24.04.2024 -

Auskunftsanspruch des Betriebsrats über die Anzahl der beschäftigten schwerbehinderten Menschen: Leitende Angestellte werden ebenfalls erfasst!

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung den Auskunftsanspruch des Betriebsrats bejaht. Erfahren Sie hier die Gründe (credits: adobestock).

Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihn zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend unterrichtet. Zudem besteht die allgemeine Aufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu fördern. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass diese Aufgaben des Betriebsrats den Arbeitgeber verpflichten, Auskünfte über die beschäftigten Schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen einschließlich der leitenden Angestellten, die diese Voraussetzungen erfüllen, zu erteilen (BAG v. 9.5.2023, 1 ABR 14/22). Wir möchten die wichtige Entscheidung für die Praxis hier darstellen und besprechen.

Der Fall:

Der Betriebsrat verlangt von der Arbeitgeberin, ihm ein Verzeichnis über alle im Betrieb und Unternehmen beschäftigten Schwerbehinderten und diesen gleichgestellten behinderten Menschen zu übermitteln. Die Arbeitgeberin erteilte daraufhin lediglich die Auskunft, der Schwellenwert für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung im Betrieb sei erreicht. Weiteren konkreten Angaben stünde der Datenschutz entgegen.

Der Betriebsrat hat gemeint, die Arbeitgeberin müsse ihm Auskunft über Anzahl und Namen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten behinderten Menschen erteilen. Er habe darauf zu achten, dass die Arbeitgeberin ihre vielseitigen Pflichten gegenüber dieser Personengruppe erfülle. Zudem habe er die Aufgabe, auf die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung hinzuwirken. Dem könne er nur nachkommen, wenn ihm bekannt sei, welcher Arbeitnehmer schwerbehindert oder einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt seien.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen im Wesentlichen bestätigt.

I. Umfassender Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats

Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BetrVG einen Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber, dass dieser ihn zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend unterrichtet. Hieraus folgt ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats, soweit die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist. Anspruchsvoraussetzung ist damit zum einen, dass überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben, und zum anderen, dass im Einzelfall die begehrte Information zur Wahrnehmung der Aufgabe erforderlich ist.

Hinweis für die Praxis:

Diese Anspruchsvoraussetzungen hat der Betriebsrat darzulegen. Ein allgemein gehaltener Hinweis des Betriebsrats auf seine gesetzlichen Aufgaben unter Wiederholung des Gesetzeswortlautes reicht daher nicht aus.

II. Notwendiger Aufgabenbezug

Den notwendigen Aufgabenbezug hat der Betriebsrat dargelegt. So hat er nach § 176 Satz 2 Halbsatz 2 SGB IX die Aufgabe, auf die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung hinzuwirken. Diese Frage musste aber nicht weiter vertieft werden, da im Betrieb während des laufenden Verfahrens bereits eine Schwerbehindertenvertretung gewählt worden war.

Der Betriebsrat konnte sich aber auch auf die Wahrnehmung weiterer Aufgaben mit Erfolg berufen. Diese folgen insbesondere aus § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG i.V.m. § 176 Satz 1 und Satz 2 SGB IX sowie § 164 Absätze 4 und 5 SGB IX. Nach diesen Vorschriften hat der Betriebsrat die Aufgabe, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu fördern. Die Einhaltung dieser Vorgaben ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts integraler Bestandteil der dem Betriebsrat obliegenden Pflichten.

Hinweis für die Praxis:

Das Bundesarbeitsgericht begründete dann im Einzelnen, welchen Verpflichtungen ein Arbeitgeber aus den genannten Vorschriften nachkommen muss. Diese Pflichten nach dem SGB IX sind vielfältig. Der Betriebsrat konnte sich daher mit Erfolg auf einen notwendigen Aufgabenbezug berufen.

III. Auskunftsanspruch auch für leitende Angestellte?

Die Förder- und Überwachungsaufgaben des Betriebsrats nach § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG i.V.m. § 176 SGB IX erfassen alle schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Arbeitnehmer und damit auch solche, die leitende Angestellte im Sinne von § 5 Abs. 3 BetrVG sind.

Die Arbeitgeberin hatte sich noch darauf berufen, dass der Betriebsrat für leitende Angestellte nicht zuständig ist. Daher könne sich ein Auskunftsanspruch auch nicht auf diese Personengruppen beziehen. Dem hat das Bundesarbeitsgericht widersprochen. Die Aufgaben des Betriebsrats beziehen sich schon dem Wortlaut nach personell auf schwerbehinderte Menschen. Damit gilt die Definition des § 2 Abs. 2 SGB IX. Diese Legaldefinition stellt lediglich auf den Grad der Behinderung ab und unterscheidet nicht nach der Art einer Beschäftigung oder den hiermit ggf. verbundenen Befugnissen.

Die Förderpflicht erfasst damit auch leitende Angestellte. Zudem sind auch leitende Angestellte für die Wahl einer Schwerbehindertenvertretung wahlberechtigt. Gründe, den Anspruch nur auf solche Schwerbehinderte und ihnen Gleichgestellte zu erstrecken, die nicht leitende Angestellte sind, waren daher nicht ersichtlich.

IV. Einverständnis nicht erforderlich

Das Bundesarbeitsgericht hat weiter klargestellt, dass der Auskunftsanspruch des Betriebsrats unabhängig davon besteht, ob die betroffenen Arbeitnehmer ihr Einverständnis erteilt haben. Der Gesetzeswortlaut enthält keine solche Einschränkung. Die Erfüllung der dem Betriebsrat von Gesetzes wegen zugewiesenen Aufgaben ist nicht von einer Einwilligung der Arbeitnehmer abhängig. Zudem dienen die Aufgaben und die für ihre Wahrnehmung notwendigen Auskunftsansprüche des Betriebsrats der Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Normvollzugs durch den Arbeitgeber und stehen nicht zur Disposition der Arbeitnehmer.

Fazit

Das Bundesarbeitsgericht hat mit sehr ausführlicher Begründung den Auskunftsanspruch bejaht. Arbeitgeber sind daher verpflichtet, dem Betriebsrat Auskunft über die Anzahl und die Namen der im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten und gleichgestellten Menschen einschließlich der leitenden Angestellten zu erteilen. Datenschutzrechtliche Gründe oder sonstige Erwägungen stehen diesem Anspruch nicht entgegen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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