05.06.2024 -
Wird eine Abrufarbeit vereinbart, führt dies in der Praxis immer wieder zu Problemen. Denn häufig unterbleibt eine konkrete Festlegung der wöchentlichen Arbeitszeit.
Wie hoch ist die wöchentliche Arbeitszeit, wenn zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Abrufarbeit vereinbart wird? (credits: adobestock)

Die in § 12 TzBfG geregelte Abrufarbeit führt in der Praxis immer wieder zu Problemen. Meist wird Abrufarbeit vereinbart, die Arbeitsvertragsparteien unterlassen aber die konkrete Festlegung der wöchentlichen Arbeitszeit. Das ermöglicht beiden Seiten zwar oftmals die gewünschte Flexibilität, kann aber für die Arbeitnehmerseite zu Nachteilen führen, wenn Arbeit nicht abgerufen wird und dann auch kein Lohn gezahlt wird. Aus diesem Grund schützt das Gesetz die Arbeitnehmerseite mit der Fiktion nach § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG. Dort ist geregelt, dass bei einer fehlenden Vereinbarung einer wöchentlichen Arbeitszeit eine Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart gilt. Wird also bei Verstößen gegen die Regelungen nach dem TzBfG keine konkrete Arbeitszeit vereinbart, besteht ein entsprechender Anspruch in dieser Höhe. Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass diese Regeln immer dann anzuwenden sind, solange keine anderen objektiven Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine andere wöchentliche Arbeitszeit getroffen werden sollte (BAG v. 18.10.2023, 5 AZR 22/23).

Der Fall:

Die Arbeitnehmerin ist bereits seit 2009 bei dem beklagten Unternehmen als Mitarbeiterin auf Abruf im Bereich Verpackung/Post beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag erfolgt die Arbeitsleistung auf Abruf, die Lage der Arbeitszeit wird jeweils mindestens vier Kalendertage im Voraus mitgeteilt. Die Tätigkeit am Samstag ist freiwillig und darf abgelehnt werden.

Die Arbeitnehmerin wurde dann in den Jahren 2017 bis 2019 in unterschiedlichem Umfange zur Arbeit herangezogen. Im Januar 2020 entfiel die Samstagsarbeit vollständig. Entsprechend verringerte sich auch der Umfang des Abrufs der Arbeitsleistung.

Die Klägerin hat klageweise geltend gemacht, unter Einschluss der Arbeit an Samstagen sei sie in den Jahren 2017 bis 2019 durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich eingesetzt worden. Diese Zeit sei im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung als nunmehr vereinbarte Arbeitszeit anzusehen.

Die Beklagte habe ihr deshalb unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für die Monate, in denen ihre Arbeitsleistung nicht im Umfang von 103,2 Monatsstunden abgerufen wurde, entsprechende Differenzvergütung zu zahlen. Weiter hat die Arbeitnehmerin auf Feststellung geklagt, dass die nunmehr monatliche Arbeitszeit mit 103,2 Stunden als vereinbart gelte.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen und festgestellt, dass die von der Klägerin zu erbringende regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gem. § 12 TzBfG 20 Stunden beträgt. Auf dieser Basis wurde dann den Zahlungsanträgen teilweise stattgegeben.

Die Entscheidung:

In der Revision hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

I. Keine feste Arbeitszeitvereinbarung

Zunächst hat das BAG nochmals klargestellt, dass eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit zwischen den Parteien nicht festgelegt wurde. Auch eine konkludente Vereinbarung wurde nicht getroffen. Zwar ist eine konkludente Einigung über eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Weiteres möglich. Anhaltspunkte für eine solche konkludente Vereinbarung lagen hier aber nicht vor. Die von der Klägerin durchschnittlich errechneten 103,2 Stunden waren jedenfalls nicht vereinbart worden. Dazu fehlte es an jeglichen Anhaltspunkten.

Maßgeblich ist insoweit der Gesetzeswortlaut nach § 12 Abs. 1 S. 1 TzBfG. Danach gilt bei fehlender Vereinbarung eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart (Fiktion).

II. Ausnahme nur bei objektiven Anhaltspunkten

Das BAG hat allerdings klargestellt, dass auch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Fiktion von 20 Wochenstunden konkludent als vereinbart angesehen werden kann. Eine solche ergänzende Vertragsauslegung kommt aber nur dann in Betracht, wenn die Fiktion des § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG, die gerade die durch den Verstoß der Arbeitsvertragsparteien entstandene Regelungslücke schließen soll, im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart.

Hinweis für die Praxis:

Solche Anhaltspunkte müssen von der Arbeitnehmerseite vorgetragen werden. Die Arbeitnehmerseite ist darlegungs- und beweispflichtig. Allein das hier dargelegte Abrufverhalten der Arbeitgeberseite in den weit nach Vertragsbeginn liegenden Jahren 2017 bis 2019 reicht dazu nicht aus. Dieser willkürliche Zeitraum lässt einen Rückschluss auf den mutmaßlichen Willen der Beteiligten nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht zu.

Fazit:

Wird eine wöchentliche Arbeitszeit im Rahmen von § 12 TzBfG (Abrufarbeit) nicht vereinbart, gilt die gesetzliche Fiktion von 20 Wochenstunden. Ausnahmen gelten nur bei erkennbar sachwidrigen Ergebnissen oder objektiven Anhaltspunkten. Die Arbeitsvertragsparteien können nach eingetretener Fiktion in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent wiederum eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Auch eine solche nachträgliche Vereinbarung lag hier aber nicht vor. Die Vereinbarung von Abrufarbeit bedarf genauer Rechtskenntnisse. Die Risiken sind durchaus hoch, denn wird ein Mitarbeiter unterhalb von 20 Wochenstunden eingesetzt, greift die Fiktion. Dieser Nachteil sollte mit den Vorteilen einer vereinbarten Abrufarbeit stets abgewogen werden.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei für Arbeits­recht
    (FOCUS SPEZIAL 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

Autor

Bild von Prof. Dr. Nicolai Besgen
Partner
Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen