13.12.2022 -
Bei der Zustellung von Einwurf-Einschreiben bejahen immer mehr Landesarbeitsgerichte den Anscheinsbeweis. (credit:adobestock)

Bei der Zustellung von Kündigungen kommt es immer wieder zu Fehlern. Die Arbeitsgerichte werden regelmäßig mit Fragen des Zugangs einer Kündigung beschäftigt. Besonders häufig haben sich die Gerichte in letzter Zeit mit der Frage zu befassen, ob die Zustellung eines Kündigungsschreibens per Einwurf-Einschreiben zulässig ist bzw. den Zugang nachweist. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat dies nun in einem aktuellen Urteil bejaht (LAG Schleswig-Holstein v. 18.1.2022 – 1 Sa 159/21). Wir möchten den wichtigen Wandel in der Rechtsprechung hier vorstellen, warnen aber gleichzeitig schon an dieser Stelle vor einer vorschnellen Änderung der bisherigen dauerhaften Empfehlung in unseren Beiträgen, Kündigungen ausschließlich per Boten zuzustellen.

Der Fall:

Der Mitarbeiter war in einer Spielhalle bei dem beklagten Arbeitgeber seit August 2017 beschäftigt. Aus Anlass der ersten Schließung der Spielhallen wegen der Corona-Pandemie vereinbarten die Parteien für die Zeit vom 1. April 2020 bis zum 31. März 2021, dass die Arbeitszeit des Klägers während der Zeiten einer Betriebsschließung auf null Stunden herabgesetzt wird.

In diesem Zeitraum stellte der Arbeitgeber dem Mitarbeiter am 26. Oktober 2020 eine fristgerechte Kündigung zum 30. November 2020 per Einwurf-Einschreiben zu.

Der Mitarbeiter wohnt in einer Hochhausanlage mit zehn Stockwerken. Die Briefkastenanlage im Hausflur des Wohnhauses weist ca. 80 Fächer auf. Ganz oben rechts ist der ordnungsgemäß mit seinem Namen versehene Briefkasten des Klägers.

Am 29. Oktober 2020 bestätigte der Postmitarbeiter mit seiner Unterschrift diese Sendung „dem Empfangsberechtigten übergeben bzw. das Einschreiben Einwurf in die Empfangsvorrichtung des Empfängers eingelegt“ zu haben.

In der Folge zahlte der Arbeitgeber den Lohn für November. Weiter wurde ein Zeugnis zugesandt. Der Zugang des Zeugnisses wie auch die Lohnabrechnungen sind zwischen den Parteien streitig.

Im Januar erhob der Mitarbeiter Klage. Die 3-Wochenfrist war bereits abgelaufen. Er behauptete in dem Kündigungsschutzverfahren, eine Kündigung niemals erhalten zu haben. Er machte daher den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geltend. Kenntnis von der Kündigung habe er erst durch Zugang der Abrechnungen im Januar 2021 erhalten.

Das Arbeitsgericht hat den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festgestellt. Der Arbeitgeber habe den Zugang der Kündigung nicht nachweisen können.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat hingegen das Landesarbeitsgericht im Wege des Anscheinsbeweises den Zugang des Kündigungsschreibens festgestellt.

I. Nachweis des Zugangs

Das Landesarbeitsgericht hat zunächst, ebenso wie die Vorinstanz, den Nachweis des tatsächlichen Zugangs des Kündigungsschreibens als nicht belegt festgestellt. Wegen der vereinbarten Kurzarbeit und der geschlossenen Spielhalle habe der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung nicht in Person anbieten müssen. Allein aus den Umständen, dass gegen das übersandte Zeugnis oder auch gegen die Abrechnungen keine Einwände erhoben wurden, folgten auch nicht der sichere Nachweis als Beleg für den Zugang eines Kündigungsschreibens.

Hinweis für die Praxis:

Das Gericht unterscheidet also zwischen dem Nachweis des Zugangs und, dazu sogleich, dem Nachweis des Anscheinsbeweises. Der tatsächliche Zugang konnte hier, da ein Bote nicht eingeschaltet wurde, nicht bewiesen werden. Der Arbeitgeber war daher darauf angewiesen, dass der Zugang im Wege des Anscheinsbeweises nachgewiesen werden konnte.

