Sexuelle Belästigung während einer dienstlichen Veranstaltung: Fristlose Kündigung
Sexuelle Belästigungen können die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen (Siehe Nicolai Besgen, Sexuelle Belästigung: Einmal „Grabschen“ erlaubt oder fristlose Kündigung? In: Zeitschrift für Betrieb und Personal (B+P Heft 7, 2018, 451 ff.). In der Praxis kommt es zu immer wieder neuen Fallkonstellationen, in denen die Gerichte dann entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für eine wirksame fristlose Kündigung vorliegen. Aktuell hatte das Landesarbeitsgericht Köln eine solche Konstellation zu entscheiden und die Voraussetzungen im konkreten Fall bejaht (LAG Köln v. 1.4.2021, 8 Sa 798/20). Wir möchten her die Entscheidung besprechen und die Kernaussagen darstellen.
Der Fall der sexuellen Belästigung:
Der klagende Arbeitnehmer ist bei dem beklagten Arbeitgeber als sogenannter EDI-Manager beschäftigt. Er ist 1976 geboren, verheiratet und hat zwei unterhaltspflichtige Kinder. Bei dem Arbeitgeber wird er bereits seit 1. November 1996 in Vollzeit, zuletzt mit einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 4.180,00 €, beschäftigt.
Ende September 2019 fand eine Teamklausur des Teams, dem der Kläger angehörte, statt. An der Klausur nahmen acht Teilnehmer teil. Eine Teilnehmerin war die Zeugin Frau L. Diese war bereits zuvor in dem Unternehmen als Werksstudentin beschäftigt und zum Zeitpunkt der Teamklausur gerade einmal 11 Tage im Unternehmen beschäftigt und befand sich noch in der Probezeit.
Am ersten Abend der Teamklausur nahmen die Teilnehmer an einem gemeinsamen Kochevent teil, bei dem auch größere Mengen Alkohol konsumiert wurden. Nach dem Kochevent fanden sich die Teilnehmer, darunter auch der Kläger und die Zeugin L., in der Hotelbar ein. Der Abend endete erst am nächsten Morgen um 3.45 Uhr.
Die Einzelheiten der Abläufe sind zwischen den Parteien streitig. Die Zeugin L. berichtete in der Beweisaufnahme, der Kläger habe sie immer wieder angefasst und am Ende bis zu ihrem Zimmer begleitet. Vor der Zimmertüre habe der Kläger sie zu sich herangezogen und versucht, sie zu küssen. Sie habe den Kläger zunächst weggedrückt. Er habe sie dann erneut zu sich herangezogen und nun sei es ihm gelungen, sie zu küssen. Sie habe den Kläger wiederum weggedrückt und klar „nein“ gesagt. Es sei ihr gelungen, die Zimmertüre zu öffnen und schnell hineinzugehen und die Türe von innen zu verschließen. Am nächsten Morgen hätten sich der Kläger und sie zufällig auf dem Weg zur Rezeption getroffen. Der Kläger habe ihr gesagt, dass er sie liebe und habe erneut versucht, sie zu umarmen.
Im anschließenden Personalgespräch hat der Kläger den Sachverhalt umfänglich eingeräumt.
Der Arbeitgeber hat nach der Betriebsratsanhörung das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Die Entscheidung zur sexuellen Belästigung:
Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt. Der Vorfall rechtfertige die fristlose Kündigung.
I. Wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung
Fristlose Kündigungen werden immer zweistufig geprüft. Zunächst prüfen Sie Gerichte, ob ein sogenannter wichtiger Grund „an sich“ vorliegt. Auf der zweiten Stufe wird dann im Rahmen einer konkreten Interessenabwägung geprüft, ob trotz des fristlosen Kündigungsgrundes die Umstände eine andere Beurteilung ausnahmsweise rechtfertigen oder insbesondere das mildere Mittel einer Abmahnung vorher hätte ausgesprochen werden müssen.
