23.10.2023 -

Das bestätigt zumindest das SG Marburg in seiner Entscheidung vom 03.05.2023 – S 17 KA 642/22

Das Sozialgericht Marburg hatte zu entscheiden, ob der ärztliche Leiter eines MVZ auch ausschließlich an der Nebenbetriebsstätte beschäftigt sein kann.
Jedes Medizinische Versorgungszentrum braucht einen ärztlichen Leiter. Aber kann dieser auch ausschließlich an der Nebenbetriebsstätte beschäftigt sein? (credits: adobestock).

Jedes Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) braucht seit jeher einen ärztlichen Leiter, so sieht es § 95 Abs. 1 S. 2, 3 SGB V vor. Dabei muss dieser in dem jeweiligen MVZ als Angestellter oder als Vertragsarzt tätig sein. Damit soll erreicht werden, dass der ärztliche Bereich nicht fremdbestimmt wird. Eine Intention des Gesetzgebers, die sich in der aktuellen Debatte um die investorengetragenen MVZ (iMVZ) wiederfindet. Nur ein ärztlicher Leiter, der in die Organisations- und Versorgungsstrukturen des MVZ eingebunden sei, habe tatsächlich Einwirkungsmöglichkeiten auf die dortigen Abläufe und könne sicherstellen, dass ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen würden (BT-Drucks 17/6906 S 70). Weiter hat der Gesetzgeber die Funktion und den Aufgabenumfang wenig konturiert. Das Bundessozialgericht (Entscheidung vom 14.12.2011) weist dem Ärztlichen Leiter die Verantwortung, die Steuerung der medizinischen Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zu.

Ein MVZ kann neben seiner Hauptbetriebsstätte Nebenbetriebsstätten (Zweigpraxis) betreiben. Der Betrieb einer solchen Nebenbetriebsstätte muss von der KV genehmigt werden, soweit die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV vorliegen, insbesondere die Versorgung der Versicherten am Standort in der Nebenbetriebsstätte verbessert wird. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wurde ein dritter Absatz ergänzt. Eine Verbesserung der Versorgung soll auch dann vorliegen, wenn eine bestehende Praxis übernommen wird und am bisherigen Standort als Zweigpraxis fortgeführt werden soll. Von dieser Ergänzung wird in der zulassungsrechtlichen Praxis gerade in Gebieten mit einer an sich ausreichenden Versorgungslage häufig Gebrauch gemacht.

Kann der ärztliche Leiter auch ausschließlich an der Nebenbetriebsstätte beschäftigt sein?

Diese Frage hatte das Sozialgericht Marburg zu entscheiden. Das MVZ verfügte neben der Hauptbetriebsstätte über zwei Nebenbetriebsstätten. Nachdem der bisher an der Hauptbetriebsstätte tätige ärztliche Leiter ausgeschieden war, sollte eine ausschließlich in einer Nebenbetriebsstätte tätige Ärztin die ärztliche Leitung übernehmen.

Der Zulassungsausschuss (ZA) hielt dies für unzulässig. Er stellte durch Beschluss fest, dass es dem MVZ an einer ärztlichen Leitung fehlen würde. Ein ärztlicher Leiter müsse am Standort der Hauptbetriebsstätte beschäftigt sein, um die erforderlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die betrieblichen Abläufe zu haben. Das Problem für das MVZ an dieser Stelle ist: verfügt es nicht über einen ärztlichen Leiter, so kann die Zulassung insgesamt entzogen werden.

Der Berufungsausschuss folgte dem ZA nicht und hob den Beschluss auf den Widerspruch des MVZ auf. Es sei nicht zwingend, dass der ärztliche Leiter am Hauptstandort des MVZ beschäftigt sein müsse. Entscheidend sei, dass die Leitungsfunktion ausgeübt werden könne. Das sei eine Frage des Einzelfalls. Im konkreten Fall war dies insbesondere durch eine räumliche Nähe der Betriebsstätten und eine gute Verkehrsanbindung gewährleistet. Aber auch die Möglichkeiten der Telekommunikation würden die persönliche Anwesenheit des ärztlichen Leiters nicht unbedingt erforderlich machen. Mit dieser Entscheidung war die KV nicht einverstanden und erhob Klage.

