06.07.2023 -

Gemeinschaftsbetrieb und Arbeitnehmerüberlassung: Was gilt?

Das BAG hat bestätigt, dass in einem Gemeinschaftsbetrieb keine Arbeitnehmerüberlassung entstehen kann.
Das BAG hat bestätigt, dass in einem Gemeinschaftsbetrieb keine Arbeitnehmerüberlassung entstehen kann (credits:adobestock).

In vielen größeren Unternehmenseinheiten mit mehreren Gesellschaften oder in großen Konzernen werden Mitarbeiter in Konzerngesellschaften gemeinschaftlich eingesetzt. In all diesen Fällen stellt sich immer wieder neu die Frage, ob es sich dabei um eine (unerlaubte) Arbeitnehmerüberlassung handelt und welche Rechtsfolgen daraus entstehen. Seit vielen Jahren versuchen Unternehmen dieses Dilemma durch die Bildung von Gemeinschaftsbetrieben zu lösen. Nach einer älteren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schließen nämlich Arbeitnehmerüberlassung und Gemeinschaftsbetrieb einander aus. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich jetzt nach vielen Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) erneut mit der Frage zu befassen (BAG v. 24.5.2022, 9 AZR 337/21, 9 AZR 338/21 und 9 AZR 339/21). Die Entscheidung ist für die betriebliche Praxis von großer Bedeutung, so dass wir hier die Kernaussagen besprechen möchten.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer ist bei einem Unternehmen des Flughafens Frankfurt im Bodenverkehrsdienst beschäftigt. Der Bruttolohn beträgt ca. 2.900,00 €. Der Kläger wurde regelmäßig an einen bereits bestehenden Gemeinschaftsbetrieb des Flughafens Frankfurt als Flugzeugabfertiger überlassen und dort eingesetzt.

Sein Leiharbeitsunternehmen und der bereits bestehende Gemeinschaftsbetrieb schlossen dann später eine Vereinbarung über die Führung eines gemeinsamen Betriebes im Rahmen einer Führungsvereinbarung. Detailliert wurde in dieser Führungsvereinbarung geregelt, wie die gemeinschaftliche Führung auszusehen hat. Es gab daher Regelungen zur Nutzung der materiellen und immateriellen Betriebsmittel, zur gemeinsamen Leistungserbringung im Gemeinschaftsbetrieb, zu den arbeitsorganisatorischen Regelungen, zur einheitlichen personellen Leitung, Personalbedarfsplanung und Personaleinsatzsteuerung. Schließlich wurde auch die Nutzung der Abfertigungsgeräte, IT-Systeme und der Räume im Einzelnen in dieser Vereinbarung geregelt.

Betriebsverfassungsrechtlich wurde allerdings kein einzelner neuer Betriebsrat gewählt. Vielmehr wurde auf Basis einer tarifvertraglichen Regelung Folgendes für den Gemeinschaftsbetrieb vereinbart:

(1) Im Gemeinschaftsbetrieb wird kein gemeinsamer Betriebsrat gebildet.

(2) Stattdessen vertritt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der F und der V einerseits und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der G andererseits jeweils ein eigenständiger Betriebsrat. Auf diese Arbeitnehmervertretungen finden die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrats und die Rechtsstellung seiner Mitglieder Anwendung.“

Die Vergütung des Klägers in seinem Unternehmen war schlechter als die der Kollegen des anderen Gemeinschaftsunternehmens, mit dem sein Unternehmen zu einem großen Gemeinschaftsbetrieb zusammengelegt wurde. Er machte deshalb gegenüber seinem Arbeitgeber, dem Verleihunternehmen, die höhere Vergütung geltend. Er vertrat dabei die Auffassung, dass zwischen ihm und dem anderen Unternehmen ein Arbeitsverhältnis zu Stande gekommen sei, da man ihn auf Dauer als Arbeitnehmer überlassen habe. Ein Gemeinschaftsbetrieb liege nicht vor, da man insbesondere die Betriebsräte nicht zusammengelegt habe. Die wesentlichen sozialen Angelegenheiten würden weiterhin getrennt verhandelt. Insgesamt handele es sich bei den organisatorischen Entscheidungen lediglich um eine Umgehung des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung.

Das Arbeitsgericht hat seine Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat im Berufungsverfahren die Klage bzw. Berufung ebenfalls zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht Hessen zurückverwiesen.

