
Das AGG schützt vor Diskriminierungen. Diskriminierungsmerkmale sind u.a. das Alter und die Behinderung. Im öffentlichen Dienst sind Arbeitgeber sogar verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber einzuladen. Die Einladung ist nur entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, § 165 Satz 4 SGB IX. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte sich nun mit der sehr praxisrelevanten Frage zu befassen, inwieweit ein schwerbehinderter Bewerber, der die Regelaltersgrenze überschritten hat, eingeladen und im Bewerbungsverfahren berücksichtigt werden muss (LAG Hamm v. 6.8.2024, 6 SLa 257/24). Das Landesarbeitsgericht hat eine Einladungspflicht abgelehnt, den Fall allerdings wegen der grundsätzlichen Bedeutung zur Revision zugelassen. Das Verfahren ist beim Bundesarbeitsgericht anhängig (Az. 8 AZR 299/24). Wir möchten hier die Kernaussagen der Entscheidung besprechen.
Der Fall:
Der beklagte Arbeitgeber ist Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband. Er schrieb unter dem 2.2.2023 eine Stelle als „Sachbearbeiter/in für die Verwaltung der A (m/w/d)“ in Vollzeit oder Teilzeit aus. Die Eingruppierung sollte nach EG 6 TVöD erfolgen. Bewerbungen von Schwerbehinderten sollten bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt werden.
Der am 14.5.1956 geborene, verheiratete, schwerbehinderte Kläger ist ausgebildeter Großhandelskaufmann und hat die Regelaltersgrenze bereits überschritten. Er bewarb sich unter dem 6.2.2023 auf die ausgeschriebene Stelle.
Insgesamt bewarben sich 24 Personen, von denen nur der Kläger die Regelaltersgrenze überschritten hatte. Unter dem 27.3.2023 schloss der Arbeitgeber mit einer im Jahre 1976 geborenen Bewerberin einen für ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag ab.
Auf die Nachfrage des Klägers zum Sachstand des Bewerbungsverfahrens wurde ihm eine Absage erteilt. Der Kläger machte daraufhin einen Entschädigungsanspruch gerichtlich geltend und forderte einen Betrag in Höhe von 8.176,98 €. Den Anspruch begründete er mit einer Altersdiskriminierung und auch einer Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung. Entgegen § 165 Satz 3 SGB IX sei er nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Die Begründung der Ablehnung mit seinem Alter sei ein zusätzliches Indiz für eine Altersdiskriminierung.
Das Arbeitsgericht hat die Entschädigungsklage abgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
I. Keine Einladungspflicht
Öffentliche Arbeitgeber müssen nach § 165 Satz 3 SGB IX schwerbehinderte Bewerber zum Vorstellungsgespräch einladen. Eine Ausnahme gilt nach Satz 4 nur dann, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Das Erreichen der Regelaltersgrenze stellt in diesem Sinne aber keine offensichtlich fehlende Eignung dar. Das Bundesarbeitsgericht hat aber auch entschieden, dass eine Einladung dann entbehrlich ist, wenn sich das Vorstellungsgespräch als bloße „Förmelei“ darstellt. Entschieden wurde dies allerdings für einen anderen Fall. Der Bewerber erfüllte nicht die charakterlichen Eigenschaften, die für die ausgeschriebene Stelle von Bedeutung waren (BAG v. 27.8.2020, 8 AZR 45/19). Diese Rechtsprechung hat das Landesarbeitsgericht auf den vorliegenden Fall übertragen. Wegen des Überschreitens der Regelaltersgrenze, dazu sogleich, habe der Arbeitgeber hier von der Einladung ausnahmsweise absehen können, da von vornherein klar gewesen ist, dass eine Einstellung wegen des Alters in zulässiger Weise nicht erfolgen sollte.
II. Altersdiskriminierung?
Der TVöD sieht ein Verbot, Mitarbeiter, die die Regelaltersgrenze überschritten haben, einzustellen, nicht vor. Allerdings beinhaltet der TVöD eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn das Regelrentenalter erreicht wird. Dieses Kriterium des Alters ist diskriminierungsrechtlich nach dem AGG geschützt. Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters war hier jedoch nach § 10 AGG zulässig. Der Arbeitgeber hat sich zur Rechtfertigung der Nichteinladung des Klägers auf die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur von jüngeren und älteren Beschäftigten berufen. Der Zugang jüngerer Personen zur Beschäftigung sollte gefördert werden. Unbestritten waren bei dem Arbeitgeber von 47 Mitarbeitern nur fünf Mitarbeiter unter 40 Jahren bzw. 19 Mitarbeiter unter 50 Jahren beschäftigt. 12 Mitarbeiter sind bereits älter als 60 Jahre. Das Landesarbeitsgericht hat daher den Bedarf des Arbeitgebers, vermehrt jüngere Mitarbeiter einzustellen, als zulässiges und legitimes Ziel bejaht. Eine Altersdiskriminierung war damit nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht verbunden.
Fazit:
Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Einladungen, die sich nur als bloße Förmelei darstellen, weil von vornherein feststeht, dass eine Einstellung nicht erfolgen soll, müssen nicht durchgeführt werden. Dies gilt auch bei schwerbehinderten Arbeitnehmern, wenn sie die Regelaltersgrenze überschritten haben. Allerdings ist diese Konstellation bislang vom Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden worden. Das Landesarbeitsgericht hat daher die Revision zugelassen und das Verfahren ist aktuell beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 8 AZR 299/24 anhängig. Bis zur finalen Entscheidung kann es für laufende Bewerbungsverfahren sinnvoll sein, schwerbehinderte Arbeitnehmer vorsorglich dennoch einzuladen, um ihnen im Bewerbungsverfahren jedenfalls die Chance zu geben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung zu überzeugen. Bis zu einer bestätigenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist jedenfalls die Nichteinladung weiterhin mit Risiken verbunden, da die Frage in der 2. Instanz von den Landesarbeitsgerichten unterschiedlich bewertet wird.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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