09.08.2023

Beweisverwertungsverbot bei fristloser Kündigung durch Betriebsvereinbarung?

Verzichtet der Arbeitgeber in Betriebsvereinbarungen auf die Nutzung von Erkenntnissen aus technischen Anwendungen, kann dies zu einem Beweisverwertungsverbot führen.
Verzichtet der Arbeitgeber in Betriebsvereinbarungen auf die Nutzung von Erkenntnissen aus technischen Anwendungen, kann dies zu einem Beweisverwertungsverbot führen (credits:adobestock).

Arbeitszeitbetrug, gleich in welcher Form, rechtfertigt regelmäßig eine fristlose Kündigung. Beweisbelastet ist allerdings immer der Arbeitgeber. Oftmals werden Beweise durch digitale Systeme der Arbeitszeiterfassung oder auch Videoaufzeichnungen geführt. Gibt es über die Anwendung dieser Systeme allerdings eine Betriebsvereinbarung oder andere Regeln, müssen diese bei der Auswertung zwingend beachtet werden. Dies kann, wie das LAG Niedersachsen in einem aktuellen Urteil bekräftigt, sogar zu einem Beweisverwertungsverbot mit gravierenden Nachteilen für den Arbeitgeber führen (Landesarbeitsgericht Niedersachsen v. 6.7.2022, 8 Sa 1148/20).

Der Fall:

Der klagende Mitarbeiter ist im Bereich Gießerei bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Es besteht ein Betriebsrat. Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung.

Der Arbeitgeber betreibt ein Hinweisgebersystem, mittels dessen Arbeitnehmer unter Wahrung ihrer Anonymität Hinweise zu Unregelmäßigkeiten, auch insbesondere betreffend das Verhalten anderer Arbeitnehmer, geben können.

Bei der Konzernsicherheit sind am 7. Juni 2019 datumsmäßig nicht näher spezifizierte anonyme Hinweise eingegangen, wonach mehrere Mitarbeiter aus dem Bereich der Gießerei, darunter der Kläger, regelmäßig Arbeitszeitbetrug begehen sollen.

Die Konzernsicherheit ist daraufhin tätig geworden. Der Kläger wurde zu einem Personalgespräch schriftlich eingeladen. In dem Einladungsschreiben wurden ihm auch die konkreten Arbeitszeitverstöße vorgehalten. Dabei ging es konkret um Arbeitszeitverstöße am 2. Juni 2018, am 17. November 2018 und am 8. Dezember 2018.

Der Kläger nahm das Anhörungsgespräch ankündigungsgemäß nicht wahr und nahm auch sonst nicht weiter Stellung. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin nach Betriebsratsanhörung das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich.

Mit seiner Klage wendet sich der Arbeitnehmer gegen die Kündigungen. Insbesondere trägt er vor, die Videoaufzeichnungen und die Erkenntnisse aus der elektronischen Anwesenheitserfassung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Kündigungen ebenfalls für unwirksam erachtet.

I. Arbeitszeitbetrug

Ein Arbeitsverhältnis kann fristlos aus wichtigem Grund gekündigt werden. Spiegelt ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber wider besseres Wissen vor, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war, so ist dieses Verhalten an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt etwa für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr oder für das wissentliche und vorsätzliche falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es arbeitsrechtlich nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber.

Hinweis für die Praxis:

Die von dem Arbeitgeber hier erhobenen Vorwürfe waren nach diesem Maßstab an sich geeignet, einen wichtigen Grund zu bejahen.

II. Beweisverwertungsverbot?

Der Arbeitgeber hat hier den Beweis mit Hilfe der elektronischen Anwesenheitserfassung und auch mit Videoaufzeichnungen geführt. In beiden Fällen hat jedoch das LAG ein Beweisverwertungsverbot angenommen.

So ist in der Betriebsvereinbarung über die elektronische Anwesenheitszeiterfassung ausdrücklich vereinbart, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt. Zu den Videoaufzeichnungen existiert zwar keine Betriebsvereinbarung, allerdings waren die Piktogramme zur Videoüberwachung mit Hinweistexten im Betrieb versehen. In diesen Hinweistexten ist unter der Überschrift „Dauer der Datenspeicherung“ folgende Regelung getroffen:

„Die Daten werden 96 Stunden vorgehalten.“

In beiden Fällen greift aus diesen Gründen ein Beweisverwertungsverbot ein. Zwar gibt es im Arbeitsrecht keine gesetzlichen Bestimmungen über die Verwertbarkeit von Erkenntnissen, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Ein Verwertungsverbot wird aber von den Arbeitsgerichten aus dem Grundgesetz abgeleitet. Sehr ausführlich wird dies von dem Landesarbeitsgericht auf vielen Seiten in den Urteilsgründen erläutert. Wir möchten uns hier auf das Ergebnis beschränken. Der Arbeitgeber hat in der Betriebsvereinbarung die Auswertung von Daten ausgeschlossen und bei den Videoaufzeichnungen selbst eine längere Speicherung als 96 Stunden verneint. Daher war es ihm verwehrt, sich nun bei der Beweisführung dennoch auf die Daten aus der elektronischen Anwesenheitserfassung oder auch auf Daten, die älter als 96 Stunden waren, zu berufen. Eine Verwertung würde einen Grundrechtsverstoß darstellen. Dies schließt die Beweisführung mit diesen Erkenntnissen aus. Andere Beweismittel hatte aber der Arbeitgeber nicht. Daher konnte er die Kündigung nicht wirksam begründen mit der Folge, dass die Kündigungen unwirksam waren.

Fazit:

In Betriebsvereinbarungen oder sonstigen betriebsöffentlichen Erklärungen sollten Arbeitgeber nicht vorschnell auf die Nutzung von Erkenntnissen aus diesen technischen Anwendungen verzichten. In Betriebsvereinbarungen empfiehlt es sich beispielsweise, einen Vorbehalt im Hinblick auf Verstöße aufzunehmen. Auch bei Videoaufzeichnungen sollte ein entsprechender Vorbehalt enthalten sein, wenn Hinweistexte vorhanden sind. Nur so können Rechtsnachteile im Rahmen von arbeitsgerichtlichen Verfahren, insbesondere im Hinblick auf die erforderliche Beweisführung, vermieden werden.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

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