14.06.2007 -

Zu der Frage, wie sich krankgeschriebene Arbeitnehmer zu verhalten haben, gibt es eine einfache landläufige Meinung: Der Mitarbeiter müsse sich schonen, um möglichst schnell an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Regelmäßig wird dabei sogar erwartet, dass sich der Kranke am Besten daheim aufhalte. Dieser Ansatz trifft nur in Teilen zu, worauf das Arbeitgericht Stuttgart kürzlich hingewiesen hat: Eine Arbeitsunfähigkeit muss nicht ausschließen, dass der Mitarbeiter Anstrengungen auf sich nimmt (Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 22.03.2007, AZ.: – 9 Ca 475/06 -).

Konkret ging es um einen seit 1990 beschäftigten Lageristen, der seit dem 16. Lebensjahr Leistungssport treibt und regelmäßig an Marathonläufen teilnimmt, wobei er rund 3.000 km pro Jahr läuft und daneben Rad fährt, schwimmt und Fußball spielt. Im Jahr 2006 war der Arbeitnehmer auf dem Weg zur Arbeit gestürzt und hatte sich sein linkes Schulterblatt gebrochen. Obgleich er daraufhin für sechs Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde, wollte er sich in dieser Zeit zwei Marathons nicht entgehen lassen. Er suchte deshalb seinen Hausarzt auf und fragte ihn, ob er daran teilnehmen könne. Der Mediziner bestätigte ihm, dass aus ärztlicher Sicht nichts gegen die Teilnahme an den Veranstaltungen spreche und insbesondere keine Verzögerung des Heilungsverlaufes zu erwarten sei. Der Lagerist solle aber die sportliche Betätigung einstellen, sobald er Schmerzen verspüre. Der Mitarbeiter absolvierte daraufhin in der Arbeitsunfähigkeit beide Marathonläufe. Als die Arbeitgeberin hiervon aus der Presse erfuhr, kündigte sie das Arbeitsverhältnis sofort fristlos, hilfsweise fristgerecht.

Der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage wurde stattgegeben. Das Arbeitsgericht stellte klar, dass eine verhaltensbedingte Kündigung nur in Betracht komme, falls der Arbeitnehmer die Genesung ernsthaft gefährdet habe. Hierfür trage die Arbeitgeberseite die volle Darlegungs- und Beweislast. Sie müsse also nachweisen können, dass die Marathonläufe den Heilungsverlauf abträglich gewesen sein. Dies sei ihr aber nicht möglich und werde im Übrigen auch durch die vorherige Auskunft des Hausarztes widerlegt; eine Kündigung scheide daher aus.

Fazit:

Eine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Mitarbeiter aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit nachzugehen. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass er zu anderen Aktivitäten außerstande ist. Er darf daher auch während der Krankschreibung seinen Hobbies oder ggf. sogar einem Sport nachgehen, so lange er seinen Heilungsprozess nicht ernsthaft gefährdet. Dies muss aber ggf. vom Arbeitgeber im Prozess bewiesen werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ausgeschlossen, dass der wegen eines Tinnitus arbeitsunfähige Sachbearbeiter sein Privathaus weiter baut oder die Sekretärin trotz Armbruch joggt; es kommt immer auf die Erkrankung und die während dessen verrichtete Tätigkeit an, ob daraus eine Kündigung hergeleitet werden kann.

Verfasser: Sebastian Witt, Rechtsanwalt in Bonn

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