II. Anscheinsbeweis ausreichend?

In der Rechtsprechung und der Literatur besteht seit einigen Jahren Streit über die Frage, ob der Zugang einer Kündigung schon dann im Wege des Anscheinsbeweises ordnungsgemäß geführt ist, wenn sich der Arbeitgeber des Weges eines Einwurf-Einschreibens bedient. Der Bundesgerichtshof hat dies bejaht, ebenso das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern und auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz und auch das Arbeitsgericht Düsseldorf haben hingegen den Nachweis des Anscheinsbeweises abgelehnt.

Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein den Anscheinsbeweis bejaht. So gehe es beim Anscheinsbeweis um die Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung durch den Richter im Rahmen der freien Beweiswürdigung. Voraussetzung für einen Anscheinsbeweis ist, so das Landesarbeitsgericht, ein typischer Geschehensablauf. Ein aus der Lebenserfahrung bestätigender gleichförmiger Vorgang, durch dessen Typizität es sich erübrigt, die tatsächlichen Einzelumstände eines bestimmten Geschehens nachzuweisen.

In diesem Sinne hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass eine Zustellung ordnungsgemäß erfolgt, wenn eine berufsmäßig mit der Zustellung beauftragte Person, wie ein Zusteller der Deutschen Post AG mit der zuzustellenden Sendung vor dem Briefkasten steht, in die die Sendung einzuwerfen ist, das Schriftstück einwirft und anschließend durch seine Unterschrift auf dem vorgesehenen Auslieferungsbeleg bestätigt, dass die Sendung eingeworfen wurde. Wenn bei einem Einfamilienhaus in diesem Fall die Möglichkeit eines Fehlwurfs ausgeschlossen ist, ist die rein theoretische Möglichkeit eines Fehlwurfs bei einer Briefkastenanlage bzw. mehreren Briefkästen so unwahrscheinlich, dass zunächst einmal der Beweis des nächsten Anscheins für die richtige Zustellung begründet wird.

Hinweis für die Praxis:

Dabei ist zu beachten, dass der Anscheinsbeweis nicht erst dann geschuldet ist, wenn jede Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes komplett ausgeschlossen ist. Vielmehr genügt es, wenn der Richter einen brauchbaren Grad der Gewissheit von der zu beweisenden Tatsache erlangt hat.

III. Kündigungsadressat kann Anscheinsbeweis widerlegen!

Aber: Der Arbeitnehmer bzw. Kündigungsempfänger kann den Anscheinsbeweis widerlegen. Dazu reicht es aber nicht aus, schlicht den Zugang zu bestreiten. Notwendig ist ein irgendwie relevanter Sachvortrag, der den Zugang in Frage stellen könnte. Allein der Einwand, es bestehe auch die Möglichkeit, dass das Kündigungsschreiben aus seinem Hausbriefkasten durch einen Dritten entnommen worden sei, reicht aber, so das Landesarbeitsgericht, noch nicht aus.

Hinweis für die Praxis:

Je konkreter also die Einwände des Arbeitnehmers sind, desto eher muss das Gericht diesen Einwänden nachgehen und der Arbeitgeber muss dann diese Einwände entkräften. Wir können aus eigener Anschauung berichten, dass im Rahmen der Zeugenvernehmung eines Postzustellers dieser in seiner Zeugenaussage darauf verwiesen hat, die Unterschriften auf die Auslieferungsbelege schon morgens für alle Einwurf-Einschreiben durchgehend vorabzuleisten, damit während des eigentlichen Zustellvorgangs weniger Arbeit damit verbunden ist. In einem solchen Fall wäre dann der Anscheinsbeweis widerlegt!

Fazit:

Die Rechtsprechung wandelt sich. Bei der Zustellung von Einwurf-Einschreiben bejahen immer mehr Landesarbeitsgerichte den Anscheinsbeweis. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich mit der Frage noch nicht zu befassen. Da der Bundesgerichtshof allerdings den Anscheinsbeweis im Jahre 2016 schon bejaht hat, müsste das Bundesarbeitsgericht, wollte es sich dieser Auffassung nicht anschließen, den gemeinsamen Großen Senat anrufen. Das alles bleibt abzuwarten. Unsere Empfehlung geht aktuell weiter dahin, all diese Risiken nicht einzugehen. Es bleibt daher bei der uneingeschränkten und dringenden Handlungsempfehlung, Kündigungen allein durch einen Boten zuzustellen, der das Original-Schreiben eingesehen hat und über den Zustellvorgang einen Vermerk fertigt. So können alle Rechtsunsicherheiten ausgeschlossen werden.

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