Gerichtlicher Vergleich: Freistellung unter Anrechnung auf Freizeitausgleichsansprüche verhindert Überstundenvergütung
Viele Streitigkeiten über den Ausspruch von Kündigungen enden vor den Arbeitsgerichten mit einem Vergleich. Das Arbeitsverhältnis wird zu einem bestimmten Beendigungszeitpunkt aufgehoben und der gekündigte Arbeitnehmer wird für die restliche Laufzeit unter Anrechnung auf Urlaubsansprüche und sonstige Freizeitausgleichsansprüche freigestellt. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat nun klargestellt, dass solche Formulierungen auch Ansprüche auf Überstundenvergütung erfassen (LAG v. 24.3.2023, 1 Sa 1217/22). Die Entscheidung ist von großer praktischer Bedeutung, da die in der Entscheidung protokollierte Freistellungsklausel üblich ist und in nahezu jedem gerichtlichen Vergleich vereinbart wird.
Der Fall:
Ausgangslage
Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Verbrauchermarkt als Marktleiter bereits seit dem 1.2.2004 mit einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 4.000,00 € beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete auf der Grundlage eines gerichtlichen Vergleiches vor dem Arbeitsgericht Paderborn mit Ablauf des 30.6.2022. Die Beendigung knüpfte an eine betriebsbedingte Kündigung vom 19.8.2021 an. Ausweislich der Regelung in Ziffer 4. des Vergleiches wurde Folgendes zwischen den Parteien in dem Vergleich protokolliert:
„Der Kläger wird unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung sowie unter Anrechnung auf etwaige noch offene Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt. Die Freistellung gilt für den gesamten noch folgenden Zeitraum vom 10.9.2021 bis zum 30.6.2022.“
Eine darüberhinausgehende allgemeine Erledigungs- bzw. Ausgleichsklausel nahmen die Parteien in den gerichtlichen Vergleich nicht auf. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte dazu im Rahmen der schriftlichen Kommunikation um den Inhalt des Vergleiches mit, eine Erledigungsklausel solle in Anbetracht des noch laufenden Arbeitsverhältnisses nicht vereinbart werden.
Der Kläger hatte eine wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden. Die Arbeitszeit wurde über das Programm ATOSS erfasst und geplant. In einem von dem Kläger gefertigten Ausdruck des Schichtplans wurde eine Überschreitung der Jahresgesamtarbeitszeit um 334,2 Stunden ausgewiesen. Für das Jahr 2021 wurde der Schichtplan um 219 Stunden überschritten.
Überstundenabgeltung?
Der Kläger forderte nun von dem beklagten Arbeitgeber die Abgeltung von insgesamt 553,2 Überstunden bei einem Stundenverdienst von 24,62 €. Insgesamt damit 13.619,82 € brutto nebst Zinsen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass durch die Formulierung in dem Vergleich über seine Freistellung die geleisteten Überstunden nicht erfasst würden. Im Vergleich sei lediglich geregelt worden, dass „Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche“ auf die Freistellung angerechnet werden sollten. Einen solchen Anspruch mache er aber nicht geltend. Ihm gehe es um die Überstundenabgeltung.
Der Arbeitgeber hat hingegen die Auffassung vertreten, ein etwaig vorhandener Freizeitausgleichsanspruch des Klägers aus möglicherweise geleisteten Überstunden sei durch die Vereinbarung im gerichtlichen Vergleich über die unwiderrufliche bezahlte Freistellung von mehr als 9,5 Monaten erledigt.
Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen. In der Begründung hat es sich dabei mit dem Vergleichstext nicht befasst, sondern darauf abgestellt, es fehle bereits am substantiierten Sachvortrag zu durchgeführten Überstunden, die von der Beklagten angeordnet oder geduldet worden seien.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das LAG die Klage ebenfalls abgewiesen. In der Begründung hat es allerdings zusätzlich einen Anspruch wegen der Anrechnungsklausel im Vergleich abgelehnt.
