08.04.2024 -

Dienstposten: Wann sind weibliche Bewerberinnen im öffentlichen Dienst bei gleicher Qualifikation „bevorzugt zu berücksichtigen“?

BVerwG Beschl. v. 25.5.2023 – 1 WB 25.22

Bei der Besetzung von Dienstposten im öffentlichen Dienst kommt es häufig zu Konkurrentenstreitigkeiten. Das BVerwG hatte nun einen Fall zu entscheiden, bei dem es um das Gleichstellungsgesetz ging (credits: adobestock)

Bei Stellenbesetzungsverfahren im öffentlichen Dienst sind auch die Vorgaben des jeweils einschlägigen Gleichstellungsgesetzes zu beachten. In den Gleichstellungsgesetzen von Bund und Ländern findet sich jeweils der Passus, wonach der Dienstherr Frauen, wenn sie in einem Bereich unterrepräsentiert sind, bei „gleicher Eignung“ bevorzugt zu berücksichtigen hat. Wann kann es aber zu diesem „Stichentscheid nach Geschlecht“ kommen? Damit hat sich der Wehrdienstsenat des BVerwG befasst. Der Fall betrifft Berufssoldatinnen und Berufssoldaten. Die Kernaussagen sind aber allgemein auch für beamtenrechtliche Konkurrentenstreitigkeiten und für die vom jeweiligen Dienstherrn einzuhaltenden Verfahrensschritte im Auswahlverfahren von Interesse.

Der Fall

Anforderungen und Auswahlverfahren

Das Bundesministerium der Verteidigung forderte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr auf, geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die Nachbesetzung des nach Besoldungsgruppe „A9 mit Zulage“ zu bewertenden Dienstpostens „Bürosachbearbeiter Feldwebel“ zu nominieren. Das Bundesamt führte das Auswahlverfahren durch. Laut der angefertigten Dokumentation des Auswahlverfahrens war ein Anforderungsprofil mit den „harten“ Auswahlkriterien „Verwendung im Bereich Stabsdienst“ und „Sicherheitsstufe Ü2“ sowie den „weichen“ Auswahlkriterien „Erfahrung auf Ebene höhere Kommandobehörde/Amt“ und „Englisch SLP 2221“ zugrunde gelegt worden.

Laut dem Auswahlvermerk waren zunächst 7 Kandidaten im Dienstgrad Stabsfeldwebel in die Personalauswahl einbezogen worden. Alle Kandidaten erfüllten die „harten“ Kriterien des Anforderungsprofils. Des Weiteren wurden demnach nach Auswertung der dienstlichen Beurteilungen vier dieser Kandidaten als im Wesentlichen gleich leistungsstark eingeschätzt (Durchschnittswerte zwischen 8,50 und 8,78). Dies habe sich auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen dienstlichen Beurteilungen bestätigt habe. Unter diesen vier verbliebenen Kandidaten fanden sich zwei Frauen und zwei Männer (darunter der Antragsteller).

Entscheidung und Beschwerde

Anschließend heißt es im Vermerk: „Die Entscheidung über die Besetzung wird nach Rückmeldung BMVg“ getroffen“. Per E-Mail teilte das Bundesamt dem Bundesministerium der Verteidigung mit, dass es die vier in die engere Wahl gezogen Kandidaten „nominiere“ und unter Beachtung des Soldatengleichstellungsgesetzes (SGleiG) und einer näher genannten Zielvereinbarung die beiden Soldatinnen (Frau B. und Frau E.) für die Besetzung priorisiere. Daraufhin antwortete das Bundesministerium für Verteidigung, dass für die Besetzung des Dienstpostens Frau B. akzeptiert werde. Es werde vorgeschlagen, den Dienstposten mit ihr zu besetzen.

