05.11.2025 -
Das LAG Schleswig-Holstein hatte zu entscheiden, ob die Einwilligung in eine Tätowierung mit anschließender Entzündung wegen Verschuldens einen Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließt.
Keine Entgeltfortzahlung bei Krankheit, wenn den Arbeitnehmer Verschulden trifft! (credits: adobestock)

Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) gewährt Arbeitnehmern im Falle der Krankheit einen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer von sechs Wochen. Voraussetzung ist aber, dass den Arbeitnehmer an der Krankheit kein Verschulden trifft. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hatte sich jetzt mit der Frage zu befassen, ob die Einwilligung in eine Tätowierung mit anschließender Entzündung wegen Verschuldens einen Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließt (LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 22.5.2025, 5 Sa 284a/24). Die Entscheidung ist zu begrüßen und soll hier für die Praxis vorgestellt werden.

Der Fall:

Der beklagte Arbeitgeber betreibt einen Pflegedienst. Die klagende Arbeitnehmerin wird dort seit dem 21. August 2023 als Pflegehilfskraft beschäftigt. Sie war in der Tagespflege eingesetzt. Das Bruttomonatsgehalt betrug bei einer 30-Stunden-Woche 1.956,60 €.

Die Arbeitnehmerin ließ sich am 15. Dezember 2023 am Unterarm tätowieren. In der Folgezeit entzündete sich die tätowierte Stelle. Am 19. Dezember 2023 teilte die Klägerin ihrer Vorgesetzten, der Pflegedienstleitung, mit, dass sie bis zum 22. Dezember aufgrund einer Entzündung am Unterarm, die eine Einnahme von Antibiotika erforderlich mache, krankgeschrieben sei und überreichte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für diesen Zeitraum und dann fortlaufend auch für den 27. und 28. Dezember 2023.

Die Beklagte lehnte eine Entgeltfortzahlung für diese Krankheitstage ab und zahlte für Dezember nur ein reduziertes Gehalt aus. Die Klägerin machte den Differenzbetrag zum vereinbarten Bruttomonatsgehalt in Höhe von 465,90 € brutto geltend und klagte diesen Betrag, nach erfolgloser außergerichtlicher Forderung, ein.

Das Arbeitsgericht hat die Zahlungsklage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts vollumfänglich bestätigt.

I. Keine Entgeltfortzahlung bei Verschulden

Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.

Schuldhaft i.S.v. § 3 ABs. 1 S. 1 EFZG handelt ein Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Es gilt deshalb festzustellen, ob ein „Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt. Dabei ist von einem objektiven Maßstab auszugehen. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten. Maßgeblich sind dabei stets die konkreten Umstände des Einzelfalls.

II. Tätowierungen sind immer schuldhaft

Wer sich tätowieren lässt handelt im Hinblick auf die Tätowierung vorsätzlich. Dies gilt unabhängig von der Frage, dass natürlich jede Person davon ausgeht, dass keine Komplikationen auftreten. Das ändert aber nichts daran, dass solche Komplikationen ein Verschulden gegen sich selbst darstellen. Jeder Arbeitnehmer muss damit rechnen, dass eine Komplikation eintreten kann. Es handelt sich auch nicht um eine völlig fernliegende Komplikation. Die Hoffnung, dass Komplikationen ausbleiben, schließen daher einen bedingten Vorsatz auch hinsichtlich der Komplikationen nicht aus. Für einen solchen bedingten Vorsatz ist es nur erforderlich, dass der Betreffende den für möglich gehaltenen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Dabei reicht schon Gleichgültigkeit aus.

Hinweis für die Praxis:

Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitsunfähigkeit infolge von Sportunfällen. Danach handelt schuldhaft, wer sich in einer seine Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigenden Weise sportlich betätigt und dadurch gesundheitliche Schäden erleidet. Wer das Geschehen nicht sportlich beherrschen kann, setzt sich unbeherrschbaren Gefahren aus. Das gilt eben auch für Tätowierungen.


Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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