17.10.2023 -
Voraussetzung für die Entziehung der Zulassung eines MVZ ist die Prognose, dass die vertragsärztliche Tätigkeit auch in absehbarer Zeit nicht wieder aufgenommen wird.
Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sollten jede Strukturveränderung gut planen und vor allem gut mit den Zulassungsgremien und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) kommunizieren (credits: adobestock).

Wiederaufnahme der ärztlichen Tätigkeit am Standort nicht erforderlich entscheidet das Bundessozialgericht in dem Verfahren B 6 KA 5/22 R

Es gehört zu den elementaren Pflichten jedes Leistungserbringers – Vertragsarzt wie Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) – die ärztliche Tätigkeit mit Erteilung der Zulassung aufzunehmen. Die Zulassung endet unmittelbar wieder, wenn die Tätigkeit nicht innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung aufgenommen wird, § 95 Abs. 7 S. 1 SGB V. Alternativ ist sie wieder zu entziehen, wenn der Vertragsarzt oder das MVZ die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausübt, § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V. Für ein MVZ endet die Zulassung u.a. auch mit seiner Auflösung, § 95 Abs. 7 SGB V.

Es sind viele Situationen und Sachverhalte denkbar, in denen der Vertragsarzt oder ein MVZ die vertragsärztliche Tätigkeit temporär nicht mehr ausübt. Voraussetzung für die Entziehung der Zulassung ist daher die Prognose, dass die vertragsärztliche Tätigkeit auch in absehbarer Zeit nicht wieder aufgenommen wird. Welche Umstände bei einer solchen Prognose zu berücksichtigen sind und welche Umstände der Leistungserbringer darzulegen hat, veranschaulicht das BSG in einer aktuellen Entscheidung vom 19.07.2023.

Der Fall

Die klagende MVZ-Trägergesellschaft betrieb ein Labor-MVZ am Standort R. Angestellt waren zwei Ärzte: Ein Facharzt für Laboratoriumsmedizin/ Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie und ein Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie. Im Quartal 3/2013 reduzierte sich die Fallzahl auf unter 10 %. Ab dem Quartal 4/2013 wurden nur noch einstellige Fallzahlen abgerechnet. Der Zulassungsausschuss erhielt im Februar 2014 Kenntnis, dass die Laborräume seit einem halben Jahr aufgegeben waren. Er leitete ein Zulassungsentziehungsverfahren ein.

Nachdem der Trägergesellschaft ein darauf gerichtetes Anhörungsschreiben übersandt wurde, stellte der Träger einen Verlegungsantrag des Sitzes des MVZ. Neuer Standort sollte in G auf dem Gelände eines Klinikums sein. Der Verlegungsantrag sei bis dahin noch nicht gestellt worden, da es noch keine vertragliche Einigung mit dem Klinikum über die Nutzung der Laborinfrastruktur gegeben habe.

Den Zulassungsausschuss überzeugte dies nicht. Er entzog dem MVZ mit Wirkung vom 03.07.2014 die Zulassung, weil die vertragsärztliche Tätigkeit seit neun Monaten nicht ausgeübt habe. Ein Antrag auf Ruhen der Zulassung sei auch nicht gestellt worden. Über den Verlegungsantrag entschied der Zulassungsausschuss nicht, da keine dafür erforderliche funktionsfähige Laborpraxis mehr bestanden habe.

Der Berufungsausschuss bestätigte die Entscheidung des Zulassungsausschusses. Das Sozialgericht hob die Entscheidung zunächst auf. Die Zulassungsentziehung sei unverhältnismäßig gewesen, da die Voraussetzungen für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens erfüllt gewesen wären. Dem folgte das Landessozialgericht wiederum nicht und hob das Urteil des Sozialgerichts auf. Dem LSG fehlte die Überzeugung, dass das MVZ die vertragsärztliche Tätigkeit in absehbarer Zeit wieder aufnehmen würde. Der Antrag auf Verlegung sei nicht zu berücksichtigen, da er offensichtlich als Reaktion auf die Ankündigung der Zulassungsentziehung gestellt worden sei. Es beständen in einem solchen Fall gesteigerte Anforderungen an die Plausibilität, Schlüssigkeit und Überzeugungskraft der Darlegungen durch den MVZ-Träger.

Die Entscheidung

Das Bundessozialgericht hob die Entscheidungen auf die Revision durch den MVZ-Träger auf. Die Voraussetzung für eine Entziehung der Zulassung hätten nicht vorgelegen. Die Entscheidung sei insbesondere nicht verhältnismäßig gewesen. Statt einer Entziehung der Zulassung hätte das Ruhen der Zulassung als mildere Maßnahme angeordnet werden können.

Das BSG betont zunächst, dass der MVZ-Träger tatsächlich seine vertragsärztlichen Pflichten – allerdings nicht gröblich als Voraussetzung einer Zulassungsentziehung – verletzt hat.

Nach der Auffassung des BSG durfte der MVZ-Träger nicht einfach die Tätigkeit am alten Standort einstellen, ohne dass die Fortsetzung der Tätigkeit an dem neuen Standort gesichert war. Es könne von einem MVZ erwartet werden, dass die Versorgung der Versicherten nicht vorzeitig beendet werde. Außerdem habe es der MVZ-Träger versäumt, spätestens bei Beendigung der Tätigkeit einen Antrag auf ruhen der Zulassung zu stellen. Mindestens hätte der Zulassungsausschuss über die veränderten Umstände informiert werden müssen.

Es lägen aber die Voraussetzungen eines Ruhens der Zulassung als milderes Mittel vor. Entgegen der Auffassung des LSG lag eine positive Prognose in Bezug auf die baldige Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit vor. Dieses Ergebnis begründete das BSG wie folgt.

  • Die Fortführung unter Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit kann auch an einem anderen Standort erfolgen, wenn ein Sitzverlegungsantrag gestellt wurde, der nicht von vornherein erfolglos erscheint.
  • Für die Verlegung eines Vertragsarztsitzes oder einer MVZ-Zulassung ist es nicht erforderlich, dass noch eine tatsächliche Praxis (Praxissubstrat) vorhanden ist.
  • Ein Ruhen der Zulassung kann auch dann noch angeordnet werden, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit bereits über sechs Monate nicht mehr ausgeübt wurde.
  • Eine Obliegenheit, die persönlichen Gründe für den Verlegungswunsch offenzulegen, besteht für den Vertragsarzt oder das MVZ erst dann, wenn Gesichtspunkte der vertragsärztlichen Versorgung zunächst dem Verlegungswunsch entgegenstehen.

Fazit

Mit der Entscheidung stellt das BSG zwei Punkte klar. Bei der Prognose an die Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in absehbarer Zeit ist auch ein Verlegungswunsch zu berücksichtigen. Für eine Verlegung des Vertragsarztsitzes oder der MVZ-Zulassung muss keine laufende Praxis bestehen.

So erfreulich die Entscheidung des BSG auch zu den erforderlichen Darlegungspflichten am Ende ist, veranschaulicht der Fall eindrücklich, dass jede Strukturveränderung gut geplant und vor allem gut mit den Zulassungsgremien und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) kommuniziert werden muss. Anderenfalls mag man zwar im Recht sein, der MVZ-Träger konnte aber über einen Zeitraum von neun Jahren die Zulassung nicht nutzen. Es ist zu bezweifeln, dass die damals beschäftigten Ärzte noch zur Verfügung stehen. Daher müssen nun schnellstmöglich neue Ärzte gefunden werden, um nicht ein weiteres Zulassungsentziehungsverfahren zu riskieren.

Autor: Torsten von der Embse

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