20.12.2023 -

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei Eigenkündigung

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Das Bundesarbeitsgericht hat in einer wegweisenden Entscheidung aus dem Jahre 2021 die Grundsätze für die Entgeltfortzahlung präzisiert.
Eine passgenaue Krankschreibung mit vorliegenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und dem gleichzeitigen Ausspruch einer Eigenkündigung kann zum Verlust des Entgeltfortzahlungsanspruchs führen (credits:adobestock).

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer wegweisenden Entscheidung aus dem Jahre 2021 die Grundsätze für die Entgeltfortzahlung präzisiert (BAG v. 8.9.2021, 5 AZR 149/21). Seit dieser Grundsatzentscheidung sind viele Arbeitgeber dazu übergegangen, in Fällen der Eigenkündigung und gleichzeitiger Krankschreibung keine Entgeltfortzahlung mehr zu leisten. Die Arbeitsgerichte haben sich daher verstärkt mit diesen Fragen in den vergangenen zwei Jahren befasst und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt. So auch in dem aktuellen Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein (LAG Schleswig-Holstein v. 2.5.2023, 2 Sa 203/22). In der Entscheidung werden die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts fortentwickelt.

Der Fall:

Die Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Arbeitgeber als Pflegeassistentin seit dem 1. Mai 2019 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Eigenkündigung der Klägerin vom 4. Mai 2022 zum 15. Juni 2022. Der Wortlaut der Kündigung lautet wie folgt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit kündige ich das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis vom 01.05.2019 unter Einhaltung der maßgeblichen gesetzlichen Kündigungsfrist von vier Wochen ordentlich und fristgerecht zum 15.06.2022.

Nach meiner Rechnung stehen mir noch 11 Tage Urlaub von diesem Jahr zu und noch 6 Tage von letzten Jahr. Hiermit beantrage ich Urlaub vom 01.06.2022-15.06.2022 (11 Tage). Die restlichen Urlaubstage verrechnen sie bitte mit meiner letzten Gehaltsabrechnung.

Bitte senden Sie mir eine Bestätigung des Erhalts dieses Briefes, meine Arbeitspapiere sowie ein qualifiziertes Arbeitszeugnis an die oben aufgeführte Adresse.

Ich bedanke mich für die bisherige Zusammenarbeit und wünsche ihren Unternehmen alles Gute.“

In der Folgezeit wurde die Klägerin dann durch verschiedene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist durchgehend krankgeschrieben. So erkrankte die Klägerin vom

– 05.05. bis 11.05., festgestellt am 05.05.2022

– sodann bis 15.05., festgestellt am 10.05.2022 (Folgebescheinigung)

– anschließend vom 12.05.2022 bis 22.05.2022, festgestellt am 12.05.2022 (Erstbescheinigung)

– sodann bis 05.06.2022, festgestellt am 19.05.2022 (Folgebescheinigung)

– sodann bis 15.06.2022, festgestellt am 07.06.2022 (Folgebescheinigung)

Der Arbeitgeber zahlte für den vollständigen Zeitraum der Krankschreibungen vom 5. Mai 2022 bis zum 15. Juni 2022 keine Entgeltfortzahlung.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei in dem fraglichen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Das Krankheitsbild sei eine psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeit in Folge arbeitsplatzspezifischer Belastung, welche sich in den ersten Tagen auch körperlich durch starke Magenschmerzen geäußert habe. Sie sei durch die extrem hohe Arbeitsanforderung und den harschen Umgang ihrer Vorgesetzten vollkommen überlastet und psychisch beeinträchtigt gewesen, dies habe sich dann eben auch körperlich durch starkes Unwohlsein, Unruhezustände und Magenschmerzen geäußert. Der behandelnde Arzt habe ihr aufgrund der Beschwerden geraten, den Betrieb nicht mehr aufzusuchen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Urteil vom 8. September 2021 nicht erschüttert gewesen. Im Unterschied zu dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall habe auch keine durchgehende Arbeitsunfähigkeit vorgelegen. Vielmehr sei die Klägerin durch mehrfache Arztbesuche in zeitlichen Abständen jeweils immer wieder neu krankgeschrieben worden.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung abgelehnt!

I. Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geführt. Üblicherweise wird dann der Beweis als erbracht angesehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt.

Der Arbeitgeber darf daher nicht einfach nur die Arbeitsunfähigkeit bestreiten. Vielmehr muss der Arbeitgeber den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Das bedeutet, dass er Umstände darlegen muss, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt.

Hinweis für die Praxis:

Die den Beweiswert erschütternden Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.

II. Erschütterung des Beweiswertes bei Eigenkündigungen

Das Bundesarbeitsgericht hat in der bereits genannten Entscheidung vom 8. September 2021 nunmehr klargestellt, dass ein passgenauer Gleichlauf von Eigenkündigung und Krankschreibung geeignet ist, den Beweiswert zu erschüttern. Gelingt es daher dem Arbeitgeber, den Beweiswert in diesem Sinne zu erschüttern, so ist es sodann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und zu beweisen, die seine bestehende Erkrankung bestätigen. Dazu ist dann substantiierter Vortrag erforderlich.

Hinweis für die Praxis:

Der Arbeitnehmer muss dann z.B. klar benennen, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben. Dabei kann er auch den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden.

Fazit:

Im vorliegenden Fall hatte die Arbeitnehmer insgesamt mit fünf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. In ihrem Kündigungsschreiben beantragte sie gleichzeitig Urlaub, bat um Verrechnung der noch offenen sechs Urlaubstage mit der Gehaltsabrechnung, bat um Zusendung der Arbeitspapiere und eines qualifizierten Arbeitszeugnisses. Schließlich bedankte sie sich für die bisherige Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Aus der Formulierung des Kündigungsschreibens ergab sich damit eindeutig, dass sie keine Absicht mehr hatte, nochmals in den Betrieb zurückzukehren.

Inhaltlich konnte sie ihre Krankheit im Klageverfahren nicht beweisen. Das Gericht hat detailliert begründet, weshalb die Begründungen nicht ausreichend waren. Damit konnte sie ihre bestehende Arbeitsunfähigkeit, obwohl sogar der behandelnde Arzt als Zeuge vernommen wurde, nicht nachweisen.

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass eine passgenaue Krankschreibung, auch mit verschiedenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, gleichzeitig mit dem Ausspruch einer Eigenkündigung zum Verlust des Entgeltfortzahlungsanspruchs führen kann. Allerdings weisen wir auch darauf hin, dass die bloße Tatsache, dass beide Zeiträume passgenau zusammenfallen, noch nicht ausreichend ist. Dem Arbeitnehmer bleibt immer die Möglichkeit, seine tatsächlich bestehende Erkrankung nachzuweisen. Dies wird sich in vielen Fällen endgültig erst im Gerichtsverfahren klären lassen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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