I. Keine Arbeitnehmerüberlassung im Gemeinschaftsbetrieb

Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst nochmals ausdrücklich bestätigt, wonach in einem Gemeinschaftsbetrieb keine Arbeitnehmerüberlassung entstehen kann. So kann es schon begrifflich nicht zur Arbeitnehmerüberlassung kommen, wenn sich mehrere Unternehmen als Gemeinschaftsbetrieb arbeitsteilig in einer gemeinsamen Betriebsstätte bestimmte arbeitstechnische Zwecke teilen. Es fehlt dann ein „fremder Betrieb“ in dem der Leiharbeitnehmer vollständig eingegliedert werden könnte. Im Gemeinschaftsbetrieb ist die Arbeitsorganisation, in der der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringt, nicht die des Entleihers, sondern eine gemeinsame, an der auch der Verleiher beteiligt ist. Dieser Verleiher verfolgt in dem Gemeinschaftsbetrieb eigene Betriebszwecke. Zudem wird das Direktionsrecht von der einheitlichen Leitung des Gemeinschaftsbetriebs immer für den jeweiligen Vertragsarbeitgeber ausgeübt, so dass der Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb keine fremden Weisungen,sondern allein den Weisungen seines Vertragsarbeitgebers unterliegt.

II. Getrennte Betriebsräte und Gemeinschaftsbetrieb?

Der hier bestehende Gemeinschaftsbetrieb hatte allerdings mehrere Betriebsräte. Das Bundesarbeitsgericht hat daher die Frage aufgeworfen, ob tatsächlich ein Gemeinschaftsbetrieb auch dann bestehen kann, wenn mehrere Betriebsräte gebildet sind. Zu dieser Frage hatte das Landesarbeitsgericht in der Berufungsinstanz noch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Daher konnte der Rechtsstreit vom Bundesarbeitsgericht nicht abschließend entschieden werden. Vielmehr wurde jetzt die Sache nochmals an das Landesarbeitsgericht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen. Das Bundesarbeitsgericht hat dabei wesentliche und wertvolle Hinweise für diese neue Verhandlung in der 2. Instanz gegeben.

So dient der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff der einheitlichen Arbeitnehmerrepräsentation innerhalb der Betriebsverfassung. Die Leitidee „Ein Betrieb, ein Betriebsrat“ beruht letztlich auf der Erwägung, dass der einheitlichen Leitung auf Arbeitgeberseite ein einheitliches Gremium auf Arbeitnehmerseite gegenübersteht, das die Interessen der Betriebsangehörigen auf dem Gebiet der personellen und sozialen Mitbestimmung zur Geltung bringt. Von diesem gesetzlichen Leitbild ist aber im vorliegenden Fall die betriebsverfassungsrechtliche Struktur abgewichen. Das Bundesarbeitsgericht hat allerdings auch klargestellt, dass die Existenz zweier Betriebsräte der Annahme, es handele sich um einen Gemeinschaftsbetrieb nicht zwingend entgegenstehen muss. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die betriebliche Mitbestimmung zu im Wesentlichen einheitlichen Regelungen führt, d.h. zu Regelungen, die zwar von verschiedenen Partnern verhandelt und vereinbart werden, aber inhaltlich weitgehend übereinstimmen oder zumindest aufeinander abgestimmt sind. In einem solchen Fall wären die betrieblichen Abläufe nicht aufgrund unterschiedlicher Regelungen nach Belegschaftsgruppen getrennt zu organisieren.

Diese Fragen muss nun das Landesarbeitsgericht im Rahmen des zurückverwiesenen Rechtsstreits weiter aufklären und entscheiden.

Fazit

Die Entscheidung ist einerseits erfreulich. So wird Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen eines Gemeinschaftsbetriebes ausgeschlossen. Die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebes kann daher tatsächlich eine Arbeitnehmerüberlassung „heilen“ bzw. kann als wertvolles Gestaltungsinstrument weiter genutzt werden. Andererseits gibt es aber viele Gemeinschaftsbetriebe, in denen weiterhin unterschiedliche Betriebsräte bestehen, nicht zuletzt deshalb, um unterschiedliches Betriebsrecht fortzuführen und auch die unterschiedliche Behandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen zu rechtfertigen. Hier verlangt das Bundesarbeitsgericht nun klar und deutlich, dass diese Regelungen „inhaltlich weitgehend übereinstimmen“ oder jedenfalls „aufeinander abgestimmt sind“. Was dies konkret bedeutet, hat hingegen das Bundesarbeitsgericht nicht entschieden. Jedenfalls dürften völlig unterschiedliche betriebsverfassungsrechtliche Regelungen auf dieser Basis einen Gemeinschaftsbetrieb ausschließen. Wichtig ist, dass bei unterschiedlichen Regelungen dennoch die betrieblichen Abläufe einheitlich organisierbar sind. Solange dies der Fall ist, so ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu verstehen, kann auch die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebes weiter gerechtfertigt sein. Darauf ist deshalb bei der Gestaltung und dem Abschluss der Führungsvereinbarung besonders zu achten.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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