06.09.2023 -

Probezeit: Anforderungen an eine treuwidrige Kündigung innerhalb der Probezeit

Kündigungen innerhalb der Wartezeit bzw. Probezeit müssen nicht im Sinne des KSchG begründet werden. Der Praxis ist zu empfehlen, im Falle einer Probezeitkündigung gar keine Gründe im Kündigungsschreiben und auch nicht mündlich zu benennen.
Nach ständiger Rechtsprechung müssen Kündigungen innerhalb der Wartezeit bzw. Probezeit nicht im Sinne des KSchG begründet werden (adobestock: credits).

Kündigungen innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) bzw. innerhalb der sechsmonatigen Probezeit müssen nicht begründet werden. Der Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes für eine betriebs-, verhaltens- oder personenbedingte Kündigung gilt nicht. Allerdings macht die Rechtsprechung hiervon Ausnahmen, wenn die Kündigung sittenwidrig oder treuwidrig ist, §§ 138, 242 BGB. Der Maßstab ist jedoch denkbar hoch. Das Arbeitsgericht Erfurt hat in einem aktuellen Urteil eine Kündigung an diesen Maßstäben geprüft und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine treu- und/oder sittenwidrige Kündigung nicht vorlagen (ArbG Erfurt v. 21.4.2022, 6 Ca 1273/21).

A. Der Fall

Der 60 Jahre alte Kläger wurde zum 1. Mai 2021 bei dem beklagten Arbeitgeber im öffentlichen Dienst als Fuhrparkmanager in der Zentrale einer Landesforstanstalt eingestellt. Dabei vereinbarten die Parteien ausdrücklich eine Probezeit.

Schon am 8. Juni 2021 kam es zu einem ersten Mitarbeitergespräch. Anlass und Inhalt des Mitarbeitergesprächs bewerten beide Parteien unterschiedlich.

Im Anschluss an das Mitarbeitergespräch wurde dem Kläger am 1. Juli 2022 ein sogenanntes Probezeitzeugnis erteilt. In diesem Zeugnis wurden dem Kläger zwar einerseits eine hohe Motivation und eine sehr hohe Eigeninitiative bescheinigt. Allerdings wurden auch die im Mitarbeitergespräch vom 8. Juni 2021 erörterten Kritikpunkte deutlich aufgeführt.

Probearbeitszeugnis

Das Zeugnis lautete u.a. wie folgt:

Er ist sehr von seinem eigenen Standpunkt in seiner jeweiligen Handlungsalternative überzeugt. Er urteilt sehr schnell über etablierte Prozesse, ohne sich zum Teil zuvor einen umfassenden Überblick über den betroffenen Prozess und die zugehörige Historie verschafft zu haben. Alternative Handlungsmöglichkeiten im Kollegenkreis lösungsorientiert zu diskutieren, fällt ihm immer wieder schwer. Bei notwendigem Änderungsbedarf erläutert er oft nicht die genaueren Gründe, sodass die betroffenen Kollegen kein Verständnis für die notwendigen Veränderungen im Sinne des Change-Managements entwickeln können. Dadurch erzeugt er Ablehnung. Herr H. tritt sehr selbstbewusst auf, wobei er von den Kollegen oftmals als überheblich wahrgenommen wird. Mitunter zieht er die Kompetenz von Mitarbeitern auf destruktive Weise in Zweifel. Die Kommunikation mit Kollegen auf Augenhöhe im Sinne des Servicegedankens fällt ihm schwer. Er bei der Mehrzahl der Kollegen, mit denen er häufiger zusammenarbeitet, nicht anerkannt.

Insgesamt ist festzustellen, dass die Teamfähigkeit einschließlich der Kommunikation auf Augenhöhe von Herrn H., trotz sehr hoher fachlicher Eignung, deutlich unter dem zu erwartenden Niveau liegt. Für die Tätigkeit als Fuhrparkmanager und der damit verbundenen sehr zu hohen Zahl an Kontakten mit Kolleginnen und Kollegen sowie Dritten, ist diese Fähigkeit jedoch von herausragender Bedeutung. Es ist davon auszugehen, dass er nach der Beendigung der Einarbeitungsphase das zu erwartende dauerhafte Niveau für diesen Bereich nicht erreicht.

Mit Herrn pp. wurde im Laufe der Probezeit ein Mitarbeitergespräch (08.06.2021) zu den oben genannten Kritikpunkten geführt.

Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kann aufgrund der fehlenden Perspektive zur Erreichung einer dauerhaften guten und umfassenden kollegialen Zusammenarbeit und Kommunikation und auch aus Rücksicht auf die Motivation und Leistungsbereitschaft der übrigen betroffenen Kollegen nicht empfohlen werden.

Entscheidungsvorschlag:

Das Arbeitsverhältnis sollte innerhalb der Probezeit fristgerecht gekündigt werden.“

Im Anschluss leitete der Arbeitgeber das Kündigungsverfahren ein und sprach dem Arbeitnehmer am 16. Juli 2021 eine fristgerechte Probezeitkündigung zum 31. Juli 2021 unter ordnungsgemäßer Beteiligung des Personalrats aus.

B. Die Entscheidung

Das Arbeitsgericht hat die Probezeitkündigung für wirksam erachtet.

I. Prüfungsmaßstab sehr eingeschränkt

Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Urteilen, zuletzt im Jahre 2019 (Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 107/19) zum Ausdruck gebracht, dass außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes eine Kündigung nicht der Überprüfung des Vorliegens personen-, verhaltens- oder betriebsbedingter Gründe bedarf. Innerhalb der Probezeit kann der Arbeitgeber jedes Arbeitsverhältnis ohne Begründung fristgerecht kündigen.

Aber: Damit darf der Arbeitgeber nicht willkürlich oder sittenwidrig vorgehen. Auch eine Kündigung, die innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen wird, muss sich am Maßstab der Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) oder der Treuwidrigkeit (§ 242 BGB) messen lassen. So ist nach der Rechtsprechung ein Rechtsgeschäft sittenwidrig, wenn es nach seinem Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspricht.

Verstößt das Rechtsgeschäft nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung, muss ein persönliches Verhalten des Handelnden hinzukommen, welches diesem zum Vorwurf gemacht werden kann. Hierfür muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zu Tage tretenden Gesinnung ergeben kann. Zudem kann eine Kündigung auch treuwidrig sein nach § 242 BGB. Dabei geht es vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder sachfremden Kündigungsmotiven zu schützen.

Im vorliegenden Fall konnte das Gericht, trotz der Darstellung in dem Probezeitzeugnis, keine verwerflichen Gründe oder auch sachfremden Erwägungen erkennen. Arbeitgeber sollen gerade innerhalb der Probezeit prüfen und feststellen können, ob nach ihrer Auffassung ein Arbeitnehmer geeignet ist, weiterhin Beschäftigter des Unternehmens zu sein. Eine Entscheidung hierüber kann per so nicht willkürlich oder sachfremd sein.

Hinweis für die Praxis:

Formal benennt man die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses nicht „Probezeit“, sondern „Wartezeit“ im Sinne von § 1 Abs. 1 KSchG. Das Kündigungsschutzgesetz greift erst, wenn die ersten sechs Monate Wartezeit verstrichen sind. Auch wenn keine Probezeit ausdrücklich vereinbart wurde, müssen die sechs Monate Wartezeit abgelaufen sein, bevor Kündigungsschutz eintritt. Die Begrifflichkeiten werden in der Praxis oft synonym verwandt. Rechtlich kommt es aber auf diese Unterscheidung an.

II. Beteiligung der Mitarbeitervertretung

Auch bei einer Probezeitkündigung muss die zuständige Mitarbeitervertretung, ein gewählter Betriebsrat oder ein Personalrat, beteiligt werden. Zwar bedarf es keiner Gründe im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes, in einer formalen Betriebs- bzw. Personalratsanhörung müssen aber dennoch Gründe benannt werden. Wir können hier nur unseren vielfach geäußerten Rat wiederholen, auf ausschließlich subjektive Erwägungen bei dem Kündigungsentschluss hinzuweisen, da diese von der Rechtsprechung nur sehr eingeschränkt überprüfbar sind und so Fehler bei der Anhörung vermieden werden können.

C. Fazit

Kündigungen innerhalb der Wartezeit bzw. Probezeit müssen nicht im Sinne des KSchG begründet werden können. Lediglich willkürliche oder sachfremde Erwägungen führen zur Unwirksamkeit. Der Praxis ist daher zu empfehlen, im Falle einer Probezeitkündigung gar keine Gründe im Kündigungsschreiben und auch nicht mündlich zu benennen. Eine Entscheidung über die Kündigung in der Probezeit kann nicht willkürlich oder sachfremd sein.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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