16.03.2023

Betriebsprüfung: Ist die Richtsatzsammlung des BMF für Schätzung ungeeignet?

Der BFH äußert daran in seinem Beschluss vom 14.12.2022, X R 19/21 (veröffentlicht am 02.03.2023) ernsthafte Zweifel

Der Klassiker nicht nur in der Gastronomie: Die Betriebsprüfung beanstandet die Kassen- und Buchführung eines Restaurants oder einer Gaststätte als formell ordnungswidrig.
Die Betriebsprüfung beanstandet oft die Kassen- und Buchführung eines Restaurants als formell ordnungswidrig (credit:adobestock)

Worum es geht – Schätzung durch die Betriebsprüfung

Der Klassiker nicht nur in der Gastronomie: Die Betriebsprüfung beanstandet die Kassen- und Buchführung eines Restaurants oder einer Gaststätte als formell ordnungswidrig. Der Prüfer verprobt die Speiseumsätze und Getränkeumsätze und ermittelt einen Rohgewinnaufschlagsatz von bspw. 400 %. Das Restaurant selbst hatte im Prüfungszeitraum deutlich geringere Werte zwischen 148,5 % und 213,9 % erklärt.

Der Prüfer folgert, dass die Betriebseinnahmen und Umsätze nicht vollständig erklärt worden seien. Er zieht für einen äußeren Betriebsvergleich die Richtsatzsammlung des BMF für den branchentypisch zu erwartenden Aufschlagsatz heran und schätzt Umsätze des Restaurants von netto 417.000 € (Jahr 01) bzw. 247.000 € (Jahr 02) hinzu. Eine sachgerechte Ausbeutekalkulation oder auch eine Geldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung sei nicht möglich gewesen.

Einspruch und Klage waren erfolglos. Der BFH jedoch formuliert ernsthafte Zweifel an der Eignung der Richtsatzsammlung für die Schätzung der Betriebsprüfung. Das eröffnet in vergleichbaren Fällen Chancen für die Verteidigung.

Wann und wie das Finanzamt schätzen darf

Nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Über § 96 Abs. 1 FGO i.V.m. § 162 AO ist auch das Finanzgericht im Rahmen freier Beweiswürdigung zur Schätzung befugt.

Anlass zur Schätzung besteht bspw. wenn

  • der Steuerpflichtige
    • über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder
    • seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt (§ 162 Abs. 2 Satz 1 AO) oder
    • Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann,
  • die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden oder
  • tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen bestehen. Formelle Buchführungsmängel berechtigen nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln.

Die Schätzungsergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein.

Schätzungsmethoden

In der Wahl der Schätzungsmethoden ist das Finanzamt frei, solange diese geeignet sind, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis zu erzielen.

Aber: Jede Schätzung muss das Ziel verfolgen, realistische Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln. Die Besteuerungsgrundlagen sind durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen so zu bestimmen, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahekommen. Kommt eine bestimmte Schätzungsmethode diesem Ziel voraussichtlich näher als eine andere, ist die erstgenannte unter Ermessensgesichtspunkten vorzugswürdig.

Schätzungsmethode Äußerer Betriebsvergleich

Als zulässige Schätzungsmethode ist auch die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen mit einem äußeren Betriebsvergleich anerkannt. Beim äußeren Betriebsvergleich werden die Besteuerungsgrundlagen durch Vergleich mit den Ergebnissen anderer, gleichartiger Betriebe ermittelt. Die Vergleichsbetriebe müssen zur gleichen Branche gehören und auch im Hinblick auf Betriebsgröße, Lage, Organisation und Kundenstamm dem jeweiligen Betrieb ähnlich sein. Zur Ermittlung der Vergleichsdaten darf die Finanzverwaltung auch Datenbanken aufbauen und verwenden, die nicht allgemein zugänglich sind (BFH, Urteil vom 17.10.2001, I R 103/00; FG Hamburg, Urteil vom 03.09.2019 – 2 K 218/18).

Bislang hat der BFH die Schätzung durch einen äußeren Betriebsvergleich anhand der aus der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zu entnehmenden Richtsätze als grundsätzlich „anerkannte Schätzungsmethode“ bewertet.

Der X. Senat des BFH formuliert in seinem Beschluss vom 14.12.2022, X R 19/21 (veröffentlicht am 02.03.2023), erstmals ernsthafte Zweifel an der Richtsatzsammlung als geeignete Schätzgrundlage, fordert das BMF zum Verfahrensbeitritt auf und stellt bedeutsame Fragen.

Aus den Entscheidungsgründen

Der BFH räumt ein, sich nie näher damit auseinandergesetzt zu haben, auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze des BMF beruhen, wie sie zustande kommen und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs anhand der Richtsatzsammlung ergeben.

Unklar erscheinen ihm insbesondere,

  • welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der Richtsätze der jeweiligen Gewerbeklasse einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden;
  • ob die regional zum Teil erheblich unterschiedliche Höhe fixer Betriebskosten (insbesondere Raum- und Personalkosten) der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze entgegensteht;
  • weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei sog. Verlustbetrieben unberücksichtigt bleiben, obwohl auch solche Betriebe grundsätzlich einen positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen;
  • ob ganz oder teilweise erfolgreiche Rechtsbehelfe des Steuerpflichtigen gegen die auf eine Außenprüfung ergangenen Steuerbescheide Eingang in die Richtsatzsammlung finden.

Zudem stellt sich die für den BFH die Frage, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht werden kann, das Ergebnis einer Schätzung auf der Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung insbesondere auch im Hinblick auf die spezifischen Daten, die dieser Sammlung zugrunde liegen nachzuvollziehen und zu überprüfen.

Fazit

Die durch den BFH gestellten Fragen sind von besonderem Interesse für alle Steuerpflichtigen, Betriebe, Unternehmen und Unternehmer, bei denen die Betriebsprüfung zum Zweck der Schätzung die Richtsatzsammlung heranzieht.

  • Unter Hinweis auf den Beschluss des X. Senats des BFH vom 14.12.2022 sollte die Schätzung der Betriebsprüfung mit denselben Fragen angegriffen werden.
  • Aufgrund der Betriebsprüfung ergangene Steuerbescheide sollten – wo sinnvoll – mit dem Einspruch offengehalten werden.
  • In finanzgerichtlichen Klageverfahren sollte umgehend auf den Beschluss des BFH verwiesen werden.

Denken Sie daran: Die amtlichen Richtsätze sind weder Rechtsnormen noch in Stein gemeißelt. Sie sind lediglich Hilfsmittel der Verprobung und Schätzung der Umsätze und Gewinne. Mehr nicht.

Autor: Andreas Jahn

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Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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