11.05.2007 -

Das BAG hatte sich in einer neueren Entscheidung erneut mit der so genannten Turboprämie auseinanderzusetzen (BAG, Urt. v. 03.05.2006 – 4 AZR 189/05 -). Hierunter versteht man Regelungen, in denen ein Abfindungsanspruch bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage erlischt. Für Sozialpläne hatte das Bundesarbeitsgericht bereits entscheiden, dass diese nicht vom Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden dürfen. Hierüber hatten wir berichtet 2). In der hier zu besprechenden Entscheidung ging es nun um eine kollektive Regelung außerhalb eines Sozialplans. Das BAG hat klargestellt, dass die Turboprämie unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist.

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

Die klagende Arbeitnehmerin war als Kindergärtnerin in einem Kindergarten seit 1. November 1990 beschäftigt. In ihrem Arbeitsvertrag wurde unter der Überschrift sonstige Vereinbarungen auf die im Übrigen geltenden kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien, Dienst- und Vergütungsordnungen des Bistums Fulda in ihrer jeweiligen Fassung verwiesen.

Im Jahre 2002 beschloss die in der Diözese Fulda gebildete Kommission zur Ordnung des Diözesanenarbeitsvertragsrechts eine Ordnung über den Rationalisierungsschutz im Bistum Fulda, die am 1. Januar 2003 in Kraft trat. Diese Ordnung enthielt in § 9 Regelungen über Abfindungen unter anderem für den Fall, dass der Arbeitnehmer bei der Durchführung von Rationalisierungsmaßnahmen aufgrund einer Kündigung durch den Dienstgeber aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. § 9 Abs. 8 lautet:

„Erhebt der/die Mitarbeiter/in Kündigungsschutzklage, so ist ein Anspruch auf Abfindung ausgeschlossen. Wehrt er/sie sich in anderer Weise gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wird der Abfindungsanspruch erst fällig, wenn das Verfahren abgeschlossen ist und rechtskräftig feststeht, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist. Dies gilt auch, wenn der/die Mitarbeiter/in Klage gegen einen Dritten erhebt, an den z.B. sachliche und immaterielle Einrichtungsmittel der Einrichtungsstätte veräußert wurden.“

Der Kindergarten kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin am 25. September 2003 zum 30. Juni 2004 mit dem Hinweis, dass die Kündigung aus betriebbedingten Gründen erfolge, weil die Trägerschaft für den Kindergarten endgültig aufgegeben und die Einrichtung zu diesem Zeitpunkt geschlossen werde.

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Hilfsweise hatte sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Abfindung nach der Ordnung über den Rationalisierungsschutz erstrebt. Der Arbeitgeber ist der Auffassung, dass der Arbeitnehmerin kein Abfindungsanspruch zustehe, weil sie Kündigungsschutzklage erhoben habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag auf Zahlung der Abfindung zurückgewiesen.

Die Entscheidung des BAG:

Im Revisionsverfahren hat das BAG der Arbeitnehmerin die Abfindung zugesprochen und insoweit die Vorinstanzen aufgehoben.

I. Turboprämie in Sozialplänen grundsätzlich unzulässig

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dürfen Sozialplanleistungen nicht vom Verzicht auf Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht werden. Dies ergibt sich nach der neueren Rechtsprechung aus einem Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (BAG, Urt. v. 31.05.2005 – 1 AZR 254/04 -). Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die Kündigungsschutzklage erheben, und von Arbeitnehmern, die von der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung absehen, ist nach dem Sinn und Zweck des Sozialplans, dem zugunsten der von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer eine Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zukommt, nicht gerechtfertigt. Ein Sozialplan hat nicht die Aufgabe, für den Arbeitgeber Planungssicherheit zu fördern.

Hinweis für die Praxis:

Diese eindeutige Rechtsprechung des BAG lässt allerdings auch Ausnahmen zu. Sind die Betriebspartner ihrer Pflicht zur Aufstellung eines Sozialplans nach §§ 111 ff. BetrVG nachgekommen, können sie zusätzlich freiwillig eine Regelung treffen, die im Interesse des Arbeitgebers an alsbaldiger Planungssicherheit finanzielle Leistungen für den Fall vorsieht, dass der Arbeitnehmer von der Möglichkeit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage keinen Gebrauch macht. Das Recht zum Abschluss einer freiwilligen Betriebsvereinbarung folgt unmittelbar aus § 88 BetrVG.

II. Recht zur Turbo-Prämie folgt aus § 1 a KSchG

Soweit es sich nicht um einen betriebsverfassungsrechtlichen Sozialplan mit der gesetzlich vorgegebenen Beschränkung auf die Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion handelt, können freiwillig abgeschlossene Regelungen damit auch andere und weitergehende Zwecke verfolgen als einen Sozialplan. Dies beinhaltet insbesondere nach der Rechtsprechung des BAG auch das Ziel, einen Anreiz für den Verzicht auf die Kündigungsschutzklage zu geben und damit die Planungssicherheit für den Arbeitgeber zu fördern. Ausgehend von dieser zulässigen Zielsetzung liegt in der Regelung des § 9 Abs. 8 RaSchO für sich allein genommen weder ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 612 a BGB.

Das BAG hat nochmals bekräftigt, dass die Zulässigkeit einer Turbo-Prämie durch die zum 1. Januar 2004 eingeführte Regelung des § 1 a KSchG, der dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet, dem Arbeitnehmer bei der Kündigung das Angebot zu machen, im Falle des Klageverzichts die Regelabfindung zu zahlen, bestätigt wird. Wenn der Arbeitgeber eine solche Möglichkeit durch Gesetz wahrnehmen kann, kann dies auch durch entsprechende andere allgemeine Regelungen festgelegt werden.

III. Transparenz für den Arbeitnehmer erforderlich!

Damit eine solche Regelung zulässig ist, muss allerdings zwingend für den Arbeitnehmer das Bestehen eines Wahlrechts tatsächlich erkennbar sein. Die Regelung will im Interesse der Planungssicherheit des Arbeitgebers einen Anreiz dafür geben, dass der Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhebt, sondern stattdessen die festgelegte Abfindung als Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust wählt. Für diese erkennbar beabsichtigte Verhaltenssteuerung ist es jedoch zwingend notwendig, dass der Arbeitnehmer die Wahlmöglichkeit auch kennt.

Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber diese Kenntnis jedoch nicht nachweisen. Die Ordnung über den Rationalisierungsschutz ist erst im Jahre 2003 in Kraft getreten, 13 Jahre nach in Kraft treten des Arbeitsverhältnisses. Über diese in Kraft getretene Ordnung hat der Arbeitgeber jedoch die Arbeitnehmerin nicht informiert. Dazu wäre er aber nach § 3 Satz 1 Nachweisgesetz verpflichtet gewesen. Auch in dem Kündigungsschreiben fand sich kein Hinweis auf die der Klägerin nach der RaSchO zustehende Abfindung und deren Verlust bei Erhebung der Kündigungsschutzklage. Der Arbeitgeber war deshalb verpflichtet, die Abfindung zu zahlen.

Fazit:

Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Sie schafft Klarheit für die Praxis. Turbo-Prämien sind zulässig. Arbeitgeber sind allerdings verpflichtet, die Bedingungen klar und deutlich mitzuteilen, damit für den Arbeitnehmer das Wahlrecht erkennbar ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und handelt es sich nicht um eine Sozialplanregelung können Turbo-Prämien wirksam vereinbart werden.

Verfasser: Dr. Nicolai Besgen, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in Bonn

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