27.03.2007

Der Bundesgerichtshof hat heute entschieden, ob und unter welchen Voraussetzungen § 315 BGB unmittelbar oder analog auf den liberalisierten Strommarkt Anwendung findet.

I. Zum Hintergrund:

Seit einiger Zeit wogt eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen Energieverbrauchern einerseits und Versorgungsunternehmen andererseits über die Höhe der Entgelte für die Lieferung von Energie, insbesondere der Gas- und Strompreise. Dabei genügte es in der Vergangenheit, wenn Verbraucher unter Hinweis auf § 315 BGB schlicht behaupteten, die verlangten Preise seien unbillig. Hierdurch wurden Energieversorger dann gezwungen, die Angemessenheit („Billigkeit“) ihrer Tarife durch Vorlage ihrer internen und teils als Betriebsgeheimnis gehüteten Kalkulationsunterlagen zu belegen. Prozesse über die Höhe des „billigen“ Entgelts waren deshalb regelmäßig aufwändig und langwierig.

Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass bei Lieferung von Leistungen der Daseinsvorsorge die Regelung des § 315 BGB anzuwenden sei, war die – früher einmal berechtigte – Annahme, dass der Verbraucher ansonsten dem Diktat eines Monopolunternehmens unterworfen sei, das nach Belieben die Preise diktieren könnte.

In Literatur und Rechtsprechung war durchaus umstritten, ob nach der Liberalisierung der Energiemärkte und der Möglichkeit des Kunden, seinen Lieferanten zu wechseln, überhaupt noch ein Bedürfnis für die Anwendung des § 315 BGB neben den spezielleren Schutzvorschriften des Energie- und Kartellrechts besteht.

Der Bundesgerichtshof hatte nun darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen § 315 BGB unmittelbar oder analog auf den liberalisierten Strommarkt Anwendung findet.

II. Zum Sachverhalt

Die Klägerin nahm den Beklagten aus einem zwischen den Parteien bestehenden Stromlieferungsvertrag auf Zahlung des Entgelts für von ihr im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 6. November 2003 gelieferten Strom in Anspruch. Der Beklagte wurde zunächst zu dem Tarif „local plus“ beliefert. Mit Schreiben vom 8. April 2002 widersprach er der von der Klägerin angekündigten Erhöhung dieses Tarifs. Die Klägerin erklärte daraufhin in ihrem Antwortschreiben vom 15. April 2002, dass aufgrund des Widerspruchs gegen die Preiserhöhung der „local plus“ Vertrag ende, sie den Beklagten bis zum 30. April 2002 zu den alten Preisen weiterbeliefere und ab dem 1. Mai 2002 zu ihrem Allgemeinen Tarif (local classic) versorgen werde. In der Folge stellte die Klägerin dem Beklagten den Stromverbrauch in Rechnung, wobei sie ab dem 1. Mai 2002 nicht mehr den Tarif „local plus“, sondern den – hinsichtlich des Verbrauchspreises teureren – Tarif „local classic“ berechnete.

Das Amtsgericht hat der Klage mit Ausnahme eines Teilbetrages wegen der Mahnkosten stattgegeben. Die dagegen von dem Beklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht – nach Teilklagerücknahme – zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Beklagte könne mit dem Einwand der Unbilligkeit der Stromtarife nicht durchdringen.

III. Die Entscheidung des BGH

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. April 2002 zu Recht bejaht hat. Eine Billigkeitsüberprüfung der Höhe des geltend gemachten Entgelts nach § 315 Abs. 3 BGB scheidet aus, weil
§ 315 BGB weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung findet. Die unmittelbare Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB kommt nicht in Betracht, weil die Parteien nicht vereinbart haben, dass die Klägerin die Leistung einseitig zu bestimmen hat. Sie haben vielmehr konkret festgelegt, welche Leistung der Beklagte zu erbringen hat. Dies gilt – jedenfalls für den anfänglich vereinbarten Strompreis – auch dann, wenn – wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist – der Vertrag keine betragsmäßige Festlegung des geltenden Tarifs enthält, sondern sich die Preise für die Stromlieferung aus den jeweiligen, von der zuständigen Behörde genehmigten allgemeinen Tarifen für die Versorgung mit Elektrizität in Niederspannung ergaben. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Beklagte auf die Belieferung durch die Klägerin nicht angewiesen, sondern hatte die Möglichkeit, Strom von einem anderen Anbieter seiner Wahl zu beziehen. Damit fehlt es an einer Monopolstellung der Klägerin als Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB.

IV. Praktische Auswirkungen

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass eine Grundlage zur Anwendung des § 315 BGB jedenfalls dann nicht besteht, wenn keine Monopolstellung des Versorgungsunternehmens besteht und kein einseitiges Preisbestimmungsrecht des Versorgungsunternehmens vereinbart ist.

Für den Bereich der Stromversorgung dürfte damit dem pauschalen Einwand von Abnehmern unter Hinweis auf § 315 BGB, die berechneten Preise wären unbillig, die Grundlage entzogen sein. Auch für den Bereich der Gasversorgung dürfte sich ein baldiges Ende der Auseinandersetzungen jedenfalls dort abzeichnen, wo der Kunde die tatsächliche Möglichkeit zum Anbieterwechsel hat.

Aus Sicht der Versorgungsunternehmen ist die Entscheidung besonders bedeutsam, weil nun Ansprüche gegen zahlungsunwillige Kunden, insbesondere Stromkunden, nicht mehr unter erschwerten Bedingungen durch Offenlegung von Kalkulationsgrundlagen geltend gemacht werden müssen.

Verbraucher sollten mit Blick auf das Kostenrisiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung gut überlegen, ob sie den Unbilligkeitseinwand erheben wollen oder statt dessen lieber zu einem anderen, günstigeren Versorger wechseln wollen. Obsiegt das Versorgungsunternehmen im Zahlungsprozess, sind die damit verbundenen Kosten für den Verbraucher regelmäßig höher als der durch die Preiserhöhung befürchtete Mehrbetrag, den der Verbraucher nicht zahlen will.

Verfasser: Alexander Knauss, Rechtsanwalt mit Tätigkeitsschwerpunkt Energierecht, Bonn

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