14.12.2008 -

 

Die außerordentliche (fristlose) Verdachtskündigung ist nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig. Neben dem notwendigen dringenden Verdacht einer z.B. strafbaren Handlung des Arbeitnehmers muss die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten werden. Probleme können sich hier bei der Fristberechnung ergeben: Das BAG hat diese Frage in einer aktuellen Entscheidung ausführlich behandelt und dabei dem Arbeitgeber weiten Entscheidungsspielraum zugebilligt ([1] BAG, Urt. v. 5.6.2008 – 2 AZR 234/07).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Der klagende Arbeitnehmer war seit 1990 in den Diensten der beklagten Stadt tätig. Sein Büro befand sich in der 2. Etage des Technischen Rathauses. Unweit davon liegen zwei Straßenbahnhaltestellen.

Am 30. September 2005 wandte sich eine Bürgerin an eine Mitarbeiterin der Stadt und berichtete, sie hätte mehrfach Freitag nach 14.00 Uhr, unter anderem auch an diesem Tag gegen 14:40 Uhr, beobachtet, wie sich in einem Fenster der 2. Etage des Technischen Rathauses eine Person männlichen Geschlechts mit einer Perücke (lange schwarze Haare) in rotem Gewande entblößt und seine Genitalien gezeigt hätte. Die Mitarbeiterin der Stadt empfahl der Bürgerin, sich an die Kriminalpolizei zu wenden und Strafanzeige zu erstatten. Von der Anzeige wurde die beklagte Stadt am 12. Oktober 2005 unterrichtet.

Am Freitag, 14. Oktober 2005, ermittelte die Kriminalpolizei den Kläger auf „frischer Tat“. Hiervon erhielt die beklagte Stadt am 17. Oktober 2005 Kenntnis. Der Kläger wurde dazu in einem Personalgespräch am 14. November 2005 angehört, welches mit einer sofortigen Suspendierung endete.

Am 30. November 2005 informierte die Staatsanwaltschaft Chemnitz telefonisch den Leiter des Personalamtes, dass gegen den Kläger ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt worden sei. Sodann informierte die Beklagte den Personalrat über die Absicht einer fristlosen Kündigung (Verdachtskündigung) mit Schreiben vom 2. Dezember 2005. Der Personalrat stimmte der Kündigungsabsicht am 7. Dezember 2005 zu. Hierauf kündigte die Stadt das Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 8. Dezember 2005 fristlos und etwas später auch hilfsweise ordentlich.

Am 20. Dezember 2005 erließ das Amtsgericht Chemnitz gegen den Kläger einen Strafbefehl, der auf den Einspruch des Klägers in einem Urteil mit einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 € endete.

Der Arbeitnehmer hat die Unwirksamkeit der Kündigungen geltend gemacht. Die ihm zur Last gelegte Pflichtverletzung habe mit dem Arbeitsverhältnis nichts zu tun. Es fehle auch an einer Abmahnung. Insbesondere sei die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden. Die Stadt hätte früher kündigen müssen; ein Zuwarten bis zum Erlass des Strafbefehls sei nicht erforderlich gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen in der Berufung die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt und das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der ordentlichen Kündigung beendet.

 

Die Entscheidung des BAG:

Das BAG hat die fristlose Kündigung hingegen für wirksam erachtet.

 

I. Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB

Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung. Zu den maßgeblichen Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Ohne die umfassende Kenntnis des Kündigungsberechtigten vom Kündigungssachverhalt kann sein Kündigungsrecht nicht verwirken.

 

II. Ausschlussfrist und Strafverfahren

Ein Kündigungsberechtigter darf den Ausgang bzw. Fortgang eines Strafermittlungs- bzw. eines Strafverfahrens abwarten und seinen Kündigungsentschluss davon abhängig machen. Er kann jedoch nicht zu einem beliebigen willkürlich gewählten Zeitpunkt außerordentlich kündigen. Für den gewählten Zeitpunkt bedarf es vielmehr eines sachlichen Grundes. Wenn etwa der Kündigungsberechtigte neue Tatsachen erfahren oder neue Beweismittel erlangt hat und nunmehr einen – neuen – ausreichenden Erkenntnisstand für eine Kündigung zu haben glaubt, kann er dies zum Anlass der Kündigung nehmen.

 

III. Erhebung der öffentlichen Klage als Sachgrund zulässig

Die Verdachtskündigung ist dadurch gekennzeichnet, dass der eigentlich verdachtsauslösende Anlass der Kündigung, also das wahre Geschehen, für den Kündigenden im Dunkeln liegt und oft vom Vertragspartner bewusst verborgen wird. Die Aufhellung des anfänglich vagen Verdachts bis zur endgültigen Klarheit geschieht insoweit nicht als ständig voranschreitender Erkenntnis- und Gewissheitszuwachs, sondern oftmals diskontinuierlich, von den Ermittlungsstillständen, Rückschlägen, Irrtümern über Einzeltatsachen, Fehldeutungen einzelner Teilerkenntnisse und ähnlichen Misslichkeiten verzögert. Dementsprechend kann es im Laufe des Aufklärungszeitraums nicht nur einen, sondern mehrere Zeitpunkte geben, in denen der Verdacht dringend genug ist, um eine Verdachtskündigung darauf zu stützen.

Das Bundesarbeitsgericht hat insoweit nunmehr klargestellt, dass bei einer Verdachtskündigung jede den Verdacht intensivierende Wirkung die Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt rechtfertigt. Eine solche den Verdacht intensivierende Wirkung kann auch die Erhebung der öffentlichen Klage haben. Diese öffentliche Klage setzt zwar keinen dringenden Tatverdacht voraus. Dies ändert aber nichts daran, dass die Erhebung der öffentlichen Klage einen Einschnitt bedeutet, der die anderweitig schon genährte Überzeugung des Arbeitgebers deutlich verstärkt. Während die Einleitung des Ermittlungsverfahrens lediglich einen Anfangsverdacht erfordert, ist die Erhebung der öffentlichen Klage an das Bestehen eines „hinreichenden“ Verdachts gebunden. Der Verdacht erhält also eine entscheidend andere Qualität, weshalb es gerechtfertigt ist, die Erhebung der öffentlichen Klage als einen Umstand anzusehen, bei dessen Eintritt der Arbeitgeber einen sachlichen Grund hat, nunmehr das Kündigungsverfahren einzuleiten.

Im vorliegenden Fall konnte dabei der Arbeitnehmer auch nicht aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen, der Vorfall werde nicht weiterverfolgt. Die Suspendierung des Arbeitnehmers am 14. November 2005 zeigte vielmehr das Gegenteil. Das BAG hat ferner bestätigt, dass der dringende Verdacht mehrerer exhibitionistischer Handlungen einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung darstellt. Von einer öffentlichen Behörde ist zu erwarten, dass sie für die Einhaltung der Gesetze in der Öffentlichkeit sorge.

 

Fazit:

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass die Fristenberechnung für den Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Verdachtskündigung äußerst problematisch ist. Der Praxis kann nur empfohlen werden, alle notwendigen Ermittlungen unverzüglich einzuleiten, um sich so nicht dem Vorwurf der Verzögerung auszusetzen. Der Arbeitnehmer sollte so schnell wie möglich zu den Vorwürfen angehört werden. Sodann muss die Entscheidung getroffen werden, ob eine Kündigung ausgesprochen wird oder man sich vielmehr am Fortgang des Strafverfahrens orientieren möchte.

 

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