19.11.2007 -

Die gesetzlichen Kündigungsfristen berechnen sich bekanntlich nach § 622 BGB. Dort ist in Abs. 2 Satz 2 vorgesehen, dass bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt werden. Nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) wurde die weitere Wirksamkeit dieser Vorschrift von vielen Stimmen deutlich in Frage gestellt. In einem aktuellen Urteil hat nun das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Vorschrift für unanwendbar erklärt (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24.07.2007 – 7 Sa 561/07).

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die klagende Arbeitnehmerin war bei der beklagten Rechtsanwaltskanzlei seit dem 14. Mai 2001 als Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte sowie Sachbearbeiterin für Hausverwaltungsangelegenheiten beschäftigt. Zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns war sie 21 Jahre alt.

Der Arbeitgeber kündigte ihr am 21. August 2006 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 30. September 2006.

Mit ihrer Kündigungsschutzklage hat die Arbeitnehmerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Hinsichtlich der hilfsweise ordentlichen Kündigung hat sie insbesondere vorgetragen, die Kündigungsfrist sei fehlerhaft berechnet worden. Die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB sei nicht anzuwenden, da diese Regelung gegen europäisches Recht verstoße. Durch diese Regelung würden Arbeitnehmer, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, gegenüber allen anderen – älteren – Arbeitnehmern benachteiligt, ohne dass eine solche Ungleichbehandlung nach Art. 6 Abs. 1 Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt wäre. Das Arbeitsverhältnis werde daher durch die streitgegenständliche Kündigung nicht vor dem 31. Oktober 2006 aufgelöst.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das LAG Berlin-Brandenburg festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 31. Oktober 2006, also mit verlängerter Kündigungsfrist, fortbestanden hat.

Die Entscheidung des LAG:

I. Berechnung nach aktueller Gesetzeslage

Die Berechnung der gesetzlichen Kündigungsfristen nach aktueller Gesetzeslage erfolgt gem. § 622 BGB. Die Kündigungsfristen verlängern sich danach für den Arbeitgeber je nach Beschäftigungsdauer der Arbeitnehmer. Bei einer Betriebszugehörigkeit von fünf Jahren beträgt die Kündigungsfrist zwei Monate zum Monatsende. Allerdings werden nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer nicht berücksichtigt.

Die klagende Arbeitnehmerin war zum Zeitpunkt der Kündigung mehr als fünf Jahre beschäftigt und 26 Jahre alt. Bei korrekter Gesetzesanwendung sind von dieser fünfjährigen Betriebszugehörigkeit aber vier Jahre nicht mitzuzählen, da sie vor Vollendung des 25. Lebensjahres erbracht wurden. Der Arbeitgeber hätte also nur die Grundkündigungsfrist von vier Wochen zum 15. oder zum Ende eines Kalendermonats zu beachten. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21. August 2006 würde daher zum 30. September 2006 wirken.

II. Verbot der Altersdiskriminierung

Das LAG hat dennoch eine zweimonatige Kündigungsfrist zugrunde gelegt. Die Vorschrift des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB diskriminiere jüngere Arbeitnehmer. Diese erfahren allein aufgrund ihres Lebensalters eine weniger günstige Behandlung als ältere Arbeitnehmer. Diese Ungleichbehandlung sei auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt. Die Vorschrift verfolge keinerlei arbeitsmarkt- oder beschäftigungspolitische Ziele. Vielmehr werden Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr für die Dauer der Kündigungsfrist schlicht nicht anerkannt. Insofern beschränkt sich der Zweck der Regelung darauf, jüngeren Arbeitnehmern den Vorteil der verlängerten Kündigungsfrist vorzuenthalten. Dies kann nicht als legitimes Ziel aus den Bereichen der Beschäftigungspolitik oder des Arbeitsmarktes angesehen werden.

III. Nichtanwendung der Norm

Das Verbot der Altersdiskriminierung ist als allgemeiner Grundsatz des europäischen Gemeinschaftsrechts anzusehen. Die Umsetzung dieses Verbotes ist daher nicht von der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien durch den Mitgliedsstaat und entsprechender Umsetzungsfristen abhängig. Vielmehr greift das Verbot als primäres Gemeinschaftsrecht unmittelbar auf die nationalen Regelungen durch. Das LAG hat hierzu festgestellt, dass bei einem Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitssatz das nationale Gericht gehalten ist, eine diskriminierende nationale Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass es ihre vorherige Aufhebung durch den Gesetzgeber beantragen oder abwarten müsste. Hierzu hat sich das LAG auf die berühmte Mangold-Entscheidung des EuGH und das Anschlussurteil des BAG zur alten Fassung des § 14 Abs. 3 TzBfG bezogen (Vgl. EuGH, Urteil v. 22.11.2005 – C-144/04, NZA 2005, 1345; BAG, Urteil v. 26.04.2006 – 7 AZR 500/04, AP Nr. 23 zu § 14 TzBfG ).

Damit war nach Auffassung des LAG § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB bei der Berechnung der maßgeblichen Kündigungsfrist außer Acht zu lassen. Die Klägerin war länger als fünf Jahre beschäftigt, so dass die Kündigungsfrist zwei Monate zum Monatsende betrug.

IV. Folgen für die Praxis:

Die Ausführungen des LAG Berlin-Brandenburg sind konsequent und folgerichtig. Dennoch ist das Ergebnis für die Praxis erschreckend. Eine jahrzehntelang ohne Bedenken angewandte Vorschrift wird von einem Arbeitsgericht schlicht außer Acht gelassen. Solche weitreichenden Maßnahmen sollten allein dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben. Das LAG hat die Revision zum BAG zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG die Möglichkeit haben wird, sich zu der Problematik zu äußern.

Kündigungen, die weiter nach den bisherigen Grundsätzen berechnet werden, also Zeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht berücksichtigen, werden nach unserer Auffassung umgedeutet. Die fehlerhafte Berechnung der Kündigungsfristen fällt nicht unter die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG. Dies hatte das BAG bereits in anderem Zusammenhang vor kurzem entschieden (BAG, Urteil v. 06.07.2006 – 2 AZR 215/05, NZA 2006, 1405). Vereinzelte Stimmen, die bei einer fehlerhaften Berechnung der Kündigungsfrist in diesem Fall wegen der Altersdiskriminierung die Unwirksamkeit der gesamten Kündigung insgesamt befürworten, sind abzulehnen.

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