04.10.2023 -

Annahmeverzug – Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes: Berücksichtigung auch bei einem Verstoß gegen die Pflicht zur Arbeitssuchendmeldung?

Das BAG hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Mitarbeiter nach erfolgreichem Kündigungsschutzverfahren erhebliche Annahmeverzugsansprüche im Hinblick auf Arbeitsentgelt und vorenthaltenen Dienstwagen geltend gemacht hat.
Arbeitgeber sollten, wenn der Arbeitnehmer Annahmeverzugsansprüche geltend macht, Auskunft darüber verlangen, ob sich der Mitarbeiter bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet hat (credits: adobestock).

Befindet sich im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens der Arbeitgeber in Annahmeverzug und macht der Arbeitnehmer für den Zeitraum, in dem er nicht beschäftigt wurde, Annahmeverzugsansprüche geltend, sind diese vom Arbeitgeber bei unwirksamer Kündigung nachzuzahlen. Allerdings greift in diesen Fällen ein allgemeiner Grundsatz. Der Arbeitnehmer muss sich auf diesen Annahmeverzugsanspruch das anrechnen lassen, was er durch anderweitige Arbeit hätte verdienen können und böswillig unterlassen hat. Dies folgt aus § 615 Satz 2 BGB bzw. für Zeiträume nach rechtskräftig gewordenen Entscheidungen der Arbeitsgerichte aus § 11 Nr. 2 KSchG. Die Vorschriften sind weitestgehend inhaltsgleich.

Das Bundesarbeitsgericht hatte jetzt einen Fall zu entscheiden, in dem ein Mitarbeiter nach erfolgreichem Kündigungsschutzverfahren erhebliche Annahmeverzugsansprüche im Hinblick auf Arbeitsentgelt und vorenthaltenen Dienstwagen geltend gemacht hat (BAG v. 12.10.2022, 5 AZR 30/22). Dabei hat das Bundesarbeitsgericht sehr wichtige neue Grundsätze aufgestellt und die bestehende Rechtsprechung fortentwickelt. Die Entscheidung ist bei erfolgreicher Prozessführung aus Arbeitgebersicht zu beachten und soll daher hier vorgestellt werden.

Der Fall:

Der gekündigte Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber in leitender Position tätig. Das Bruttomonatsgehalt betrug 11.848,00 €. Für die vorgesehene private Nutzung des Dienstwagens rechnete der Arbeitgeber 809,00 € brutto monatlich nach der sogenannten 1%-Regelung ab.

Mit Schreiben vom 5.3.2019 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Der überlassene PKW war bereits zurückgefordert worden im Rahmen von vorhergehenden Bestandsstreitigkeiten.

Der Arbeitnehmer meldete sich nach Zugang der Kündigung vom 5.3.2019 nicht arbeitssuchend und bezog auch keine Leistungen der Agentur für Arbeit. Das Arbeitsgericht hat rechtskräftig entschieden, dass die Kündigung vom 5.3.2019 unwirksam ist.

Der Kläger hat zuletzt für die Zeit vom Zugang der Kündigung bis zum 30.4.2020 Vergütung wegen Annahmeverzug in Höhe von 163.067,69 € sowie Schadensersatz wegen des Entzugs des Dienstwagens in Höhe von 11.133,38 €, insgesamt 174.201,07 € brutto nebst Zinsen verlangt.

Er hat dabei die Auffassung vertreten, er habe den anderweitigen Verdienst nicht böswillig im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG unterlassen. Es bestehe keine Obliegenheit, die Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen.

Der Arbeitgeber hat hingegen die Ansicht vertreten, die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht sei auch für den Annahmeverzug von Bedeutung. Sie indiziere schon die Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG.

Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage in vollem Umfange stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen die Klage vollständig abgewiesen und die Böswilligkeit bejaht.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Böswilliges Unterlassen bei Verstoß gegen die Pflicht zur Arbeitssuchendmeldung?

Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig im Sinne des § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzuges trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Maßgebend sind dabei immer die gesamten Umstände des Einzelfalls.

Die Unzumutbarkeit einer anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, sie kann etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen. Dies schließt es aus, einen bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigenden Umstand losgelöst von den sonstigen Umständen des Einzelfalles gleichsam absolut zu setzen.

II. Gesamtabwägung zwingend erforderlich!

Das Landesarbeitsgericht hatte hier angenommen, bereits das Unterlassen der Meldung als arbeitssuchend nach § 38 SGB III erfülle das Merkmal böswilligen Unterlassens im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG. Schon dies führe unmittelbar zu einer Anrechnung hypothetischen Verdienstes in voller Höhe der Klageforderung. Das Landesarbeitsgericht hat damit den Fokus ausschließlich auf die Verletzung der sozialversicherungsrechtlichen Meldepflicht im Sinne des § 38 Abs. 1 SGB III gesetzt. Mit dieser Begründung hat es einen Aspekt losgelöst von den sonstigen Umständen des Einzelfalls gleichsam als absolut angesehen. Dies widerspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die erforderliche Gesamtabwägung aller beiderseitigen Interessen ist unterblieben.

Hinweis für die Praxis:

Natürlich muss die in § 38 Abs. 1 SGB III geregelte Pflicht, sich innerhalb von drei Tagen nach Erhalt einer außerordentlichen Kündigung bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden, im Rahmen der durchzuführenden Gesamtabwägung Beachtung finden. Ein Arbeitnehmer darf nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wird. Dennoch müssen auch alle sonstigen tatsächlichen Umstände Berücksichtigung finden. Das Bundesarbeitsgericht weist dabei darauf hin, dass auch der unterlassene Hinweis in einem Kündigungsschreiben bei dieser Gesamtabwägung beachtet werden muss. Arbeitgeber sollten daher den Hinweis in ein Kündigungsschreiben aufnehmen, um nach dieser Rechtsprechung nicht einem Gegeneinwand ausgesetzt zu sein.

III. Unterscheide Schadensersatzansprüche von Annahmeverzug

Das Landesarbeitsgericht hat auch die Ansprüche auf Arbeitsentgelt wegen Annahmeverzug und den Schadensersatzanspruch wegen des vorenthaltenen Dienstwagens fehlerhaft gleichgesetzt. Der Anspruch auf die Entschädigung für die vorenthaltene Nutzung eines Dienstwagens folgt aber nicht aus §§ 615, 611a BGB, sondern vielmehr aus den Regelungen für Schadensersatzansprüche nach §§ 280, 283 BGB. Hier greifen die Grundsätze zum böswilligen Unterlassen nicht. Allerdings kann auch für diese Forderung ein Mitverschulden angenommen werden (§ 254 BGB).

Die Frage des Mitverschuldens hatte hier das Landesarbeitsgericht ebenfalls nicht geprüft. Auch insoweit war daher der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zur erneuten Sachaufklärung zurückzuweisen.

Fazit:

Die Entscheidung ist äußert interessant und weitreichend in ihren Auswirkungen. In Kündigungsschutzfällen werden sehr häufig Annahmeverzugslohnansprüche von der Arbeitnehmerseite eingeklagt. In diesen Fällen sollte der Arbeitgeber in jedem Fall Auskunft darüber verlangen, ob sich der Mitarbeiter bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet hat. Fehlt eine solche Meldung, kann dies bei der Annahme des böswilligen Unterlassens im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG bzw. § 615 Satz 2 BGB hilfreich sein. Arbeitgeber sollten auch den Hinweis zur Arbeitssuchendmeldung in ihre Kündigungsschreiben vorsorglich nach dieser Rechtsprechung aufnehmen. Andernfalls kann dies bei der Berechnung des Annahmeverzugslohnes zugunsten der Arbeitnehmerseite gewertet werden.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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