17.04.2024 -
Auflösungsanträge des Arbeitnehmers nach § 9 KSchG ist schwer durchsetzbar (credits: adobestock).

In vielen Unternehmen streiten sich die Arbeitsvertragsparteien über die Anzeige- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit. Kommt es hier zu Verfehlungen, können Verstöße von der Arbeitgeberseite durch Abmahnung oder Kündigung sanktioniert werden. Oftmals werden aber auch Zweifel an dem Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit geäußert. Kann der Arbeitgeber diese Zweifel nicht nachweisen, greifen die Wirkungen einer festgestellten Arbeitsunfähigkeit.

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte nun einen Fall zu entscheiden, in dem der Arbeitgeber deutliche Bedenken am Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit geäußert hat, eine ausgesprochene Kündigung aber unwirksam war. Der Arbeitnehmer stellte im Anschluss wegen der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses den sogenannten Auflösungsantrag nach § 9 KSchG (LAG Baden-Württemberg v. 30.12.2022, 17 Sa 11/22). Dem Auflösungsantrag wurde trotz durchaus sehr deutlicher Aussagen von der Arbeitgeberseite durch das Arbeitsgericht nicht stattgegeben. Die Entscheidung macht deutlich, wie schwer die Durchsetzung eines Auflösungsantrages in der Praxis umzusetzen ist.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Logistikunternehmen seit dem 1. September 2020 als Lackierer beschäftigt. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.342,13 €.

Der Kläger erkrankte am 15. Juni 2021. Die behandelnde Hausärztin bescheinigte eine Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von zehn Tagen. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übermittelte der Kläger an seinen Vorgesetzten, Herrn K., am 15. Juni 2021 per WhatsApp. Zudem meldete sich der Kläger am selben Tag telefonisch bei Herrn K., worauf dieser ihm mitteilte:

Was ist das für ein Kindergarten. Wenn sich da nichts ändert, ändere ich was.“

Herr K. beendete anschließend das Telefonat. Nach Übermittlung der Krankmeldung ebenfalls am 15. Juni 2021 sendete Herr K. dem Kläger über WhatsApp folgende weitere Mitteilung:

Viel sag ich nicht dazu. Entweder du bist morgen da, und heutiger Vorfall wird geklärt, dann gehts weiter.

Ansonsten – ist es erledigt. Diese Art und Weise wird nicht akzeptiert keinesfalls. Du hast alle Freiheiten, die du nie wieder wo hast! Aber auch für dich gibts Grenzen. Wenn dir der Job wichtig ist bist du morgen da – dann reden wir kein Problem. Und wenn mir in meiner Bude was nicht passt, sag ich dir das. Ob du danach eingeschnappt bist oder nicht ist dein Problem. Ihr kassiert hierfür schließlich Geld.“

Am 16. Juni 2021 schrieb der Kläger an Herrn K.:

Ich schaffe es heute gesundheit nicht vorbei zu kommen.“

Der Arbeitgeber kündigte mit Schreiben vom 15. Juni 2021, dem Kläger zugegangen am 18. Juni 2021, das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 13. Juli 2021.

In der 1. Instanz wurde die Rücknahme der Kündigung erklärt. Der Kläger stellte daraufhin wegen der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einen Auflösungsantrag.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben, den Auflösungsantrag jedoch abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht den allein streitgegenständlichen Auflösungsantrag ebenfalls abgewiesen.

I. Auflösungsantrag nur bei Unzumutbarkeit

Ein Auflösungsantrag kann immer dann gestellt werden, wenn dem Arbeitnehmer trotz sozialwidriger Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Diese Unzumutbarkeit nach § 9 KSchG ist jedoch nicht identisch mit der Sozialwidrigkeit der Kündigung. In der Regel treten durch jede Kündigung Spannungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf. Diese allein vermögen einen Auflösungsantrag noch nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss sich die Unzumutbarkeit aus weiteren Gründen ergeben, die der Arbeitgeber setzt.

Hinweis für die Praxis:

Diese Gründe müssen im Zusammenhang mit der Kündigung oder dem Kündigungsschutzprozess stehen. Sie können sich aus den Modalitäten der Kündigung selbst ergeben, z.B. Beleidigungen im Zusammenhang mit dem unmittelbaren Ausspruch der Kündigung, oder mit der Kündigung verbundenen unzulässigen Maßregelungen. Sie können sich auch aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers ergeben.

II. Beweislast und Beurteilungszeitpunkt

Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergibt, trägt der Arbeitnehmer. Pauschale Behauptungen und schlagwortartige Wendungen genügen nicht.

Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag in der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz. Bei der zu treffenden Prognoseentscheidung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist oder nicht, sind sowohl bei Ausspruch der Kündigung bereits vorliegende, als auch erst nach Ausspruch der Kündigung entstehende Umstände zu berücksichtigen.

III. Übliche Spannungen reichen nicht aus

Das Landesarbeitsgericht wie auch das Arbeitsgericht in der Vorinstanz haben hier die Unzumutbarkeit abgelehnt. Trotz der deutlichen Wortwahl des Vorgesetzten Herrn K. sind unterschiedliche Vorstellungen für die Bedürfnisse und Leistungsgrenzen im Hinblick auf die Arbeitsleistung nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts im Arbeitsleben üblich. Solche Spannungsfelder treten im Arbeitsalltag in jedem Arbeitsverhältnis auf, können und müssen aber zwischen den Vertragspartnern angesprochen und geklärt werden.

Hinweis für die Praxis:

Das Gericht konnte auch aus den Nachrichtentexten keine eindeutigen Drohungen ableiten. So hat das Gericht angenommen, der Arbeitgeber wolle ein Gespräch führen. Im Ergebnis wurden daher die hohen Anforderungen an die Unzumutbarkeit von Seiten des Gerichts hier abgelehnt.

Fazit:

Ist eine Kündigung unwirksam, dem Arbeitnehmer aber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen der Begleitumstände und sonstiger Äußerungen der Arbeitgeberseite unzumutbar, kann ausnahmsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG beantragt werden. Das Gericht löst dann trotz unwirksamer Kündigung das Arbeitsverhältnis auf und verurteilt den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung. Die Gründe, die zur Unwirksamkeit der Kündigung geführt haben, reichen für die Auflösung nicht aus. Vielmehr müssen weitere Gründe vorliegen. Diese hat der Arbeitnehmer zu beweisen. Die Gerichte stellen an den Auflösungsantrag hohe Anforderungen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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