Beim Bundesamt wurde daraufhin am 15.10.2020 eine durch den Unterabteilungsleiter gezeichnete Entscheidungsvorlage erstellt, die mit folgendem Passus schließt: „Da bei der Besetzung des Dienstpostens die Akzeptanz seitens BMVg ein entscheidendes Kriterium darstellt, wurden alle vier Kandidatinnen/Kandidaten für die Besetzung des Dienstpostens nominiert. Gemäß Rückmeldung BMVg vom 13.10.2020 wird Frau B. für die Besetzung des Dienstpostens akzeptiert. In der Gesamtbetrachtung wird Frau B. für die Besetzung des Dienstpostens ausgewählt“. Frau B. wurde zum 01.01.2021 auf den Dienstposten „Bürosachbearbeiter Feldwebel“ versetzt und zu diesem Datum in eine entsprechende Planstelle eingewiesen. Dieser Dienstposten ist mit einer Amtszulage verbunden.

Dem Antragsteller wurde per E-Mail vom 21.10.2022 mitgeteilt, dass er für den Dienstposten „Bürosachbearbeiter Feldwebel“ nicht ausgewählt worden sei. Er erhob Beschwerde gegen die Auswahlentscheidung. Sodann beantragte er vor dem Verwaltungsgericht, die Auswahlentscheidung für den Dienstposten „Bürosachbearbeiter Feldwebel“ neu zu treffen. Zum 01.01.2022 wurde der Antragsteller auf einen anderen nach Besoldungsgruppe „A9 mit Zulage“ datierten Dienstposten versetzt; mit Wirkung vom 01.01.2022 wurde er in eine entsprechende Planstelle eingewiesen.

Die Entscheidung

I. Prozessuale Fragen und Grundstruktur des Bewerbungsverfahrensanspruchs

Das BVerwG hielt den Antrag für zulässig und begründet. Insbesondere sei der Rechtsstreit nicht dadurch erledigt, dass der strittige Dienstposten inzwischen mit Frau B. (der Beigeladenen) besetzt sei. Mit der Dienstpostenvergabe habe die Beigeladene keine rechtlich sichere Position erlangt. Auch die Beförderung des Antragstellers auf einen nach Besoldungsgruppe „A9 mit Zulage“ dotierten Dienstposten führe nicht zu einer Erledigung. Der Antragsteller strebe hier weiterhin einen konkreten Dienstposten an, den er noch nicht erlangt habe. Hierfür sei er aus seinem Bewerbungsverfahrensanspruch antragsbefugt.

Die Entscheidung des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, den streitgegenständlichen Dienstposten mit der Beigeladenen zu besetzen, sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch.

Das BVerwG ging dabei davon aus, dass der Antragsteller fristgerecht binnen eines Monats nach Kenntnisnahme Beschwerde gegen die Auswahlentscheidung entsprechend § 6 Abs. 1 Wehrbeschwerdeordnung (WBO) erhoben habe.

Der im Beamtenrecht anerkannte Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG sei entsprechend auch in das Dienstverhältnis der Soldaten zu übernehmen, was sich schon aus § 3 Abs. 1 Soldatengesetz ergebe. Der Bewerbungsverfahrensanspruch könne sich auch auf konkrete Verwendungsentscheidungen beziehen, wenn diese Dienstposten eine vorprägende Wirkung hinsichtlich einer Beförderung hätten, so das BVerwG.

II. Die nicht beanstandeten Verfahrensschritte: Festlegung des Anforderungsprofils und erster Bewerbervergleich

Die der Entscheidung zugrundeliegenden Auswahlerwägungen müssten zwingend schriftlich niedergelegt werden, um eine sachgerechte Kontrolle durch den unterlegenen Bewerber und gegebenenfalls das Gericht zu ermöglichen. Hier seien die Festlegungen des Anforderungsprofils nicht zu beanstanden; gleiches gelte für die Feststellung, dass die zwingenden Voraussetzungen von sieben Kandidaten (darunter dem Antragsteller und der Beigeladenen) erfüllt seien. Beides sei auch hinreichend dokumentiert.

Des Weiteren hielt es das BVerwG auch für rechtmäßig, dass der Unterabteilungsleiter vier dieser sieben Kandidaten als im Wesentlichen gleich leistungsstark eingeschätzt habe. Dies sei hier im Hinblick auf die tatsächlichen Leistungsunterschiede bei den dienstlichen Beurteilungen nicht zwingend geboten gewesen, aber wegen der geringen Differenzen im Ergebnis zulässig.

