03.01.2024 -

Aktuelle Entwicklungen im Arbeitsrecht: Änderungen bei Massenentlassungsverfahren

Massenentlassung: Mit Beschluss des BAG vom 14.12.2023 signalisiert das BAG eine bevorstehende Änderung seiner langjährigen Rechtsprechung im Bereich Massenentlassungsverfahren.
Massenentlassungen: Nach der bisherigen Rechtsprechung führte ein Verstoß gegen verschiedene Mitteilungspflichten des Arbeitgebers im Rahmen von Massenkündigungen zur Nichtigkeit der Kündigung. Werden diese Anforderungen durch die neue Rechtsprechung nun gekippt? (credits: adobestock)

Mit Beschluss des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2023 signalisiert das BAG eine bevorstehende Änderung seiner langjährigen Rechtsprechung im Bereich Massenentlassungsverfahren.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG (BAG Urt. v. 22.11.2012 Az. 2 AZR 371/11) führte ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 und 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), der verschiedene Mitteilungspflichten des Arbeitgebers im Rahmen von Massenkündigungen regelt, zur Nichtigkeit der Kündigung. Der Arbeitgeber ist gem. § 17 Abs. 1 und 3 KSchG verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er Massenentlassungen vornimmt, außerdem ist er verpflichtet, den Betriebsrat zu informieren. Eine entsprechende Mitteilung über die Informierung des Betriebsrats ist der Agentur für Arbeit ebenfalls zukommen zu lassen.

Dies steht nun auf dem Prüfstand. Künftig könnte die Nichteinhaltung der Mitteilungspflichten nicht mehr zur Nichtigkeit einer Kündigung führen. Diese bevorstehende Änderung wirft ein neues Licht auf die Risiken und rechtlichen Herausforderungen, vor denen Unternehmen bei Massenentlassungen stehen.

Der Fall:

Der Beschluss des Sechsten Senats des BAGs folgte auf mehreren Verfahren, in denen er über die Nichtigkeit von Kündigungen infolge von Verstößen gegen die in § 17 Abs. 1 und 3 KSchG geregelten Mitteilungspflichten zu entscheiden hatte.

Die bisherige Entscheidungspraxis des BAGs, dass ein entsprechender Verstoß zur Nichtigkeit der Kündigung führt, beruhte auf der Annahme, dass die Mitteilungspflichten des Arbeitgebers zumindest auch die individuellen Interessen der Arbeitnehmer schützen würden.

Dies bezweifelte der Sechste Senat und rief zur Klärung den EuGH an, da die Vorschriften zum Massenentlassungsverfahren auf der Umsetzung der Europäischen Richtlinie zur Massenentlassung (Massenentlassungs-Richtlinie 98/59/EG) beruhen und somit die Auslegung des EuGHs in Bezug auf den Zweck der Richtlinie ausschlaggebend für die Auslegung des Zweckes der Mitteilungspflichten des § 17 KSchG ist.

Mit Urteil vom 13. Juli 2023 (Az. C-134/22) entschied der EuGH, dass zumindest die Pflicht, die Mitteilung, die der Arbeitgeber zur Informierung des Betriebsrats vorzunehmen hat, an die Agentur für Arbeit weiterzuleiten, nicht den Zweck verfolge, den Arbeitnehmer zu schützen. Vielmehr diene diese zu Informations- und Vorbereitungszwecken der zuständigen Behörde.

Die Entscheidung:

Der Sechste Senat hat nun mit Beschluss vom 14.12.2023 auf das Urteil des EuGHs reagiert, indem er eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung angekündigt hat. Nach der Entscheidung des EUGHs ist davon auszugehen, dass die Mitteilungspflichten des § 17 Abs. 1 und 3 KSchG gerade nicht dem individuellen Schutz des Arbeitnehmers dienen und ein Verstoß somit nicht zur Nichtigkeit der Kündigung führt.

Eine solche Änderung der Rechtsprechung durch den Sechsten Senat stellt eine entscheidungserhebliche Abweichung zur früheren Rechtsprechung des Zweiten Senats dar. Der Sechste Senat muss deshalb zunächst beim Zweiten Senat anfragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält. Schließt sich der Zweite Senat der Rechtsauffassung des Sechsten Senats an, stünde einer entsprechenden Änderung der Rechtsprechung nichts entgegen. Ist dies nicht der Fall, entscheidet der Große Senat.

Fazit

Falls der Zweite Senat des BAG die Änderung mitträgt oder der Große Senat diese bestätigt, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Rechtspraxis bei Massenentlassungen. Die Nichteinhaltung der Mitteilungspflichten des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 1 und 3 KSchG würde in Zukunft nicht mehr zu einer Nichtigkeit von Kündigungen im Rahmen von Massenentlassungen führen. Die weiteren Anforderungen an die Massenentlassung bleiben jedoch bestehen. Es ist damit zu rechnen, dass dem EuGH weitere Verfahren zur Entscheidung vorgelegt werden, die Rechtsprechung zur Massenentlassung ist damit im Fluss. Es bleibt zu beobachten, wie es weitergeht, da Änderungen potenziell erhebliche Auswirkungen auf rechtliche Pflichten und Risiken des Arbeitgebers im Rahmen von Massenentlassungen haben können.


Autorin: Ebba Herfs-Röttgen

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