Gerichtliches Bestellungsverfahren über die Person eines Einigungsstellenvorsitzenden: Ablehnungsgründe erforderlich?
Kommen die Betriebspartner im Rahmen von Verhandlungen nicht zu einer Einigung, entscheidet in Fällen der zwingenden Mitbestimmung die Einigungsstelle. Auch über die Personen, die an der Einigungsstelle teilnehmen, müssen sich die Betriebspartner verständigen. In vielen Fällen kommt schon diese Verständigung nicht zu Stande. Für die Besetzung und Bestellung der Einigungsstelle ist dann das Arbeitsgericht im Rahmen des speziellen Verfahrens nach § 100 ArbGG zuständig. Das Verfahren unterliegt einem besonderen Beschleunigungszweck. Beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit soll möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung gestellt werden.
In diesem Verfahren stellt sich dann immer wieder die Frage, ob der Vorschlag einer Seite für die Person des Einigungsstellenvorsitzenden von Seiten des Gerichts beachtet werden muss bzw. welche Maßstäbe gelten, wenn die andere Seite diese Person ablehnt. Mit diesen wichtigen Fragen hat sich das Landesarbeitsgericht München in einem aktuellen Beschluss, unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, intensiv auseinandergesetzt (LAG München v. 13.12.2021, 3 TaBV 59/21). Wir möchten die wesentlichen Grundsätze daher der Praxis vorstellen.
Der Fall:
Die Betriebspartner streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Arbeitszeit und die Person des Einigungsstellenvorsitzenden.
Der Arbeitgeber betreibt bundesweit mehrere Niederlassungen. Es ist ein für alle Niederlassungen zuständiger Betriebsrat gebildet.
Der Betriebsrat kündigte die Betriebsvereinbarung Arbeitszeit Innendienst und Vertrieb. Im Anschluss formulierte er seine Forderungen für den Abschluss einer neuen diesbezüglichen Betriebsvereinbarung und forderte den Arbeitgeber auf, schriftlich Stellung zu nehmen. Sollten die Verhandlungen scheitern, würde der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen.
Der Arbeitgeber reagierte mit einem Gegenentwurf. In einem weiteren Schreiben wurde dieser Entwurf nochmals angepasst. Der Betriebsrat wurde aufgefordert, den Entwurf zu prüfen und im Anschluss Verhandlungstermine zu vereinbaren.
Der Betriebsrat reagierte mit der Übersendung eines finalen Vorschlages zur Betriebsvereinbarung. Ferner wurde der Arbeitgeber aufgefordert, die Zustimmung abschließend zu erteilen bis zum 19. Mai 2021. Sollte diese nicht oder nur in unwesentlichen Punkten erteilt werden, werde der Betriebsrat die Einigung als gescheitert erklären und die Einigungsstelle anrufen.
Der Arbeitgeber reagierte wiederum eher allgemein und äußerte sich u.a. wie folgt:
„Aus diesem Grund sollten wir im ersten Schritt ein gemeinsames Verständnis unserer Positionen erhalten, um im Anschluss Lösungsvorschläge erörtern zu können.“
Der Betriebsrat stellte daraufhin das Scheitern der Verhandlungen fest, es solle nunmehr eine Einigungsstelle unter Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Y. mit je drei Beisitzern angerufen werden.
Der Arbeitgeber hat dies abgelehnt. Der Betriebsrat leitete daraufhin das Bestellungsverfahren nach § 100 ArbGG ein.
Das Arbeitsgericht München hat die Einigungsstelle unter Vorsitz des gewünschten Herrn Prof. Dr. Y. bestellt, die Anzahl der Beisitzer aber nicht auf drei, sondern auf zwei festgesetzt
Die Entscheidung
Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht einen neuen Vorsitzenden bestellt und es bei der Anzahl von zwei Beisitzern belassen.