I. Anrechnung von Freizeitausgleichsansprüchen
Die in dem Wortlaut des gerichtlichen Vergleichs gewählte Formulierung, Freizeitausgleichsansprüche werden auf die Freistellung angerechnet, ist weit zu verstehen. Mit Freizeitausgleichsansprüchen sind alle Ansprüche gemeint, die der Kompensation für ein erbrachtes Arbeitszeitvolumen zuzurechnen sind, dass die durchschnittlich erbrachte Arbeitszeit überschritten hat. Bei der Formulierung, Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche handelt es sich um eine typische Formulierung in arbeitsgerichtlich protokollierten, im Wege eines Vergleichs zustande gekommenen Aufhebungsvereinbarungen. Die Parteien wollen damit erreichen, dass etwaige offene Urlaubsansprüche, die häufig streitig sind, ebenso wie sonstige Ansprüche auf Freizeitausgleich, mögen sie aus Arbeitszeitkonten oder erbrachten Überstunden folgen, in den Zeitraum der erfolgten Freistellung hineinfallen und verrechnet werden.
Über die Berechtigung solcher Ansprüche entsteht zwischen Arbeitsvertragsparteien gerade im Zusammenhang mit der Abwicklung eines Arbeitsverhältnisses häufig Streit. Wird eine Klausel über die Anrechnung von Freizeitausgleichsansprüchen auf den Freistellungszeitraum in einem gerichtlichen Vergleich aufgenommen, sollen diese tatsächlichen Unsicherheiten durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werden (vgl. § 779 BGB). Der Begriff „Freizeitausgleichsanspruch“ ist vor diesem Hintergrund in einem weiten Sinne zu verstehen und erfasst damit auch Überstundenabgeltungsansprüche.
Hinweis für die Praxis:
Selbst wenn die Parteien eine Ausgleichsklausel zusätzlich vereinbart hätten, wäre damit der Streit über diese hier entschiedene Frage nicht beseitigt worden. In einem noch andauernden Arbeitsverhältnis und einem Beendigungszeitpunkt, der erst Monate später nach Abschluss des Vergleiches liegt, helfen Erledigungsklauseln nicht weiter. Denn bis zum Beendigungszeitpunkt muss das Arbeitsverhältnis noch ordnungsgemäß abgewickelt werden. Insoweit kann der Praxis nur empfohlen werden, streitige Fragen ausdrücklich und klar zu regeln, um Auslegungsstreitigkeiten zu vermeiden.
II. Darlegung von Überstunden: Hohe Anforderungen!
Das LAG hat auch die Anzahl der Überstunden insgesamt abgelehnt und sich insoweit der Entscheidung des Arbeitsgerichts angeschlossen. Dem Kläger war es hier nicht gelungen, die Leistung der behaupteten erheblichen 553,2 Überstunden und deren Veranlassung durch den Arbeitgeber darzulegen.
Hinweis für die Praxis:
So ist in einem Überstundenprozess insbesondere konkret vorzutragen, dass es eine ausdrückliche Anordnung zur Ableistung von Überstunden gab. Die bloße Anwesenheit im Betrieb reicht nicht aus. Insoweit hat sich das LAG der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dazu angeschlossen.
Fazit:
Die Anrechnung von Freizeitausgleichsansprüchen auf eine Freistellung führt zum Wegfall der Überstunden. Die sehr typische und gebräuchliche Formulierung in gerichtlichen Vergleichen ist damit sinnvoll, ausreichend und in ihrer Zielrichtung eindeutig. Die Entscheidung macht dennoch deutlich, dass Überstundenansprüche immer wieder zu Streitigkeiten führen, insbesondere im Rahmen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Bei der Überschreitung von Arbeitszeiten sollte daher die Thematik zwischen den Arbeitsvertragsparteien zeitnah angesprochen und geregelt werden.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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