III. Verfahrensfehler: Kein vollständiger Eignungs- und Leistungsvergleich

Sodann hätte der Unterabteilungsleiter aber zunächst weitere leistungsbezogene Gesichtspunkte einbeziehen müssen, so das BVerwG. Demnach wäre es zwingend gewesen, zunächst auf die laut dem Anforderungsprofil „weichen“ und damit „erwünschten“ bzw. „wünschenswerten“ Kriterien einzugehen. In den dokumentierten Auswahlerwägungen hatten diese „weichen Kriterien“ aber keine Berücksichtigung gefunden. Der Eignungs – und Leistungsvergleich sei daher nicht voll ausgeschöpft worden. Die nachträglichen Ausführungen im gerichtlichen Verfahren konnten diesen Dokumentationsfehler nicht mehr heilen, so das BVerwG.

Es sei demnach fehlerhaft gewesen, den Eignungs- und Leistungsvergleich nicht fortzuführen, sondern gleich zu den Regelungen des Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes überzugehen. § 8 S. 1 Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz (SGleiG) a.F. (jetzt findet sich die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 1 S. 3 SGlG) schreibe die bevorzugte Berücksichtigung von Frauen zwar für den Fall vor, dass diese in einzelnen Bereichen unterrepräsentiert seien – aber ausdrücklich nur bei „gleicher Qualifikation“. Der Begriff der Qualifikation sei gleichbedeutend mit den Begriffen der Eignung, Befähigung und Leistung im Sinne der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Soldatengesetz). Ob eine „gleiche Qualifikation“ vorläge, können demnach erst nach einem vollständigen Eignungs- und Leistungsvergleich festgestellt werden. Dieser hätte hier (zumindest) auch die „wünschenswerten“ Kriterien miteinbeziehen müssen, so das BVerwG.

Rechtlich fehlerhaft sei es weiterhin, dass sich der Auswahlvermerk ausschlaggebend auf die „Akzeptanz“ dieser Bewerberin durch das Bundesministerium der Verteidigung gestützt habe. Dies sei aber kein taugliches Eignungs- oder Leistungskriterien. Damit schiebt das BVerwG intransparenten und nicht dokumentierten „Akzeptanzverfahren“ einen Riegel vor.

Über die Besetzung des Dienstpostens müsse im Ergebnis neu entschieden werden.

Fazit

Die Entscheidung wirft verschiedene Schlaglichter auf Konkurrentenstreitverfahren. Insbesondere die Ausführungen des Wehrdienstsenats des BVerwG zur Gestaltung, Ablauf und Dokumentation des Auswahlverfahrens sind für Dienstherren von allgemeinem Interesse. Insbesondere gilt auch bei anderen Gleichstellungsgesetzen die Maxime, dass die bevorzugte Berücksichtigung von Frauen nur bei „gleicher Qualifikation“ zum Tragen kommen darf (etwa § 8 Abs. 1 Bundesgleichstellungsgesetz). Wenn dieser Begriff wie hier umfassend im Sinne eines vollständigen Eignungs- und Leistungsvergleichs verstanden wird, kann ein „Stichentscheid nach Geschlecht“ nur in absoluten Ausnahmefällen zum Tragen kommen.

Auf jeden Fall müssen nach Auswertung der „harten“ Ausschlusskriterien und der in den dienstlichen Beurteilungen erreichten Gesamtnoten auch die laut Anforderungsprofil nur „wünschenswerten“ Kriterien berücksichtigt werden – darüber hinaus kommen aber auch noch weitere Eignungs- und leistungsbezogene Kriterien in Betracht, ehe tatsächlich das Geschlecht „als letztes Auswahlmittel“ herangezogen werden darf.


Autor: Dr. Christopher Rinckhoff

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Auszeichnungen

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht (WirtschaftsWoche 2023, 2022)

  • „Top-Anwältin“ (Ebba Herfs-Röttgen) für Arbeitsrecht (WirtschaftsWoche 2023, 2022)

  • TOP-Wirtschaftskanzlei für Arbeitsrecht (FOCUS SPEZIAL 2022)

  • „Überregional anerkannte Arbeitsrechtspraxis“ (JUVE Handbuch 2017/2018)

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