Eine sexuelle Belästigung rechtfertigt regelmäßig die Voraussetzungen für einen wichtigen Grund in diesem Sinne. Der Kläger hat hier versucht, die Zeugin gegen ihren Willen zu küssen und hat sie sogar geküsst. Das Arbeitsgericht hat in der 1. Instanz eine umfängliche Beweisaufnahme durchgeführt, die den gesamten Vortrag bestätigt hat.
Der Kläger hat zwar in dem Personalgespräch alles zugegeben, im späteren Prozess dann aber wieder alles bestritten. Der Arbeitgeber musste daher die Kündigungsgründe beweisen. Dies ist ihm durch die Benennung von Zeugen und die Bestätigung in der Beweisaufnahme gelungen.
II. Interessenabwägung?
Im Rahmen der Interessenabwägung ist dann von den Gerichten zu prüfen, ob das schon seit 1996 bestehende Arbeitsverhältnis tatsächlich fristlos gekündigt werden konnte oder ob es dem Arbeitgeber nicht zumutbar gewesen wäre, jedenfalls die ordentliche Kündigungsfrist abzuwarten. Die Gerichte berücksichtigen dabei auch ein etwaiges „Augenblicksversagen“. Das kann angenommen werden, wenn Arbeitnehmer Wiedergutmachung betreiben, sich entschuldigen und alles dafür tun, um den Vorfall ungeschehen zu machen. Die Voraussetzungen sind sehr streng und für die Einzelheiten verweisen wir auf den in Fußnote 1 genannten Aufsatz.
Beide Gerichte haben in beiden Instanzen die Interessenabwägung zum Nachteil des Arbeitnehmers ausgehen lassen. Dabei musste zu seinem Nachteil auch berücksichtigt werden, dass er den gesamten Vorfall bestritten hat, keine Reue zeigte und auch gegenüber der Zeugin seine stärkere Position bewusst ausgenutzt hat. Daher bedurfte es vorliegend auch nicht des milderen Mittels einer Abmahnung. Im Nachgang noch ausgesprochene Entschuldigungen waren hier ebenfalls nicht geeignet, die vorher begangene schwere Pflichtverletzung ungeschehen zu machen.
Fazit:
Bei der sexuellen Belästigung handelt es sich um eine schwere Verfehlung im Arbeitsverhältnis. Keinesfalls sind „Einmalausrutscher“ erlaubt. Aber: Im Einzelfall kann im Rahmen der Interessenabwägung das mildere Mittel der Abmahnung gerechtfertigt sein. Dies hängt dann davon ab, wie sich der Arbeitnehmer vor allem direkt im Anschluss an den Vorfall verhält. In Fällen, in denen Vorwürfe der sexuellen Belästigung erhoben werden, empfehlen wir die folgende Checkliste:
(1) Aufklärung des Vorfalls. Anhörung aller Beteiligten. Erstellung von Protokollen. Faire Auseinandersetzung mit Entschuldigungsgründen, Einwänden und voneinander abweichenden Darstellungen.
(2) Beachtung der einschlägigen Fristen. Dies beinhaltet zügige Aufklärungsmaßnahmen und Anhörung des Täters innerhalb von einer Woche ab Kenntnis der Vorwürfe. Die Grundsätze zur Verdachtskündigung sind zu beachten.
(3) Bewertung der Beweismittel und Entscheidung zum weiteren Vorgehen. Abgrenzung der Tat- von der Verdachtskündigung. In Zweifelsfällen sollten beide Kündigungsvarianten erklärt und ausgesprochen werden. Beachtung aller Fristen insbesondere bei der Verdachtskündigung und der Ausspruchfrist innerhalb von 14 Tagen nach § 626 Abs. 2 BGB.
(4) Prüfung, ob Strafantrag notwendig und hilfreich ist. Die Arbeitsgerichte sind an das Ergebnis einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlung aber nicht gebunden.
(5) Zwingende Beteiligung des Betriebsrats. Beachtung der Fristen des § 102 BetrVG. Trennung des Anhörungsverfahrens bei gleichzeitigem Ausspruch einer Tat- und Verdachtskündigung.
(6) Zustellung der Kündigung durch einen Boten, um Zugang nachzuweisen.
Autor: Prof. Dr. Nicolai Besgen
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