
Das Finanzgericht Hamburg hat mit Urteil vom 27. Juni 2025 (5 K 9/25) ein für Familienstiftungen und ihre steuerliche Beratung bedeutsames Urteil gefällt. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Werbungskosten im Zusammenhang mit sogenannten Streubesitzdividenden (§ 8b Abs. 4 KStG) in voller Höhe oder nur pauschal berücksichtigt werden dürfen. Das Gericht entschied klar: Nur der Sparer-Pauschbetrag nach § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG ist abziehbar. Die inzwischen rechtskräftige Entscheidung hat nicht unerhebliche Bedeutung für die Vermögensverwaltung von Familienstiftungen und die steuerliche Behandlung ihrer Kapitalanlagen.
1. Sachverhalt
Die Klägerin, eine in den 1970er Jahren gegründete, rechtsfähige Familienstiftung, war unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und nicht steuerbefreit. Nach dem Verkauf des Familienunternehmens im Jahr 2003/2004 investierte die Stiftung den Erlös überwiegend in Aktien, Anleihen, Fonds und Immobilienbeteiligungen. Sie erzielte daraus Kapitalerträge, darunter Dividenden aus Beteiligungen von unter 10 % – sogenannte Streubesitzdividenden im Sinne des § 8b Abs. 4 KStG.
Im Streitzeitraum 2013 bis 2021 fielen erhebliche Aufwendungen für Verwaltung, Vorstandsvergütungen, Beratungsleistungen und Depotgebühren an, die teilweise in unmittelbarem Zusammenhang mit diesen Dividenden standen. Die Stiftung machte diese Aufwendungen als Werbungskosten geltend.
Zeitraum | WK insg. | WK § 8b Abs. 4 |
2013 | 517.682,07 € | 103.310,75 € |
2014 | 550.152,85 € | 71.447,59 € |
2015 | 567.377,40 € | 46.000,07 € |
2016 | 680.289,40 € | 247.922,88 € |
2017 | 567.377,40 € | 56.956,77 € |
2018 | 684.050,67 € | 96.307,36 € |
2019 | 704.064,72 € | 68.969,82 € |
2020 | 670.428,70 € | 53.439,31 € |
2021 | 719.081,77 € | 44.352,86 € |
Das Finanzamt erkannte diese Kosten jedoch nur in Höhe des Sparer-Pauschbetrags (§ 20 Abs. 9 EStG) (aktuell 1.000,00 € p.a.) an. Dagegen wandte sich die Klägerin mit der Begründung, § 8b KStG ermögliche den vollständigen Abzug tatsächlicher Werbungskosten. Nachdem das Finanzamt die Einsprüche zurückwies, erhob die Stiftung Klage.
Streitfrage: Dürfen Werbungskosten, die mit steuerpflichtigen Streubesitzdividenden zusammenhängen, in voller Höhe oder lediglich in Höhe des Sparer-Pauschbetrags berücksichtigt werden?
Die Stiftung sah sie in der Beschränkung einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, weil Stiftungen mit Beteiligungen über 10 % (also außerhalb des Streubesitzes) Betriebsausgaben abziehen könnten. Die Regelung verstoße gegen das Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Stiftungen und Kapitalgesellschaften. Eine Anwendung des § 20 Abs. 9 EStG auf Körperschaften sei systemwidrig, da der Sparer-Pauschbetrag typischerweise für natürliche Personen konzipiert sei.
2. Entscheidungsgründe des FG Hamburg
Das Finanzgericht wies die Klage als unbegründet ab.
a. Anwendung des Sparer-Pauschbetrags
Das Gericht stellte fest:
„Werbungskosten einer Stiftung, die im Zusammenhang mit Streubesitzdividenden im Sinne des § 8b Abs. 4 KStG stehen, sind bei der Einkommensermittlung grundsätzlich […] nur in Höhe des Sparer-Pauschbetrags zu berücksichtigen.“
Diese Regelung folge unmittelbar aus § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 10 S. 1 KStG i.V.m. §§ 2 Abs. 2 S. 2, 20 Abs. 9 S. 1 EStG. Eine teleologische Reduktion dieser Vorschriften lehnte das Gericht ausdrücklich ab. Der Gesetzgeber habe sich bewusst dafür entschieden, den Pauschbetrag auch auf Körperschaften anzuwenden (BT-Drs. 16/11108, S. 27).
