
Die Einstufung von Diensten als Rufbereitschaft oder Bereitschaftsdienst hat weitreichende Konsequenzen. So zählt die Rufbereitschaft in der Regel nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit. Nur die tatsächlich erbrachten Zeiten zählen als Arbeitsleistung. Bei Bereitschaftszeiten handelt es sich hingegen regelmäßig um Arbeitszeit. Das LAG Düsseldorf hat in einem aktuellen Urteil nochmals die Abgrenzung der verschiedenen Dienste präzisiert und klargestellt (LAG Düsseldorf v. 16.4.2024, 3 SLa 10/24). Wir möchten die wichtige Entscheidung hier für die Praxis besprechen.
Der Fall (verkürzt):
Der klagende Arbeitnehmer war bei dem beklagten Arbeitgeber als Kundentechniker und Elektroniker beschäftigt. Als Vergütung erhielt der Kläger einen Stundenlohn von 20,75 € brutto.
Während seiner Beschäftigung bei der Beklagten übernahm der Kläger insgesamt zehn Notdienstwochen, in welchem ihm außerhalb der regulären Arbeitszeit, zu der er sich üblich zuhause aufhalten konnte, ein Telefon überlassen wurde, um erreichbar zu sein und im Falle eines Anrufs seine Arbeit aufzunehmen. Während dieser zehn Notdienstwochen wurde der Kläger im Umfang von insgesamt 8,5 Stunden zur Arbeit herangezogen. Die Arbeitszeiten wurden mit der vertraglich vereinbarten Vergütung von 20,75 € brutto entlohnt. Darüber hinaus erhielt er pro Notdienstwoche eine Pauschale von 50,00 € netto, insgesamt also für die zehn Notdienstwochen 500,00 € netto.
Der Kläger macht geltend, bei den Notdienstwochen habe es sich um Bereitschaftsdienstzeiten gehandelt. Damit seien die gesamten Wochen als Arbeitszeit zu vergüten. Somit seien 126 Stunden je Notdienstwoche abzüglich der bereits vergüteten Einsatzstunden im Notdienst, somit nach seiner Berechnung für insgesamt 1.252 Stunden mit dem vereinbarten Stundenentgelt von 20,75 € brutto zuzahlen. Die Pauschale von 500,00 € netto sei ebenfalls abzuziehen.
Der Kläger hat mithin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.979,00 € brutto abzüglich gezahlter 500,00 € netto sowie weiterer gezahlter 8,5 Stunden netto zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Berufungsverfahren hat das LAG die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt und klargestellt, dass es sich bei den Notdienstwochen um Rufbereitschaft gehandelt hat.
I. Rufbereitschaft
Bei der Rufbereitschaft handelt es sich, in Abgrenzung zum Bereitschaftsdienst, um Ruhezeit. Der Arbeitnehmer ist bei Rufbereitschaft nicht gezwungen, sich am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten. Er muss lediglich, unter freier Wahl des Aufenthaltsorts, jederzeit erreichbar sein, um auf Abruf des Arbeitgebers die Arbeit alsbald aufnehmen zu können. Rufbereitschaft erlaubt dem Arbeitnehmer grundsätzlich die Gestaltung seiner an sich arbeitsfreien Zeit. Er kann sich während der Rufbereitschaft um persönliche und familiäre Angelegenheiten kümmern, an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilnehmen, sich mit Freunden treffen, etc.
Während der Rufbereitschaft darf der Arbeitnehmer deshalb seinen Aufenthaltsort grundsätzlich selbst bestimmen. Völlig frei ist er hingegen auch bei der Rufbereitschaft nicht. Der Zweck der Rufbereitschaft besteht gerade darin, dass der Arbeitnehmer in der Lage sein muss, die Arbeit innerhalb einer angemessenen Zeitspanne auf Abruf aufnehmen zu können. Kennzeichnend für Rufbereitschaft ist daher, dass zwischen dem Abruf und der Arbeitsaufnahme nur eine solche Zeitspanne liegen darf, deren Dauer den Einsatz nicht gefährdet und die Arbeitsaufnahme im Bedarfsfall gewährleistet. Der Arbeitnehmer darf sich nicht in einer Entfernung vom Arbeitsort aufhalten, die den Zweck der Rufbereitschaft zuwiderläuft.
