Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte mit Urteil vom 16. April 2008 – XII ZR 144/06 – über einen Sachverhalt zu entscheiden, der den dortigen Kläger gewiss – nach Meinung des BGH völlig zu Recht – zur Verzweiflung gebracht hatte.
Der Kläger war der (scheinbare) Vater dreier in 1992, 1994 und 1995 während einer Ehe geborener Kinder. Die Kinder galten daher nach der gesetzlichen Vermutung des § 1592 Abs. 1 Nr. 1 BGB als Kinder des Klägers. In 2003 hat das Familiengericht jedoch rechtskräftig festgestellt, dass der Kläger nicht der biologische Vater der Kinder sei. Die Ehe des Klägers mit der Mutter der Kinder wurde 2004 geschieden. Die Mutter der Kinder lebt inzwischen mit dem Beklagten zusammen. Der Kläger vermutet, dass der Beklagte der wirkliche biologische Vater der Kinder ist.
Gemäß 1607 Abs. 3 BGB geht der Unterhaltsanspruch der drei Kinder gegen den biologischen Vater für die Vergangenheit auf den Scheinvater – hier den Kläger – über, so dass der wirkliche Vater den vom Scheinvater in der Vergangenheit geleisteten Unterhalt erstatten muss. Diesen Anspruch (so genannter Scheinvaterregress) hat der Kläger gegen den Beklagten geltend gemacht. Der Beklagte hat in dem Prozess bestritten, der Vater der Kinder zu sein. Die Begründetheit der Klage hing daher davon ab, ob der Kläger die biologische Vaterschaft des Beklagten beweisen konnte. Das war ihm aber nicht möglich. Denn die Mutter der Kinder war zu einem Vaterschaftsfeststellungsverfahren hinsichtlich der drei Kinder nicht bereit. Der Kläger selbst konnte eine Vaterschaftsfeststellung nicht erzwingen. Es wäre nur möglich gewesen, im Rahmen des Regressprozesses zu klären, ob der Beklagte tatsächlich der Vater der Kinder ist (sogenannte inzidente Vaterschaftsfeststellung).
Die Klage blieb jedoch in zwei Instanzen erfolglos. Das Oberlandesgericht hat sich auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1993 berufen, wonach im Rahmen des Regressprozesses nicht inzident die Vaterschaft festgestellt werden kann.
Der BGH hat diese Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben. Abweichend von seiner Entscheidung aus dem Jahre 1993 lässt der BGH jetzt in Ausnahmefällen eine inzidente Feststellung der Vaterschaft im Rahmen des Regressprozesses zwischen dem vermeintlichen (ehelichen) Vater und dem tatsächlichen biologischen Vater zu. Ein solcher Ausnahmefall liegt immer dann vor, wenn die Mutter – die das alleinige Sorgerecht ausübt – die Vaterschaftsfeststellungsklage der Kinder gegenüber dem mutmaßlichen Erzeuger verweigert.
Der BGH begründet seine geänderte Rechtsprechung mit den geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen. Bis zum 30. Juni 1998 konnte die alleinsorgeberechtigte Mutter ihr nichteheliches Kind nicht vertreten, soweit es um die Feststellung der Vaterschaft ging. Insoweit bestand eine Amtspflegschaft des Jugendamtes, wobei das Jugendamt das Vaterschaftsfeststellungsverfahren im Regelfall im Interesse der Kinder eingeleitet hatte. Diese Amtspflegschaft ist durch das am 1. Juli 1998 in Kraft getretene Beistandschaftsgesetz abgeschafft worden. Nach heutigem Recht kann der alleinsorgeberechtigten Mutter die Vertretung des oder der Kinder selbst dann nicht durch das Familiengericht entzogen werden, wenn die Vaterschaftsfeststellungsklage im Interesse des bzw. der Kinder wäre.
Bei der gegenwärtigen Rechtslage wäre der Scheinvater rechtsschutzlos gestellt, wenn die Mutter – als gesetzliche Vertreterin der Kinder – die Zustimmung zum Vaterschaftsfeststellungsverfahren willkürlich verweigern würde. Der Regressanspruch des Scheinvaters würde in der Praxis ins Leere laufen, weil er die wirkliche Vaterschaft nachweisen muss, dies aber gegen den Willen der Mutter nicht könnte. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, hat der BGH es jetzt zugelassen, dass in einem Verfahren, in dem der Scheinvater vom wirklichen biologischen Vater den geleisteten Unterhalt zurückverlangt, inzident die Vaterschaft festgestellt werden kann.
Fazit: Mit dem Urteil vom 16. April 2008 hat der BGH die Rechte des Scheinvaters im Rahmen des Unterhaltsregresses gegenüber dem mutmaßlichen biologischen Vater gestärkt. Der Scheinvater ist im Regressprozess gegen den biologischen Vater nicht mehr schutzlos gestellt, wenn die Kindesmutter als gesetzliche Vertreterin der Kinder das Vaterschaftsfeststellungsverfahren verweigert. Kein rechtliches Verfahren kann das emotionale Leid des Scheinvaters beseitigen. Durch das Urteil vom 16. April 2008 hat der BGH jedoch dafür gesorgt, dass eine finanzielle Genugtuung möglich wird.
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