30.08.2023 -

Probezeit und Dauer der Kündigungsfrist: Was gilt bei uneindeutiger Vertragsgestaltung?

Bei der Vertragsgestaltung sollte darauf geachtet werden, dass für die Dauer der vereinbarten Probezeit eine eigenständige Kündigungsfrist vereinbart wird.
Damit die allgemeine Kündigungsfrist während der Probezeit keine Anwendung findet, muss im Vertrag separat die – für die Probezeit bestimmte – kurze Kündigungsfrist geregelt werden (credits: adobestock).

Bei einer vereinbarten Probezeit beträgt die Kündigungsfrist nach der gesetzlichen Regelung des § 622 Abs. 3 BGB zwei Wochen. Nach Ablauf der Probezeit gelten dann entweder die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 BGB oder aber andere, individualvertraglich und/oder tarifvertragliche Kündigungsfristen. Diese Fristen sind stets länger als die kurze Kündigungsfrist während einer Probezeit.

Das Thüringer Landesarbeitsgericht hatte nun die sehr interessante Frage zu klären, welche Kündigungsfrist gilt, wenn zwar einerseits eine Probezeit vereinbart ist, andererseits aber die kurze Kündigungsfrist von zwei Wochen nicht separat im Vertrag geregelt ist, sondern sich dort nur die allgemeinen Kündigungsfristen wiederfinden (Thüringer Landesarbeitsgericht. v. 6.12.2022, 1 Sa 300/21). Das Ergebnis geht hier zu Gunsten der längeren Kündigungsfrist aus und steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die wichtige Entscheidung möchten wir hier für die Praxis besprechen.

Der Fall:

Die klagende Arbeitnehmerin ist als Personalleiterin bei dem beklagten Unternehmen mit einem monatlichen Gehalt von 5.525,00 € brutto beschäftigt. Im Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerin ist zur Probezeit und zur Kündigungsfrist Folgendes geregelt:

㤠1

Aufgaben und Pflichten

(1) Die Dienstnehmerin tritt zum 07.09.2020 als Personalleiterin in die o. g. Gesellschaft ein. In ihrer Funktion ist die Dienstnehmerin der Geschäftsführung unmittelbar unterstellt.

(2) Die Probezeit beträgt 6 Monate.

§ 12

Vertragsdauer und Kündigung

(1) Der Vertrag beginnt am 07.09.2020 und wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.

(2) Der Vertrag kann von beiden Seiten mit einer Frist von 6 Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres gekündigt werden.

(3) Eine ordentliche Kündigung vor Vertragsbeginn ist für beide Parteien ausgeschlossen.“

Noch innerhalb der Probezeit kündigte der Arbeitgeber am 2. März 2021 das Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Kündigung zum 16. März 2021.

Die Arbeitnehmerin hat gegen die Kündigung geklagt und vertritt die Auffassung, die in § 12 Abs. 2 vereinbarte Kündigungsfrist gelte auch während der Probezeit. Das Arbeitsverhältnis habe daher nicht zum 16. März 2021 geendet, sondern erst zum 31. Dezember 2021 sein Ende gefunden. Die in § 12 des Arbeitsvertrages vereinbarte sechsmonatige Kündigungsfrist zum Ende des Kalenderhalbjahres gelte mangels abweichender anderer Regelungen auch für eine Kündigung innerhalb der Probezeit.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die vertragliche Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Kalenderhalbjahr sei mit dem Sinn und Zweck der vereinbarten Probezeit unvereinbar.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht hingegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts aufgehoben und die lange Kündigungsfrist erst zum 31. Dezember 2021 bestätigt.

I. Unklarheitenregel bei AGB

Das Arbeitsgericht hat zunächst zutreffend klargestellt, dass es sich bei den im Arbeitsvertrag enthaltenen Regelungen zur Kündigungsfrist und zur Vereinbarung der Probezeit in den §§ 1 und 12 um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von §§ 305 ff. BGB handelt. Auf Allgemeine Geschäftsbedingungen findet daher auch die Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB Anwendung. Diese Vorschrift regelt ausdrücklich, dass bestehende Unklarheiten bei der Vertragsauslegung im Zweifel zu Lasten des Verwenders gehen, also des Arbeitgebers, der den Vertrag gestellt hat. Die Anwendung dieser Unklarheitenregel kommt immer dann in Betracht, wenn nach Ausschöpfung aller Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel verbleibt. Sofern zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind, kommt die sich zu Lasten des Arbeitgebers auswirkende Unklarheitenregel zur Anwendung.

II. Probezeit und Kündigungsfrist

Das Landesarbeitsgericht hat eine solche Unsicherheit hier bejaht. Nach dem Wortlaut der Vertragsbedingungen bleibt nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts das Verhältnis von § 1 Abs. 2 zu § 12 Abs. 2 des Arbeitsvertrages unklar. Zwar bedarf es bei einer vereinbarten Probezeit keiner gesonderten Vereinbarung über die gesetzlich geregelte Kündigungsfrist von zwei Wochen. Diese greift vielmehr auch ohne besondere Vereinbarung. Allerdings bleibt es jedem Arbeitgeber unbenommen, auch für eine Probezeitkündigung eine längere Kündigungsfrist in Abkehr von § 622 Abs. 3 BGB zu vereinbaren. Wegen der alleinigen Vereinbarung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderhalbjahres und wegen der fehlenden Differenzierung im Hinblick auf die Probezeit hat das Landesarbeitsgericht daher im vorliegenden Fall eine Unsicherheit für die Berechnung der Kündigungsfrist bejaht und insoweit konsequent die oben dargestellte Unklarheitenregelung des § 305 c Abs. 2 BGB angewandt.

Hinweis für die Praxis:

Diese Rechtsprechung steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG v. 23.3.2017, 6 AZR 705/15). Auch dort hat das Bundesarbeitsgericht eindeutig Folgendes klargestellt:

Wird in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag in einer Klausel eine Probezeit und in einer anderen Klausel eine Kündigungsfrist festgelegt, ohne dass unmissverständlich deutlich wird, dass diese ausdrücklich genannte Frist erst nach dem Ende der Probezeit gelten soll, ist dies von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer regelmäßig dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an nur mit dieser Kündigungsfrist, nicht aber mit der zweiwöchigen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB kündigen kann.“

Fazit:

Die Rechtsprechung ist nicht überzeugend. Eine vereinbarte Probezeit, auf die dann von Anfang an die lange Kündigungsfrist angewandt wird, hat keinen weiteren Regelungsgehalt mehr. Der Arbeitgeber hätte dann eine unnötige Probezeit ohne rechtliche Auswirkung vereinbart. Das kann nicht angenommen werden. Schon gar nicht, wenn die maßgebliche Grundkündigungsfrist, wie im vorliegenden Fall, sehr lang gewählt wird. In einem solchen Fall muss man vielmehr gerade umgekehrt annehmen, dass der Arbeitgeber ein hohes Interesse daran hat, in der Probezeit eine Trennung mit einer kurzen Kündigungsfrist umzusetzen. So hatte in der ersten Instanz auch noch zutreffend das Arbeitsgericht Suhl entschieden. Dennoch muss die Rechtsprechung des BAG, die nun erneut vom Thüringer Landesarbeitsgericht bekräftigt wurde, beachtet werden. Bei der Vertragsgestaltung ist daher präzise darauf zu achten, dass für die Dauer der vereinbarten Probezeit eine eigenständige Kündigungsfrist vereinbart wird.

Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen

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