II. Bereitschaftsdienst
Bereitschaftsdienst ist nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, sondern auch vergütungspflichtige Arbeit. Dazu zählt auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraumes bestimmen kann, er also weder eine Pause noch Freizeit hat. Diese Voraussetzung ist bei der Bereitschaftszeit gegeben. Der Arbeitnehmer muss sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten, um im Bedarfsfall die Arbeit zügig aufnehmen zu können.
III. Arbeitsschutz
Arbeitsschutzrechtlich ist zu unterscheiden zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit. Beide Begriffe schließen einander aus. Ruhezeit ist jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit. Liegt Rufbereitschaft im arbeitsschutzrechtlichen Sinne vor, handelt es sich also um Ruhezeit im Sinne von § 5 ArbZG. Es handelt sich dann auch vergütungsrechtlich nicht um vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Hingegen handelt es sich bei der Bereitschaft um vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Hinweis für die Praxis:
Rufbereitschaft kann gesondert aufgrund einer tarifvertraglichen, betrieblichen oder Individualvereinbarung vergütet werden, muss es aber nicht. Fehlt es an einer solchen gesonderten Abrede gilt der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“.
IV. Zeitspanne der Arbeitsaufnahme?
Dem Arbeitnehmer war hier arbeitgeberseitig eine Zeitspanne von einer Stunde vorgegeben, um den Einsatzort zu erreichen. Die Fahrt von seinem Wohnort zum Betriebsort betrug aber nur ca. 30 Minuten. Damit hatte der Kläger ca. 30 weitere Minuten Zeit, bis er sich auf den Weg zur Arbeitsstätte machen musste. Das reicht für die Einstufung als Bereitschaftsdienst nicht aus. Nach der Rechtsprechung des BAG ist von einem Bereitschaftsdienst erst bei einer Zeitvorgabe für den Beginn der Arbeitsaufnahme von 10 bis 20 Minuten auszugehen (BAG v. 25.3.2021, 6 AZR 264/20).
Hinweis für die Praxis:
Die Zeitspanne für die Arbeitsaufnahme bestätigte hier also die Rufbereitschaft. Das Gericht hat zudem einen weiteren Faktor in seiner Gesamtwürdigung aufgenommen. Dies betrifft den durchschnittlichen Umfang der Heranziehung zur Arbeitsleistung während der Rufbereitschaft. Der Kläger hatte hier im Rahmen von zehn Notdienstwochen und mithin 1.260 Stunden Bereitschaft nur in einem Umfang von 8,5 Stunden Arbeit leisten müssen. Das sind 0,67 % und fällt mithin so verschwindend gering aus, dass von einer erheblichen Einschränkung der Freizeitgestaltung nicht gesprochen werden kann.
Fazit:
Die Abgrenzung von Rufbereitschaft zu Bereitschaftsdienst ist von großer Bedeutung. Sie hängt nicht allein von der Bezeichnung der Parteien ab. Vielmehr beurteilt sich die Abgrenzung nach den tatsächlichen Gegebenheiten. Maßgeblich ist vor allem die Zeitspanne, die dem Mitarbeiter zur Arbeitsaufnahme vorgegeben wird. Relevant ist weiter die freie Wahl des Aufenthaltsortes. Das LAG hat in der vorliegenden Entscheidung auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung den durchschnittlichen Umfang der Heranziehung zur Arbeitsleistung berücksichtigt. Handelt es sich also eigentlich um Rufbereitschaft, wird aber ein Mitarbeiter sehr häufig in Anspruch genommen, kann auch dies zu einem Bereitschaftsdienst führen. Bemerkenswert war schließlich, dass hier auch die Dauer des Anfahrtsweges eine Rolle spielte. Das hat das Bundesarbeitsgericht so bislang noch nicht festgestellt, denn die Wahl des Wohnortes unterliegt der freien Entscheidung des Arbeitnehmers und sollte unberücksichtigt bleiben. Insoweit handelt es sich bei der Entscheidung des LAG um eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung. Wir können der Praxis nur dringend empfehlen, sich über die Abgrenzungskriterien bei der vertraglichen Vereinbarung genau zu informieren.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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