
Bei Betriebsratswahlen kann die schriftliche Stimmabgabe die Verfahrensabläufe erheblich erleichtern. Gerade bei Filialbetrieben kommt die schriftliche Stimmabgabe häufig zur Anwendung. Aber: Die einheitliche schriftliche Stimmabgabe für alle Arbeitnehmer sieht die Wahlordnung nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung dazu weiter präzisiert und in einem aktuellen Beschluss klargestellt, dass auch ein Zuordnungstarifvertrag nach § 3 BetrVG daran nichts ändert (BAG v. 22.1.2025, 7 ABR 23/23).
Der Fall:
Die Arbeitgeberin unterhält bundesweit Lebensmittel-Discount-Filialen. Die Betriebsratswahlen finden schon seit dem Jahre 2010 auf der Grundlage eines Zuordnungstarifvertrages nach § 3 BetrVG statt. Die Verkaufsstellen sind danach in Betriebsratsbezirke (BR-Bezirke) aufgeteilt. Für den Bezirk „Nordwest“ (BR-Bezirk 4) hat der zuständige Wahlvorstand am 24.3.2022 ein Wahlausschreiben erlassen. Danach wurde für alle Mitarbeiter die schriftliche Stimmabgabe/Briefwahl beschlossen. Die Briefwahlunterlagen sollten den Wahlberechtigten unaufgefordert zugehen. Ausweislich des Wahlausschreibens gab es im BR-Bezirk 4 insgesamt 7.703 Wahlberechtigte. Diese verteilten sich auf 467 Filialen.
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gibt es nach dem übereinstimmenden Vorbringen aller Beteiligten im BR-Bezirk 4 keinen sog. Hauptbetrieb.
Die Betriebsratswahl fand am 6.5.2022 als reine Briefwahl statt. Sie führte zur Wahl eines 35-köpfigen Betriebsrats. Nach der Wahlbekanntmachung vom 13.5.2022 haben acht Antragsteller mit der am 23.5.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift die Wahl angefochten. Sie haben die Ansicht vertreten, die Betriebsratswahl sei anfechtbar, da sie als reine Briefwahl durchgeführt worden sei, ohne dass einer der Ausnahmetatbestände des § 24 WO vorliege.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben den Anfechtungsantrag zurückgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat hingegen das Bundesarbeitsgericht den Anfechtungsantrag als begründet angesehen. Die Sache konnte aber wegen eines formellen Fehlers noch nicht abschließend entschieden werden und wurde daher an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.
I. Reine Briefwahl unzulässig!
Die schriftliche Stimmabgabe ist an die in § 24 WO festgelegten Voraussetzungen gebunden. Bei den in § 24 WO festgelegten Voraussetzungen der Briefwahl handelt es sich um wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren i.S.v. § 19 Abs. 1 BetrVG.
Nach § 24 Abs. 3 S. 1 BetrVG kann der Wahlvorstand für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, die schriftliche Stimmabgabe beschließen. Danach ist aber die generelle Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für bestimmte Betriebsbereiche nicht in das Ermessen des Wahlvorstands gestellt, sondern nur für solche zum Wahlbetrieb gehörenden Betriebsteile oder Kleinstbetriebe zulässig, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind. Für den Hauptbetrieb ist aber die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe nicht vorgesehen.
Hinweis für die Praxis:
Im vorliegenden Fall war zwischen den Parteien streitig, ob es einen Hauptbetrieb überhaupt gibt. Diese Frage ändert aber an der rechtlichen Beurteilung nichts. Hätte es einen Hauptbetrieb gegeben, so hätte zumindest für die Wahlberechtigten in diesem Hauptbetrieb keine schriftliche Stimmabgabe angeordnet werden dürfen. Fehlt es hingegen an einem Hauptbetrieb, kommt eine analoge Anwendung ebenfalls nicht in Betracht, da § 24 Abs. 3 WO gerade die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für den gesamten Betrieb nicht vorsieht.
II. Keine abweichende Beurteilung durch Zuordnungstarifvertrag
Der Zuordnungstarifvertrag nach § 3 BetrVG enthält bereits keine Regelungen zur schriftlichen Stimmabgabe. Schon aus diesem Grund scheidet eine einheitliche schriftliche Stimmabgabe für alle Arbeitnehmer aus. Die Tarifvertragsparteien haben nach Auffassung des BAG aber auch keine Regelungsbefugnis, von § 24 WO abweichende Regelungen zu treffen. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht eine solche Kompetenz nicht vor.
Hinweis für die Praxis:
Die einheitliche Stimmabgabe konnte das Wahlergebnis auch nach § 19 Abs. 1 letzter HS BetrVG beeinflussen. Es war hier nicht undenkbar, dass wahlberechtigte Personen der betroffenen Betriebsstätten, die ihre Stimme bei der Wahl nicht abgegeben haben, an der Wahl teilgenommen hätten, wenn die schriftliche Stimmabgabe für diese Bereiche nicht beschlossen worden wäre.
Fazit:
Die schriftliche Stimmabgabe für alle Arbeitnehmer ist nach § 24 Abs. 3 WO ausgeschlossen. Verstöße gegen diese Vorschrift führen zur Anfechtbarkeit der Wahl nach § 19 BetrVG. Daran ändert auch ein Zuordnungstarifvertrag nach § 3 BetrVG nichts. Im vorliegenden Fall konnte das Verfahren allerdings nicht abschließend entschieden werden, da unklar war, ob die
Antragsschrift innerhalb der nötigen Zwei-Wochen-Frist des § 19 BetrVG formell korrekt beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Die dazu notwenige qualifizierte elektronische Signatur war ggf. nicht eingehalten worden. Diese Frage muss das LAG jetzt nochmals weiter aufklären.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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