21.06.2023 -
Der Vorwurf der sexuellen Belästigung kann zu einer fristlosen Kündigung führen.
Der Vorwurf der sexuellen Belästigung kann zu einer fristlosen Kündigung führen (credits:adobestock).

Immer wieder kommt es in der betrieblichen Praxis zu wechselseitigen Vorwürfen im Rahmen sexueller Belästigungen. Der Vorwurf der sexuellen Belästigung ist sehr gravierend und kann nach der ständigen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu einer fristlosen Kündigung führen. Wir haben bereits ausführlich zu der Thematik berichtet und verweisen insoweit auf unseren Beitrag zu dem Thema (Nicolai Besgen, Sexuelle Belästigung: Einmal „Grabschen“ erlaubt oder fristlose Kündigung?, Zeitschrift für Betrieb und Personal (B+P), Heft 7/2018, S. 451 ff.). Diese strenge Rechtsprechung hat das Landesarbeitsgericht Niedersachsen nun in einem aktuellen Urteil erneut bestätigt (LAG Niedersachsen, Urt. v. 20.6.2022 – 12 Sa 434/21). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, die wesentlichen Grundsätze zu der Rechtsprechung hier zusammengefasst darzustellen.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer ist bereits seit dem Jahre 2002 bei dem beklagten Unternehmen als Marktforscher und Marketingplaner beschäftigt. Zuletzt bezog er eine Bruttovergütung in Höhe von 5.503,50 € in der Entgeltstufe 15.

Im Betrieb bestehen bereits zahlreiche und langjährige Regelungen zur Störung des Arbeits- oder Betriebsfriedens. Aus dem Jahre 1977 besteht eine Arbeitsordnung, die bei Störungen des Arbeits- oder Betriebsfriedens eine fristlose Kündigung in Aussicht stellt. Weiter existiert ein „Code of Conduct“, der von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verlangt, jede Art und von Diskriminierung (z.B. durch Benachteiligung, Belästigung, Mobbing) zu unterlassen und ein respektvolles, partnerschaftliches Miteinander ermöglichen soll. Schließlich haben die Betriebspartner eine Betriebsvereinbarung mit dem Titel „Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz“ vereinbart, die ebenfalls jede Art von Diskriminierung z.B. in Form der sexuellen Belästigung für nicht statthaft erklärt.

In der Betriebsvereinbarung wird der Begriff der sexuellen Belästigung wie folgt näher definiert: „Sexuelle Handlungen und Aufforderungen zur diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen. Was als sexuelle Belästigung empfunden wird, ist durch das subjektive Empfinden des Betroffenen bestimmt.“

Dem Kläger waren in seiner Abteilung im Jahre 2018 über mehrere Monate Praktikantinnen zur Betreuung zugewiesen. Ob sich der Kläger gegenüber den Praktikantinnen im Rahmen der behaupteten Vorfälle tatsächlich sexuell belästigend verhalten hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Im Rahmen eines von dem Unternehmen wegen der sexuellen Vorwürfe gebildeten Untersuchungsteams wurden dann viele Zeuginnen, u.a. auch die Praktikantinnen, befragt. Das Ergebnis dieser Befragung wurde dann auf zehn Seiten in einem Protokoll festgehalten, welches den kündigungsberechtigten Personen im Unternehmen mit dem 24. November 2020 zugeleitet wurde. In der Handlungsempfehlung am Ende des Protokolls wurde die Kündigung des Klägers empfohlen.

Der Kläger wurde im Folgenden angehört und es wurde dann die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärt. Dem Kläger wurde dabei in mehrfacher Hinsicht die sexuelle Belästigung der ihm anvertrauten Praktikantinnen und Werkstudentinnen zur Last gelegt:

So habe er die Zeuginnen gleich zu Beginn vor dem Einsatz gefragt, ob sie einen Freund hätten und habe sie darauf hingewiesen, dass wenn man im Vertrieb arbeite, „zweigleisig fahren“ müsse. Er habe ihnen zudem erklärt, dass ihre Partner ohnehin fremdgehen würden, das mache jeder Mann so. Er habe zudem gefragt, ob sie ihn geil finden würden. Darüber hinaus habe er gegenüber den beiden Praktikantinnen behauptet, dass er es im Kopierraum schon mit einer anderen Praktikantin „getrieben“ habe und die beiden sich nicht so anstellen sollten. Man könne sich im Unternehmen auch „hochschlafen“. Es kam dann noch zu einer Vielzahl von weiteren gravierenden Aussagen. Auch habe er eine der Praktikantinnen auf den Oberschenkel geklopft mit den Worten „dies ist doch keine sexuelle Belästigung“. Weiter habe er heimlich Fotos von den Praktikantinnen in ihren Jeanshosen gemacht.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat hingegen das Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung bestätigt.