b. Keine Vorrangigkeit des § 8b KStG
§ 8b Abs. 1 KStG erfasse zwar grundsätzlich Dividendenbezüge, doch § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG gelte ausschließlich für Betriebsausgaben, nicht für Werbungskosten. Die Stiftung erziele jedoch Überschusseinkünfte aus Kapitalvermögen, keine gewerblichen Einkünfte, sodass der Betriebsausgabenbegriff nicht einschlägig sei.
„§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG erfasst ausschließlich Betriebsausgaben und gilt nicht für Werbungskosten.“
Zudem sei § 8b Abs. 5 KStG nach § 8b Abs. 4 Satz 7 KStG auf Streubesitzdividenden ohnehin nicht anwendbar. Auch eine analoge Anwendung scheide aus, weil der Gesetzgeber in anderen Normen ausdrücklich beide Begriffe („Betriebsausgaben oder Werbungskosten“) verwende, wenn er beide erfassen wolle.
c. Keine teleologische Reduktion des § 20 Abs. 9 EStG
Das Gericht prüfte, ob der Gesetzeszweck des Sparer-Pauschbetrags auf Körperschaften übertragbar sei. Es bejahte dies ausdrücklich:
- Der Begriff „Sparer“ erfasse nicht nur natürliche Personen mit einem traditionellen „Sparbuch“. Auch Körperschaften legen ihr Vermögen an, um es „anzusparen“ und zu vermehren.
- Auch eine Stiftung verfolge typischerweise Vermögensmehrung durch Kapitalanlage.
- Die Anwendung auf Körperschaften entspreche dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.
d. Keine Verfassungswidrigkeit
Das FG verneinte einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Sparer-Pauschbetrag sei eine zulässige Typisierung im Steuerrecht, die der Gesetzgeber zur Verwaltungsvereinfachung einführen durfte.
Das Prinzip der Gleichbehandlung werde nicht verletzt. Es sei bereits höchstrichterlich entschieden, dass die Ungleichbehandlung von Dividenden aus Beteiligungen von über und unter 10 % Beteiligungshöhe aufgrund von § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG zur Herstellung einer europarechtskonformen Rechtslage gerechtfertigt und damit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei (BFH, Urteil vom 18.12.2019, I R 29/17; die Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: BVerfG, Beschluss vom 08.03.2022, 2 BvR 1832/20).
Auch der pauschale Ansatz sei sachlich gerechtfertigt: Der Körperschaftsteuersatz von 15 % liege bereits deutlich unter dem Abgeltungsteuersatz von 25 %, sodass eine zusätzliche Begünstigung durch Abzugsfähigkeit tatsächlicher Kosten nicht erforderlich sei.
3. Einordnung und Fazit
Das sehr gut nachvollziehbar begründete und inzwischen rechtskräftige Urteil bestätigt die Linie der Finanzverwaltung, wonach auch Körperschaften bei Einkünften aus Kapitalvermögen den Sparer-Pauschbetrag anwenden müssen – unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen.
Für die Praxis bedeutet das:
- Keine Abzugsfähigkeit tatsächlicher Verwaltungskosten im Zusammenhang mit Streubesitzdividenden.
- Abgrenzung zwischen Betriebsausgaben und Werbungskosten bleibt entscheidend.
- Steuerberater und Stiftungsvorstände sollten die Kostenstruktur von Stiftungen im Hinblick auf § 20 Abs. 9 EStG prüfen und ggf. Gestaltungen zur Kostenallokation überdenken.
Das Urteil verdeutlicht zudem die systematische Trennung zwischen § 8b KStG (Steuerfreiheit von Dividenden ab 10 %) und der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Streubesitzbeteiligungen unter 10 %. Eine Ausweitung des § 8b Abs. 5 KStG auf Werbungskosten wäre nur durch den Gesetzgeber möglich.
Autor: RA & StB Andreas Jahn
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