08.05.2024 -
Das BAG hat im Jahre 2021 den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Eigenkündigung neu bewertet. Das Arbeitsgericht Köln hat diese Judikatur nun weiterentwickelt.
Das Arbeitsgericht Köln hat die durch das BAG entwickelte Judikatur bezüglich des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Zusammenhang mit einer Eigenkündigung um eine weitere Fallkonstellation erweitert (credits: adobestock).

Das Bundesarbeitsgericht hat bekanntlich im Jahre 2021 den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Zusammenhang mit einer Eigenkündigung neu bewertet (BAG v. 8.9.2021 – 5 AZR 149/21). Seit dieser Entscheidung kommt es immer wieder zu neuen Fallkonstellationen in denen die Frage, ob eine Kündigung und eine gleichzeitig ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ausschließen, zwischen den Arbeitsvertragsparteien streitig ist. Das Arbeitsgericht Köln hat diese Judikatur um eine weitere Fallkonstellation erweitert (ArbG Köln v. 13.7.2023, 8 Ca 922/23). Wir möchten hier die wichtigen Ausführungen für die Praxis vorstellen.

Der Fall (verkürzt):

Bei dem Unternehmen handelt es sich um ein Architekturbüro mit ca. 28 Arbeitnehmern. Der Kläger wurde dort als Diplom-Ingenieur seit dem 01.05.2021 beschäftigt.

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Kündigungsschreiben vom 30.01.2023 per E-Mail als PDF-Datei zum 28.02.2023, das Original ging dem Kläger per Post am 08.02.2023 zu.

Der Kläger hat seit Mittwoch, den 02.02.2023 keine Arbeitsleistung mehr erbracht und eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung datierend vom 02.02.2023 für den Zeitraum bis einschließlich 17.02.2023 vorgelegt sowie später eine Folgebescheinigung bis zum 28.02.2023.

Neben dem Streit über die Kündigung, der hier nicht weiter ausgeführt werden soll, hat der Kläger auch seine Vergütung für Februar 2023 eingeklagt. Der Arbeitgeber war insoweit der Ansicht, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Monat Februar 2023 zu. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs mit der ausgesprochenen Kündigung und auf Basis der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erschüttert.

Die Entscheidung:

Die Zahlungsklage hatte vor dem Arbeitsgericht Köln Erfolg.

I. Arbeitsunfähigkeit und Entgeltfortzahlung

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit der Unfähigkeit folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Ist ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, steht ihm der Entgeltfortzahlungsanspruch zu. Der Arbeitnehmer trägt für diese Anspruchsvoraussetzungen die Darlegungs- und Beweislast.

Im Regelfall wird der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG geführt, wobei seit dem 1.1.2023 die Vorlagepflicht hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer grundsätzlich entfallen ist und durch die Verpflichtung ersetzt wurde, eine Arbeitsunfähigkeit lediglich noch ärztlich feststellen zu lassen und der Arbeitgeber die Möglichkeit des Abrufs einer Bescheinigung im elektronischen Verfahren über die Krankenkasse hat (§ 5 Abs. 1a EFZG). Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. Nr. 1 EFZG genügt die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen.

Hinweis für die Praxis:

Diese gesetzgeberische Wertentscheidung wirkt sich auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu.

II. Erschütterung des Beweiswertes bei Kündigung?

Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann jedoch ausnahmsweise aufgrund Indizien, die gegen die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit sprechen, erschüttert sein. So kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts u.a. auch das „passgenaue“ Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung exakt für den Zeitraum einer Kündigungsfrist bei Ausspruch einer Eigenkündigung ein Indiz zur Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeit darstellen (BAG v. 8.9.2021, 5 AZR 149/21). Der 5. Senat führt dazu in dieser Entscheidung Folgendes in den Leitsätzen wörtlich aus:

Aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zu. Der Arbeitgeber kann diesen daher nicht durch einfaches Bestreiten mit Nichtwissen erschüttern, sondern nur indem er Umstände vorträgt und im Bestreitensfall beweist, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen. Ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung können sich daraus ergeben, dass eine am Tag der Eigenkündigung des Arbeitnehmers ausgestellte AU-Bescheinigung passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdeckt.“

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Köln waren diese Voraussetzungen hier nicht erfüllt. Zunächst handelte es sich schon nicht um eine Eigenkündigung, sondern um eine arbeitgeberseitige Kündigung. Insofern liegt ein wesentlicher Unterschied vor, da der Arbeitnehmer bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung, wie vorliegend erfolgt, Kündigungsschutzklage mit dem Ziel der gerichtlichen Feststellung des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses erheben kann. Bei einer Eigenkündigung wird das Arbeitsverhältnis aus Sicht des Arbeitnehmers endgültig beendet. Auch hat das Arbeitsgericht hier einen „passgenauen“ Gleichlauf von Kündigung und Arbeitsunfähigkeit abgelehnt, da die Daten nicht übereinstimmten.

Hinweis für die Praxis:

Würde man hier den Beweiswert als erschüttert ansehen, würde dies faktisch bedeuten, dass einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer ausgesprochenen Kündigung, gleich ob arbeitnehmer- oder arbeitgeberseitig, keinerlei Beweiswert mehr zukommen würde. Dies entspricht nicht der geltenden Rechtslage und kann auch nicht der Begründung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.09.2021 entnommen werden.

Fazit:

Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden. Das ist bei einem passgenauen Gleichlauf von Arbeitsunfähigkeit und Kündigungsfrist bei einer Eigenkündigung der Fall. In allen anderen Konstellationen müssen weitere Umstände hinzutreten, die eine Erschütterung des Beweiswertes rechtfertigen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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