Die Entscheidung

Das SG Marburg bestätigte die Entscheidung des Berufungsausschusses und wies die Klage ab.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Gesetzestext keine eindeutige Antwort liefere. Deswegen müsse diese Frage danach beantwortet werden, ob die ärztliche Leitung eines MVZ faktisch in der Lage ist, von ihrem jeweiligen Standort aus die vollständige und umfassende Kontrolle und Steuerung des MVZ wahrzunehmen.

Was gehört zu den Aufgaben der ärztlichen Leitung?

Die vielfältigen Aufgaben listet das Gericht dann in wohl nicht abschließender Aufzählung auf. So gehörten dazu

  • die Steuerung des MVZ hinsichtlich des Personaleinsatzes,
  • der medizinischen Ausrichtung der Abrechnung,
  • der sachlich und rechnerischen Abrechnung in der Form der Dokumentation durch Unterschrift,
  • die Einhaltung der Teilnahme des MVZ am Notdienst und die Einteilung der Ärzte,
  • die Prüfung, ob die im MVZ angestellten Ärzte ihren vertragsärztlichen Verpflichtungen nachkommen,
  • die Prüfung, ob die erforderlichen Abrechnungsgenehmigungen für die von den angestellten Ärzten erbrachten Leistungen vorliegen,
  • die Vertretung von abwesenden Ärzten,
  • die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei den ärztlichen Behandlungen einschließlich der Verordnung von Arzneimitteln, Heil- und Hilfsmitteln sowie Sprechstundenbedarf,
  • die Einhaltung von Qualitätssicherung-, Hygiene- und weiteren Vorschriften sowie die Sicherstellung der nicht-Einflussnahme Dritter in die ärztliche Behandlung

Dies setze voraus, dass die jeweilige Person, welche die ärztliche Leitung übertragen wurde, jederzeit kurzfristig die persönliche Anwesenheit auch in der Hauptbetriebsstätte gewährleisten kann.

Welche Entfernung zwischen Neben- und Hauptbetriebsstätte ist zulässig?

Bei der zulässigen Entfernung orientiert sich das SG Marburg dann an der bereits vom Bundessozialgericht mehrfach als zulässig beurteilten Entfernung zwischen Arztpraxis/MVZ und ausgelagerten Praxisräumen. Danach muss die Hauptbetriebsstätte innerhalb von 30 Minuten erreichbar sein.

Fazit

Es gilt auch in dieser Frage der juristische Grundsatz: es kommt drauf an. Das ist im Ergebnis zu begrüßen. Einen generellen Ausschluss, die ärztliche Leitung einem Arzt oder einer Ärztin an einer Nebenbetriebsstätte zu übertragen, gibt es nicht. Wichtig bleibt, dass die Wahrnehmung der Aufgaben nicht durch die Entfernung beeinträchtigt wird. Das bleibt eine Frage des Einzelfalls.

Veranschaulicht wird aber auch in dieser Entscheidung noch einmal, wie umfangreich die Aufgaben des ärztlichen Leiters tatsächlich sind. Verbunden mit der möglichen persönlichen Konsequenz für den ärztlichen Leiter (siehe zum Beispiel SG München, Gerichtsbescheid vom 21.01.2021 – S 38 KA 165/19) sollte auch ein praktisches Interesse seitens des MVZ und des ärztlichen Leiters an einer Einwirkungsmöglichkeit bestehen.

Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass es sich um eine Entscheidung aus dem Zulassungsbezirk der KV Hessen handelt. Ob die Zulassungsgremien in anderen Zulassungsbezirken der Entscheidung des SG Marburg folgen, bleibt abzuwarten. In der Praxis bietet es sich sicherlich an, vor einer entsprechenden strukturellen Änderung im MVZ-Betrieb sich – soweit möglich – mit den Zulassungsgremien und der KV zu dieser Frage abzustimmen.

Autor: Torsten von der Embse

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