I. Wann sind Verhandlungen gescheitert?
Für einen Antrag auf Bestellung eines Einigungsstellenvorsitzenden und die Bildung einer Einigungsstelle nach § 100 ArbGG bedarf es eines Rechtsschutzinteresses. Dieses Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn die Betriebsparteien in einer beteiligungspflichtigen Angelegenheit nicht den vorgesehenen Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern sofort die Einigungsstelle angerufen haben. Ein Rechtsschutzinteresse besteht deshalb nur, wenn der Antragsteller geltend macht, dass entweder die Gegenseite Verhandlungen über das Regelungsverlangen ausdrücklich oder konkludent verweigert hat oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind.
Ob dabei die Gegenseite Verhandlungen verweigert oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen gescheitert sind, bleibt der subjektiven Einschätzung jedes Betriebspartners überlassen, die nicht offensichtlich unbegründet sein darf. Andernfalls würde der in § 100 ArbGG zugrundeliegende Beschleunigungszweck konterkariert werden, nachdem beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung gestellt werden soll. Zudem hätte es die verhandlungsunwillige Partei durch geschicktes Taktieren in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren.
Hinweis für die Praxis:
Bei Anwendung dieser Grundsätze waren die Verhandlungen vorwiegend gescheitert. Der Arbeitgeber reagierte überwiegend in seinen Antworten substanzlos. Der Betriebsrat dürfte daher durchaus subjektiv davon ausgehen, dem Arbeitgeber fehle es an Verhandlungsbereitschaft über die Forderungen des Betriebsrats. Die Verhandlungen wurden immer wieder ausweichend aufgeschoben, statt sie direkt aufzunehmen. Dies reichte für das Rechtsschutzbedürfnis und das Scheitern der Verhandlungen aus.
II. Person des Vorsitzenden
Streit gab es auch über die Person des Vorsitzenden. Der Betriebsrat hatte eine konkrete Person vorgeschlagen. Der Arbeitgeber hatte dieser Person widersprochen, u.a. wegen fehlendem Vertrauen in die Unparteilichkeit.
In Rechtsprechung und Literatur ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der vorgeschlagene Einigungsstellenvorsitzende abgelehnt werden kann, stark umstritten. Einerseits wird die Auffassung vertreten, dass hierfür schlüssig nachvollziehe, stichartige oder ernsthafte Gründe gegen die Person des unparteiischen Vorsitzenden vorgebracht werden müssen und dessen schlagwortartige Ablehnung nicht genüge. Andererseits wird die Meinung vertreten, dass die Ablehnung der Person eines unparteiischen Vorsitzenden durch eine Betriebspartei ausreiche und keiner Begründung bedürfe (sogenanntes „schlichtes Nein“). Das Landesarbeitsgericht München hat sich in dem vorliegenden Beschluss dieser zweiten Auffassung, unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, angeschlossen. Der Vorsitzende benötige das Vertrauen beider Betriebsparteien. Gegen das zusätzliche Bedürfnis von stichhaltigen Gründen spreche auch, dass dies zu einer Diskreditierung der Kandidaten führen könne. Schließlich sei nicht einzusehen, dass es im Rahmen eines Wettlaufes um den ersten Vorschlag Vorteile für die schnellere Partei geben könne.
Hinweis für die Praxis:
Idealerweise verständigen sich die Betriebspartner gemeinschaftlich auf einen Einigungsstellenvorsitzenden. Die Landesarbeitsgerichte neigen mittlerweile überwiegend dazu, ein schlichtes Nein gegen eine Person ausreichen zu lassen. In diesen Fällen wird dann, wie auch hier, von Seiten des Gerichts eine neutrale Person neu bestellt. All dies ist im Rahmen eines Verfahrens nach § 100 ArbGG genau zu beachten. Der Praxis können wir nur empfehlen, sich über diese Fragen nicht gerichtlich zu streiten, sondern, auch aus wirtschaftlichen Erwägungen, sich unmittelbar zu verständigen, um so den formalen Streit zu beenden und sich den inhaltlichen Fragen zuwenden zu können.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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