I. Sexuelle Belästigung als fristloser Kündigungsgrund

Eine sexuelle Belästigung ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die bereits „an sich“ als wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist, das Arbeitsverhältnis fristlos zu lösen (vgl. § 3 Abs. 4 AGG und § 7 Abs. 3 AGG). Ein solche sexuelle Belästigung liegt immer dann vor, wen ein unerwünschtes sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Personen verletzt wird. Bereits eine einmalig sexuell bestimmte Verhaltensweise kann den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen. Schutzgut ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Behandlungen, der Sexualbezogenheit aus sich heraus nicht zwingend ist, wie beispielsweise Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund der mit ihm verfolgten sexuellen Absicht ergeben. Maßgeblich ist dabei stets, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war.

Hinweis für die Praxis:

Wir können für die weiteren Details und Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung nur nochmals auf unseren bereits oben genannten umfangreichen aktuellen Bericht zu der Thematik und zur weiteren Lektüre verweisen.

II. Zulässigkeit einer Verdachtskündigung?

Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der sehr umfangreichen und ausführlichen Beweisaufnahme, die im Einzelnen in den Urteilsgründen dokumentiert ist, den Nachweis der sexuellen Belästigung bejaht und die fristlose Kündigung als Tatkündigung angesehen. Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht aber auch festgestellt, dass die fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung als hilfsweise ausgesprochene Verdachtskündigung ebenfalls wirksam wäre. Auch eine Verdachtskündigung kann fristlos das Arbeitsverhältnis beenden. Voraussetzung ist bei einer Verdachtskündigung aber stets, dass der Mitarbeiter vorher wirksam zu den Vorwürfen angehört wird. Dies war vorliegend der Fall. Der Kläger wurde sogar mehrfach angehört. Zudem bestand für den Kläger die Gelegenheit, sich im Einzelnen zu den Vorwürfen zu äußern.

III. Erschwerende Umstände bei der Interessenabwägung

Der Kläger hatte weiter seine gefestigte hierarchische Stellung im Unternehmen mehrfach und bewusst ausgenutzt. Er hat dabei zum Ausdruck gebracht, dass die ihm zugeordneten Praktikantinnen ihre berufliche Entwicklung bei der Beklagten dadurch befördern könnten, dass sie seinen sexuellen Zudringlichkeiten nachgeben. Dies war daher nachteilhaft im Rahmen der gesamten Interessenabwägung zu berücksichtigen. Aufgrund dieser Schwere seines Verhaltens war im vorliegenden Fall auch eine Abmahnung als milderes Mittel entbehrlich.

Zudem sind Arbeitgeber verpflichtet, die bei ihm beschäftigten Mitarbeiter vor Benachteiligungen zu beschützen. Dazu gehört insbesondere ein effektiver Schutz vor sexuellen Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG. So hat jeder Arbeitgeber nach § 12 Abs. 3 AGG bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot, zu denen auch sexuelle Belästigungen im Sinne von § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind aber nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abschwellen, d.h. eine Wiederholung ausschließen.

Fazit:

Sexuelle Belästigungen können das Arbeitsverhältnis fristlos beendigen. Maßgeblich sind aber stets die besonderen Umstände des Einzelfalls. Es macht einen Unterschied, ob ein Mitarbeiter einmal übergriffig reagiert und sich im Anschluss sofort entschuldigt und Wiedergutmachung betreibt oder aber, ob ein Mitarbeiter fortgesetzt sexuell belästigt und seine hierarchische Position im Unternehmen bewusst ausnutzt. In beiden Fällen liegt zwar ein „an sich“ geeigneter Grund für eine sexuelle Belästigung vor. Beide Fälle sind jedoch im Rahmen der Interessenabwägung unterschiedlich zu bewerten.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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