungswidrig zu verhalten. Bei Zweifeln muss der konkret behandelnde Arzt aufgesucht und um Erlaubnis gefragt werden. Zudem sollte auch der Arbeitgeber über alle Aktivitäten transparent informiert werden. Nur so wird vermieden, dass das nötige Vertrauen für eine weitere Zusammenarbeit zerstört und das Arbeitsverhältnis belastet wird.

Verfasser: Dr. Nicolai Besgen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bonn

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